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«Genau geschaut» tut Not

Ausgabe Nr. 110
Sep. 2015
Gesundheitskompetenz und Rahmenbedingungen

Umgang mit chemischen Produkten. «Genau geschaut, gut geschützt» heisst der Kampagnenslogan zur Einführung des neuen Kennzeichnungssystems für gefährliche chemische Produkte nach GHS (Globally Harmonized System). Die Kampagne ist in der Tat notwendig: Grosse Teile der Schweizer Bevölkerung sind nicht auf dem aktuellen Stand, was die Gefahrenkennzeichnung gefährlicher chemischer Produkte und den sicheren Umgang mit ihnen betrifft. Das zeigen repräsentative Umfragen aus den Jahren 2009, 2012, 2013 und 2015, die im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit durchgeführt worden sind.

Die Umfragen zeigen zum Beispiel, dass die alte Gefahrenkennzeichnung nach Giftklassen in der Bevölkerung immer noch tief verankert ist. Vor allem die über 50-jährige Bevölkerung hält die Giftklassen immer noch für das aktuell gültige Kennzeichnungssystem für chemische Produkte. Diese wurden jedoch schon 2005 abgeschafft und durch die schwarz-orangefarbenen Symbole und später durch die schwarz-weiss-roten, weltweit einheitlichen Gefahrensymbole nach GHS ersetzt. Diese sind seit dem 1. Juni 2015 nun in der Schweiz und der EU obligatorisch (siehe Box). Immerhin 70% der Bevölkerung wissen aber, dass chemische Produkte gekennzeichnet werden, und 40% wissen, dass dazu Gefahrensymbole verwendet werden. Die gestützte Bekanntheit, also das Erkennen der Kennzeichnungen von den Befragten, wenn ihnen diese vorgelegt werden, ist sehr unterschiedlich. Bei häufig vorkommenden Kennzeichnungen wie bei jenem für «Reizend/Gesundheitsschädlich» (Andreas-Kreuz), für «Gewässergefährdend» (Baum/Fisch) und bei dem neuen allgemeinen Gefahrensymbol (Ausrufezeichen) ist die Bekanntheit in den vergangenen Jahren stark und schnell gestiegen und liegt heute bei deutlich über 50%, respektive bei 90%. Die Kennzeichnung für «Ätzwirkung» (Reagenzgläser/Hand) hingegen konnte kaum an Bekanntheit zulegen und verharrt bei mehr oder weniger 50%. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass es vor allem in beruflichen Kontexten zur Anwendung kommt. Neue Gefahrensymbole nach GHS wie jenes für «Gesundheitsgefahr» (Oberkörper) sind jedoch noch deutlich weniger bekannt.  

Nachlässiger Umgang

Gemäss eigener Einschätzung verhält sich die Schweizer Bevölkerung im Umgang mit chemischen Produkten vorsichtig und korrekt; ca. 70% (Tendenz leicht fallend) gaben an, Gebrauchsanleitungen und Gefahren- und Sicherheitshinweise zu lesen. Bei Nachfragen gab jedoch über ein Drittel an, dass sie oft keine Zeit oder Lust dazu hätten, die Hinweise zu lesen. Auch in puncto Lagerung gibt es einen Wermutstropfen: Die meisten Befragten gaben zwar an, chemische Produkte getrennt von Lebensmitteln und ausserhalb der Reichweite von Kleinkindern aufzubewahren. Jedoch gaben 25% an, dass sie chemische Produkte schon einmal umgefüllt haben, was die wichtigste Unfallursache bei Erwachsenen darstellt.  

Jährlich bis zu 50'000 Vorfälle

Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung, ereigneten sich in Schweizer Haushalten in den vier Umfragejahren 144'000, 64'000, 32'000 respektive 64'000 Vorkommnisse oder Unfälle mit chemischen Produkten. Diese Zahlen sind aber mit Vorsicht zu betrachten, da nach Vorfällen im vergangenen Jahr gefragt wurde. Erfahrungsgemäss wird ein Jahr bei dieser Art Fragen nicht immer scharf abgegrenzt. Auch die Zahlen von Tox Info Suisse sind nur beschränkt aussagekräftig: Der kostenlose Notruf- und Auskunftsdienst von Tox Info Suisse erhält pro Jahr rund 8'000 Anrufe aufgrund von Vorfällen mit chemischen Produkten in Haushalten. Dass diese Vorfälle aber nur die Spitze des Eisbergs sein können, zeigen verschiedene Analysen; so wurde Tox Info Suisse zum Beispiel nur bei 7 von 163 registrierten Augenverätzungen im Inselspital Bern und im Kantonsspital Liestal zu Rate gezogen. Die Auswertung der verschiedenen Datenquellen wie Versicherungsstatistiken, Umfrageergebnisse und Monitorings in Spitälern lassen auf 30'000 bis 50'000 Vorfälle mit chemischen Produkten pro Jahr schliessen. Am meisten betroffen sind Kleinkinder unter fünf Jahren. Bei Unfällen mit Erwachsenen sind meist Verwechslungen wegen umgefüllter Produkte im Spiel.  

Drei Schritte zu weniger Giftunfällen

Aus den Umfragen lassen sich drei wichtige Punkte zur Verminderung von Giftunfällen ableiten: – Bekanntheit der Gefahrensymbole und verantwortungsvollen Umgang steigern: Nur erkannte Gefahren können gebannt werden. Deshalb ist es zentral, die Bekanntheit der neuen Kennzeichnungen (schwarze Zeichen auf weissem Grund in einer roten Raute) so rasch wie möglich zu steigern und die Bevölkerung zur Beachtung der Gebrauchsanweisungen aufzurufen. – Umfüllen vermeiden: Das Umfüllen von chemischen Produkten in andere Behälter – meist sind es Lebensmittelbehälter – ist der häufigste Grund für Giftunfälle im Erwachsenenalter. Chemische Produkte sollten daher immer in der Originalverpackung aufbewahrt und nie umgefüllt oder zusammengefüllt werden. – Auf mindestens 1,60 Meter Höhe lagern – Kleinkinder schützen: In Haushalten mit Kleinkindern müssen alle chemischen Produkte, also auch die Geschirrspültabs, WC-Duftsteine oder Duftlämpchen, konsequent ausserhalb ihrer Reichweite aufbewahrt werden. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu empfiehlt eine Lagerung auf einer Höhe von mindestens 1,60 Metern.  

Weltweit einheitliche Gefahrensymbole auf chemischen Produkten

Kennzeichnung chemischer Produkte.

Seit dem 1. Juni 2015 sind europaweit – so auch in der Schweiz – nur noch die neuen Gefahrensymbole nach GHS (global harmonisiertes System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien) erlaubt.  

Die neuen Gefahrensymbole bestehen aus schwarzen Zeichen auf weissem Grund in einer roten Raute. Sie lösen die bisherigen Symbole mit ebenfalls schwarzen Zeichen in einem orangefarbenen Quadrat ab. Lagerbestände mit den alten Kennzeichnungen dürfen noch bis zum 31. Mai 2017 verkauft werden. Die Entwicklung und Einführung eines neuen weltweit gültigen Systems zur Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Chemikalien war eine der Entwicklungsinitiativen des UNO-Erdgipfels 1992 in Rio.

Infos auf Kampagnen-Website

In der Schweiz wird die Einführung der neuen Gefahrensymbole von der Kampagne «Genau geschaut, gut geschützt» begleitet. Ihr Schwergewicht lag auf der Website www.cheminfo.ch, auf der zielgruppenspezifische Flyer, Schullektionen und weitere Informations- und Instruktionsmaterialien heruntergeladen oder bestellt werden können. Die Verbreitung der verschiedenen Materialien erfolgte über 19 Partnerorganisationen. Gemäss einer Umfrage haben 56% der Bevölkerung mindestens ein Kampagnenelement wahrgenommen. Der Slogan und auch die Sujets der Infokampagne erhielten mit deutlich über 80% Zustimmung sehr gute Noten. Alle Materialien, insbesondere auch die Schullektionen, stehen auch nach dem Abschluss der Kampagne weiterhin zur Verfügung.  

App «cheminfo» mit Notruf-funktion

Im Rahmen der Einführungskampagne der GHS-Kennzeichnung wurde auch die Gratis-App «cheminfo» für Smartphones lanciert. Sie liefert unter anderem Informationen zu den neuen Symbolen und enthält eine Notruf-145-Funktion, die bei Vergiftungsunfällen und Vergiftungsverdacht betätigt werden kann. Der Notruf gelangt an die Zentrale von Tox Info Suisse, wo Ärzte rund um die Uhr unentgeltlich Auskunft erteilen.  

Links

Kontakt

Heribert Bürgy, Sektion Marktkontrolle und Beratung, heribert.buergy@bag.admin.ch

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