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Katharina Gasser Roche

«Wir wollen keine Gesundheitsdaten besitzen»

Ausgabe Nr. 144
Mär. 2025
DigiSanté

Gesundheitsdaten sind heute nur in begrenztem Mass für die Forschung zugänglich. Katharina Gasser, CEO bei Roche Schweiz, erklärt im Interview, weshalb Gesundheitsdaten notwendig sind, um die Forschung voranzutreiben. Und sie spricht darüber, was sich die Pharmaindustrie vom Programm DigiSanté erhofft.

Frau Gasser, was sind Gesundheitsdaten?

Gesundheitsdaten sind eine breite Masse an Informationen, von denen heute nur ein sehr kleiner Teil für Akteure im Gesundheitswesen zugänglich und nutzbar ist. Auch Roche erfasst bei der Entwicklung von Medikamenten Gesundheitsdaten, zum Beispiel in klinischen Studien: Wir werten Studiendaten aus und gewinnen daraus Erkenntnisse über die Sicherheit und Wirksamkeit von neuen Medikamenten. Das sind aber keine «Real World»-Daten, also keine Daten aus dem Behandlungsalltag der Menschen. Diese würden uns sehr wertvolle Erkenntnisse über die Wirksamkeit eines Medikaments auch nach seiner Zulassung ermöglichen, wenn es in der klinischen Routine angewendet wird. Sobald das Medikament breit angewendet wird, werden die Daten aber nicht mehr strukturiert erfasst und solche unstrukturierten Daten sind wie ein Archiv von PDFs – voller Wissen, das niemand nutzen kann. Hier stecken wir in der Schweiz leider noch in den Kinderschuhen.

Wie sehen die Gesundheitsdaten aus, die von Industrie und Forschung genutzt werden?

Die Daten sind anonymisiert und aggregiert, das heisst, sie lassen keine Rückschlüsse auf einzelne Patientinnen und Patienten zu. Sie sind zu einer Datenmenge gebündelt, die für die Forschung einen Wert hat, aber für die Identifizierung von Personen nutzlos wäre. Das ist immer wieder wichtig zu betonen: Uns interessieren nicht die Daten von Herrn Meier und Frau Müller. Ich habe schon erlebt, dass Menschen davon ausgehen, dass wir gerade diese persönlichen Daten nutzen wollen, weil sie das vielleicht von anderen Firmen kennen. Aber das stimmt nicht. Uns interessiert, die aggregierten Daten als Instrument zu nutzen, um darin Muster zu erkennen, die weitere Erkenntnisse ermöglichen. Die Pharmaunternehmen haben bewiesen, dass sie verantwortungsvoll mit Daten umgehen können: In den klinischen Studien, die wir seit Jahrzehnten durchführen, sind die Daten sehr sicher. Wenn Firmen nicht ausserordentlich sorgfältig mit solchen Daten umgehen würden, könnten wir als Industrie solche Studien gar nicht durchführen, weil wir keine Studienteilnehmenden finden würden.

Was tut Roche konkret, um diesem Misstrauen entgegenzuwirken?

Wir bemühen uns sehr um Transparenz und Aufklärung. In der Schweiz haben wir zum Beispiel im letzten Jahr eine Sensibilisierungskampagne gestartet unter dem Titel «Teilen hilft heilen». Mit konkreten Beispielen von Patientinnen und Patienten, aber auch indem wir den Nutzen von Gesundheitsdaten aufzeigen, hoffen wir, das Vertrauen der Menschen in der Schweiz zu stärken. Wir möchten damit den Solidaritätsgedanken fördern: Wenn ich heute meine Daten teile, profitiert vielleicht jemand aus meinem Umfeld später von der Forschung, die ich mit meinen Daten möglich gemacht habe. Das erkennen die Menschen immer mehr.

Sie haben «Real World»-Daten erwähnt. Was versteht man darunter?

«Real World»-Daten sind alle Daten aus der Krankheitsgeschichte eines Patienten. Stellen wir uns einen Patienten vor, der eine Diagnose erhält und danach die richtige Therapie bekommt. Dazwischen liegen verschiedene Schritte, die der Patient durchläuft, zu denen wir heute nur wenige Daten haben. Wir können vielleicht einige bildgebende Verfahren einsehen, Laborwerte oder Daten zur angewandten Therapie. Wir wissen aber nicht, wie es dem Patienten während und nach der Therapie geht. Genau diese Informationen bräuchten wir aber, um die Therapie verbessern zu können. In anderen Ländern verfügt Roche über entsprechende Daten. Das heisst, wir haben zwar Datenpools, aber nicht für Schweizer Patientinnen und Patienten. Hier vergeben wir eine grosse Chance. Das finde ich sehr bedauerlich. 

Gibt es Beispiele dafür, wie Gesundheitsdaten bereits heute für Forschungszwecke genutzt werden?

Die gibt es: Das Swiss Personalized Health Network (SPHN) hat einen guten Anfang gemacht. Hier haben sich Universitätsspitäler und später auch andere Spitäler zusammengetan, um Daten zu erfassen und damit zu arbeiten. Es gibt auch Pilotprojekte aus der Industrie, die Daten zur Verfügung stellen. Das ist alles sehr erfreulich, aber es ist ein Tropfen auf den heissen Stein.

Hat Roche auch solche Projekte lanciert?

Ja, im Moment laufen bei uns zwei Projekte. Einerseits haben wir gemeinsam mit dem Universitätsspital Basel das Projekt «Value-based healthcare» ins Leben gerufen, wo wir den Wert einer therapeutischen Intervention bei Lungenkrebspatienten anhand von Patientenpfaden anschauen. Und dann haben wir ein Projekt mit der Universität Zürich, das «Precision Oncology Program», wo wir die genomischen Informationen von Krebspatienten erfassen und mit einer grossen Roche-eigenen Datenmenge abgleichen. Dabei können wir in einer grossen Menge Patientendaten anhand der genetischen Profile schauen, was die optimale Therapie ist für Menschen, die dieselben genetischen Mutationen haben. Das Projekt zeigt klar, dass die Daten von einem Patienten anderen Patienten helfen können, in diesem Fall bei der Definition der optimalen Therapie. Diese beiden Projekte gehen für mich in die richtige Richtung, weil sie zeigen, dass es möglich ist. Aber es ist noch ein weiter Weg bis zur breiten Nutzung von «Real World»-Daten. Ich wünsche mir, dass wir solche Projekte in fünf bis zehn Jahren ins Schweizer Gesundheitswesen integrieren können.

Ist die Industrie bereit, in einem Gesundheitsdatenraum auch eigene Daten zur Verfügung zu stellen?

Ja, man muss aber unterschieden, was für Daten und in welchem Stadium wir uns befinden. Bei der Medikamentenentwicklung sind wir vom Schutz des geistigen Eigentums abhängig. Aber das Beispiel mit der Universität Zürich zeigt, dass unsere Daten auch für andere, zum Beispiel akademische Institutionen interessant sein können. Wenn wir damit weitere Forschung ermöglichen, dann sind wir bereit, Daten zur Verfügung zu stellen. Das tun wir bereits heute im Rahmen von Datenaustauschprogrammen zu Forschungszwecken.

Wie stellt die Industrie sicher, dass Patientinnen und Patienten am Schluss von der Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten profitieren?

Als Industrie sind wir zentral daran interessiert, dass Innovationen Patientinnen und Patienten möglichst schnell erreichen. Wir hoffen, dass wir mit besseren Daten schneller innovative Medikamente entwickeln können. Patientinnen und Patienten profitieren jedoch auch generell von einem effizienteren Gesundheitssystem, gezielteren Therapien und von der verbesserten Patientensicherheit. Und: Mithilfe von künstlicher Intelligenz können wir auch Vorhersagen treffen, zum Beispiel darüber, wie eine Therapie bei Patienten mit gewissen Merkmalen anschlagen könnte, weil wir über viele Informationen von anderen Patientinnen und Patienten verfügen. Es bringt uns in der gesamten therapeutischen Intervention weiter, nicht nur in der Medikamentenentwicklung. Und nicht zuletzt können Diagnosen durch eine verbesserte Forschung früher erfolgen. Auch die Nachsorge können wir effizienter gestalten.

Roche ist ein global tätiges Unternehmen. An welchen Ländern könnte die Schweiz sich orientieren? 

Von Dänemark können wir zum Beispiel sehr viel lernen. Dort wurde bereits vor 20 Jahren entschieden, dass das Gesundheitswesen digitalisiert werden muss. Ich finde es beeindruckend zu sehen, wie selbstverständlich das für alle ist: Patientinnen und Patienten haben via App Zugang zu all ihren Gesundheitsinformationen. Der Austausch funktioniert in Echtzeit, alles ist interoperabel. Dort wissen Anbieter genau, was sie anbieten müssen. Das ist für mich die perfekte Digitalisierungswelt, die ich mir für die Schweiz wünsche. Ich hoffe, dass DigiSanté wie ein Booster wirkt, damit wir dies auch für die Schweiz erreichen.

Was erhofft sich Roche sonst noch vom Programm DigiSanté?

Besonders relevant für uns ist, dass der Bund die Voraussetzungen für einen gut vernetzten Gesundheitsdatenraum schafft. Der Bund soll gewisse Vorgaben machen, zum Beispiel Standards definieren. Für die Industrie sind auch die Rahmenbedingungen für die Weiterverwendung zentral. Und die Datenqualität ist enorm wichtig! Wir sollten keinen Datensalat ansammeln, sondern strukturierte Daten aufbereiten, nach dem FAIR-Prinzip: «Findable», «Accessible», «Interoperable», «Reusable».

Dr. med. Katharina Gasser hat nach ihrem Medizinstudium im Bereich innere Medizin und Geriatrie gearbeitet, bevor sie den Facharzt für pharmazeutische Medizin erlangt hat. Später war sie in verschiedenen Führungspositionen bei mehreren Pharma- und Biotechnologieunternehmen in der Schweiz und weltweit tätig. Seit September 2022 ist Katharina Gasser General Manager bei Roche Pharma Schweiz. Sie steht der Health Data Ecosystems Task Force von interpharma, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, vor.

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