
Daten zu Suizidalität in der Schweiz: Verfügbarkeit und Handlungsbedarf
Dez. 2022Suizidprävention
Damit Suizidprävention zielführend weiterentwickelt und evaluiert werden kann, sind gute schweizweite Daten zu relevanten Indikatoren unerlässlich. Der Nationale Aktionsplan Suizidprävention beinhaltet unter anderem das Ziel, den Akteuren entsprechende Routinedaten zur Verfügung zu stellen.
Wo steht die Schweiz hinsichtlich Suizidalität? Welche Massnahmen wirken, wo besteht weiterhin Handlungsbedarf? Um diese Fragen zu beantworten, braucht es eine gute Datenlage. Die umfassendsten Daten zu Suiziden veröffentlicht das Bundesamt für Statistik (BFS) jährlich im Rahmen der Todesursachenstatistik. Damit lässt sich die Suizidrate ermitteln, die auch die Bevölkerungsentwicklung berücksichtigt. Sie geht tendenziell zurück – was im Einklang mit dem Ziel des Aktionsplans Suizidprävention steht, die Suizidrate bis 2030 um 25 Prozent zu reduzieren. Jedoch ist dieser Rückgang nicht für alle Subgruppen gleich: So reduziert sich etwa die Anzahl Suizide pro 100 000 Einwohner seit 2013 deutlicher als jene bezogen auf 100 000 Einwohnerinnen. Die neusten Zahlen 2020 bestätigen dies.*1

Die Suizidrate in der Schweiz geht tendenziell zurück, jedoch nicht in allen Subgruppen gleich stark. Grafik anzeigen
Wenig Informationen zu Suizidversuchen und -gedanken
Suizide sind jedoch nur die Spitze von suizidalem Erleben und Verhalten. Weitere wichtige Indikatoren für die Planung und Evaluation von Massnahmen sind Suizidversuche und -gedanken. Im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans wurden in der Schweizer Gesundheitsbefragung (SGB) 2017 erstmals Fragen zu Suizidversuchen aufgenommen (Suizidgedanken waren schon 2012 Teil der Befragung). Im Auftrag des BAG hat das Schweizer Gesundheitsobservatorium Obsan diese Daten analysiert: 2017 gaben 7,8 Prozent der Befragten an, im Verlauf der letzten zwei Wochen vor der Befragung mindestens einmal Suizidgedanken gehabt zu haben. Ausserdem ergeben die Schätzungen, dass 2017 insgesamt 33 000 Menschen versucht haben, sich das Leben zu nehmen – damit kamen auf jeden Suizid 32 Suizidversuche.*2 Das BAG wird die entsprechende Analyse der SGB-Daten 2022 erneut in Auftrag geben.
Erhebung von Suizidversuchen durch Spitäler
Ergänzend zu diesen selbst berichteten Indikatoren empfiehlt die WHO das Dokumentieren von Suizidversuchen auf Notfallstationen von Akutspitälern. Dies gestaltet sich jedoch schwierig, da viele Betroffene einen Suizidversuch abstreiten. Eine Möglichkeit ist das Erheben von Suizidversuchen auf der Basis von selbstverletzendem Verhalten, jedoch liegt diese Erhebungsart in der Schweiz – in der Regel durch unabhängige Einzelstudien – nur für gewisse Zeiträume und geografische Regionen vor und die Daten sind nur begrenzt vergleichbar.
Das BAG hat deshalb 2021 das Obsan beauftragt, anhand der in der Medizinischen Statistik der Krankenhäuser (MSK) kodierten Informationen auf Basis von Diagnosen, Behandlungsprozeduren und weiteren Informationen jene Hospitalisierungen zu identifizieren, die möglicherweise Folgen eines Suizidversuchs sind. Diese Daten liegen jährlich für die ganze Schweiz vor und wurden 2022 erstmals für die Jahre 2017 bis 2020 im Obsan-Bulletin «Psychische Gesundheit. Kennzahlen mit Fokus Covid-19» veröffentlicht. Die Ergebnisse sind besorgniserregend: Von 2017 bis 2020 haben Hospitalisierungen aufgrund mutmasslicher Suizidversuche um 25 Prozent zugenommen, vor allem bei jungen Menschen. Bei den 0- bis 18-Jährigen haben stationär behandelte mutmassliche Suizidversuche um 55 Prozent zugenommen – bei weiblichen Personen dieser Altersklasse gar um 67 Prozent.*3
Forschungen bekannt machen
Damit neue Forschungen und Erkenntnisse rasch für Fachpersonen zugänglich gemacht werden können, hat das BAG eine (nicht abschliessende) Übersicht zu Fachpublikationen mit empirischen Daten aus der Schweiz rund um das Thema Suizidalität erstellt.
Weniger Informationslücken, raschere Datenverfügbarkeit
Der Schlussbericht «Zwischenstand Umsetzung Nationaler Aktionsplan Suizidprävention» von Infras im Auftrag des BAG (2021) bescheinigt dem Bereich Verfügbarkeit und Optimierung von nationalen Routinedaten zu Suizidalität zwar einzelne Fortschritte. Es bestehen aber weiterhin Informationslücken, insbesondere bei Hintergrundinformationen und hinsichtlich Daten zu Suizidversuchen.
Im Bericht «Routinedaten zu Suiziden und Suizidversuchen in der Schweiz – Ist-Analyse und Identifizierung von Verbesserungspotenzial» von Interface im Auftrag des BAG werden entsprechende Empfehlungen zu Suiziddaten gemacht: Es sollen auch Begleiterkrankungen und zusätzliche Informationen bei Suizidfällen erhoben werden (z.B. Methode oder genauer Ort des Suizids). Weiter soll der Prozess zwischen Todesfall und Datenpublikation beschleunigt werden, um Massnahmen zeitnah evaluieren zu können – heute vergehen dazwischen zwei Jahre.
Kerngruppe setzt punktuell Massnahmen um
Die Empfehlungen aus dem Interface-Bericht systematisch voranzutreiben, ist primär Sache der zuständigen Organe wie des BFS und fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Kerngruppe. Punktuell werden sich das BAG und Gesundheitsförderung Schweiz aber weiterhin im Bereich Daten, Forschung und Evaluation engagieren – etwa mit der Vergabe von Forschungsaufträgen ans Obsan oder an andere Forschungsinstitutionen.
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Mail und Chat: www.143.ch
Weitere Informationen
www.reden-kann-retten.ch
Links
- Übersicht zu Fachpublikationen rund um Suizid (BAG)
- Bericht «Routinedaten zu Suiziden und Suizidversuchen in der Schweiz – Ist-Analyse und Identifizierung von Verbesserungs- potenzial» (Infras):
- Medienmitteilung vom 3.10.2022 zu Suiziddaten 2020 (BFS):
- Suizidgedanken und Suizidversuche in der Schweizer Bevölkerung, Obsan-Bulletin, 2019.