«Es braucht ein vollständiges Tabakwerbeverbot»
Die Eidgenössische Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN) kritisiert das Tabakproduktegesetz, wie National- und Ständerat es verabschiedet haben. Matthias Weishaupt, Präsident der EKSN, erklärt im Interview, warum.
Was halten Sie vom Tabakproduktegesetz, welches der National- und Ständerat in der Herbstsession 2021 verabschiedet haben?
Leider ist diese Version, im Vergleich zur Version des Ständerats von 2019, deutlich abgeändert worden. Sie hat an Griffigkeit in der gesetzlichen Regulierung stark verloren.
Warum?
Werbeeinschränkungen in Presse und Internet sind nun nicht mehr enthalten. Der Gesetzesentwurf verunmöglicht einen wirksamen Jugendschutz und bringt keine bedeutende Verbesserung für die Tabakprävention. Denn vieles ist bereits in dieser Form auf kantonaler Ebene geregelt. Das Tabakproduktegesetz in dieser Version ist nicht mit der WHO-Tabakkonvention (FCTC) kompatibel, welche die weltweite Eindämmung des Tabakgebrauchs zum Ziel hat. Die FCTC ist 2005 in Kraft getreten. Bis heute wurde es von über 170 Staaten ratifiziert, die Schweiz gehört noch nicht dazu, obschon Bundesrat und Parlament bereits 2004 dies mit Unterschrift in Aussicht gestellt haben.
Wieso ist es nicht mit der WHO-Tabakkonvention kompatibel?
Die Tabakkonvention sieht vor, dass alle Werbeausgaben in den erlaubten Werbebereichen bekannt sind. Der heutige Gesetzesentwurf erfüllt diese Vorgabe nicht. Kenntnisse über die Werbeausgaben wären aber wichtig, weil es eine Minimalanforderung der WHO ist, welche für Länder gilt, die kein umfassendes Werbeverbot kennen. Damit liesse sich die Einhaltung der Werbevorschriften überprüfen und nachvollziehen, in welchen Bereichen die Tabakbranche investiert.
Bräuchte es strengere Massnahmen?
Ja, im Hinblick auf den Kindes- und Jugendschutz braucht es ein vollständiges Werbeverbot, denn nur dieses ist wirksam. Teilverbote sind nicht effektiv. Denn der Werbebetrag, der nicht mehr in einen bestimmten Sektor investiert werden kann, fliesst direkt dorthin, wo Werbung noch erlaubt ist. Werbeeinschränkungen in der Presse und im Internet wären wichtig, da Minderjährige hauptsächlich damit erreicht werden. Die aktuelle Version des Gesetzesentwurfs regelt die Werbeeinschränkungen in Presse und Internet nur, wenn sie sich an Minderjährige richtet. Dies entspricht dem Status Quo, der seit 1995 gilt.
Warum reicht ein Verbot für Werbung, das sich an Minderjährige richtet, nicht aus?
Die EKSN erachtet Werbeverbote, die sich nur an Jugendliche richten, als wenig wirkungsvoll. Denn Jugendliche orientieren sich an der Werbung für Erwachsene. An einem gewöhnlichen Wochenendtag, an dem eine Jugendliche oder ein Jugendlicher abends noch in den Ausgang geht, wird sie oder er mit 68 tabakfreundlichen Reizen konfrontiert. Diese Reize richten sich zwar an Erwachsene, erreichen aber auch Minderjährige und Jugendliche. Da würde das neue Tabakproduktegesetz nicht viel ändern. Zudem können wir von den Erfahrungen des Bundesgesetzes über Geldspiele profitieren: Die Werbung, die sich spezifisch an Minderjährige richtet, ist hier verboten. In der Umsetzung beobachten wir jedoch, wie leicht eine solche Regelung umgangen werden kann. Die EKSN befürchtet, dass eine Umsetzung des Jugendschutzes scheitern wird. Schon heute gibt es beispielsweise keine Tabakwerbung in der Kinder- und Jugendpresse wie Micky Maus-Hefte oder Bravo – und trotzdem raucht jede fünfte Person im Alter von 15 – 19 Jahren. Bei jungen Erwachsenen (zw. 20 – 24 Jahren) ist es beinahe jede zweite Person. Darum ist es wichtig, auch die Jugendlichen zu schützen.
Warum gelingt es der Schweiz – anders als anderen europäischen Ländern – nicht, den Anteil der rauchenden Bevölkerung weiter zu senken?
Um den Anteil der rauchenden Bevölkerung zu senken, braucht es strukturelle Massnahmen, nicht nur im Bereich der Werbung. Damit liessen sich die hohen tabakbedingten Kosten im Gesundheitswesen und Absenzen am Arbeitsplatz effizient verringern. Die aktuelle Situation wird jedoch politisch, wider besseres Wissen, toleriert, weil die Tabakindustrie in der Schweiz eine bedeutsame Rolle auf dem Arbeitsmarkt hat.
Was kann man jetzt tun, um den Anteil der rauchenden Bevölkerung zu senken?
65% der Rauchenden haben vor dem 20. Altersjahr mit Rauchen begonnen. Um wenigstens die Kinder und Jugendlichen zu schützen, ist es wichtig, dass nun die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» vom Volk angenommen wird.
Lesen Sie auch die Stellungnahme der Kommission unter www.bag.admin.ch/eksn.