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Gefährlicher Medikamenten-Mischkonsum zu Rauschzwecken bei Jugendlichen

In der Schweiz nehmen Jugendliche Medikamente gemischt mit anderen Substanzen wie Alkohol ein, um sich zu berauschen. Das Phänomen ist bereits seit mehreren Jahren bekannt. Problematisch ist jedoch, dass immer häufiger auch jüngere Konsumierende betroffen sind. Im Auftrag des BAG hat Infodrog eine Bedarfs- und Situationsanalyse erstellt und Empfehlungen ausgearbeitet.

Der Mischkonsum von Medikamenten und weiteren psychoaktiven Substanzen kann unberechenbare Folgen haben: Zu Rauschzwecken werden Substanzen wie Alkohol mit Benzodiazepinen (verschreibungspflichtiges Schlaf- oder Beruhigungsmittel), oder opioidhaltigen Schmerzmitteln gemischt. Auch das Rauschmittel mit dem Trendnamen «Lean» (auch bekannt als «Purple Drank») – eine Mischung von Hustensaft mit zuckerhaltigen Getränken und teilweise Alkohol – ist eine geläufige Form von Mischkonsum. Seit 2018 sind mindestens 35 Jugendliche aufgrund von Mischkonsum gestorben.  

Obschon die Mehrheit der Jugendlichen in der Schweiz keine psychoaktiven Substanzen konsumiert, besteht gemäss Studien eine bedeutsame Gruppe, die entsprechende Konsumerfahrungen sucht. Die Schweizerische Koordinations- und Fachstelle Sucht Infodrog hat deshalb 2022 im Auftrag des BAG eine Situations- und Bedarfsanalyse zu Medikamenten- und Mischkonsum bei Jugendlichen erstellt.

Bericht zeigt Verschiebung beim Alter der Konsumierenden

Der Bericht von Infodrog zeigt, dass nationale Referenzstudien keine gesicherten Aussagen zur tatsächlichen Verbreitung und Entwicklung des genannten Phänomens machen. Es weisen jedoch verschiedene Datenquellen auf eine Zunahme der Bedeutung des Medikamentenkonsums bei Jugendlichen hin. Die Analyse der Datenlage sowie die durchgeführten Expertinnen- und Experteninterviews haben ergeben, dass der Mischkonsum bei Jugendlichen keiner Gruppe klar zugeordnet werden kann: Der Konsum ist in allen sozialen Schichten festzustellen und lässt sich keiner spezifischen, jugendlichen Subszene zuordnen. Gemäss der Analyse von Infodrog können jedoch folgende Punkte festgehalten werden:  

  1. Die Konsumierenden werden jünger (siehe Box 1).
  2. Es wird vermehrt in privaten Settings oder allein konsumiert – was die Erreichbarkeit von Konsumierenden erschwert.
  3. Die Attraktivität und Verfügbarkeit insbesondere von Benzodiazepinen und opioidhaltigen Schmerzmitteln ist gestiegen.
  4. Alkohol und Medikamente werden bewusster gemischt, um die Wirkung zu potenzieren.  

Laut Expertinnen und Experten sei die Konsumschwelle bei Jugendlichen bezüglich Medikamente tiefer, weil diese als sicherer und reiner wahrgenommen werden. Es gibt verschiedene Gründe, die zum Mischkonsum führen: Neben Spass, Party und sozialen Motiven wird der Konsum auch zur Selbstmedikation oder Regulation von Gefühlen und Stress eingesetzt. Besonders bei Letzterem ist Vorsicht geboten: Denn das Risiko, eine Suchterkrankung zu entwickeln, ist höher, wenn der Konsum von Substanzen als Bewältigungsstrategie von psychischen Belastungen dient.

Es besteht Handlungsbedarf

Der Bericht zeigt Handlungsbedarf in den Bereichen Prävention und Schadensminderung, Versorgungslage sowie Zusammenarbeit im Bereich der Regulierung auf. Da Jugendliche mit Medikamenten- und Mischkonsum keine einheitliche Gruppe darstellen, bezieht sich der Handlungsbedarf allgemein auf Jugendliche, die psychoaktive Substanzen konsumieren:  

  • Angebote der Prävention, Früherkennung und Frühintervention und der Schadenminderung sollen sich mehr auf die Jugendlichen und deren Bedürfnisse und Lebenswelt zubewegen und diese aktiv bei der Erarbeitung von Informationsmaterialien einbeziehen.
  • Es besteht Bedarf an niederschwelligen Anlauf- und Beratungsstellen für junge Konsumierende, um schadenmindernde Angebote auch für Jugendliche zu öffnen. Dies erfordert mehr Ressourcen an Frontstellen, also im Sucht- und im Jugendbereich sowie in der Sozialarbeit.
  • Es besteht ein Mangel an Behandlungskapazität und spezifischen Therapieangeboten von Jugendlichen mit Suchtproblemen.
  • Involvierte Akteure sollen über die aktuelle Wissensgrundlage informiert werden. Dafür sind Schulungen und Informationsmaterialien notwendig.
  • Es braucht eine verbesserte Kooperation und Sensibilisierung zwischen den zuständigen Fachstellen, um Jugendliche vor risikoreichem Gebrauch von Medikamenten zu schützen. Dazu gehören etwa Präventionsfachpersonen, aber auch Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker, die Medikamente abgeben.

​Neue Studie: Wodka, Benzos & Co: Jugendliche und junge Erwachsene mit Mischkonsum

Um den Mischkonsum besser zu erfassen, hat das Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung (ISGF) Jugendliche und junge Erwachsene online und in Workshops befragt. Die Ergebnisse werden an der Tagung «Mischkonsum bei Jugendlichen – neue Praxisansätze, aktuelle Forschungsresultate» vom 9. November vorgestellt. Die Studie zeigt, dass die Gruppe der Jugendlichen, die Medikamente gemischt mit anderen Substanzen konsumiert, sehr heterogen ist.  Sie mischen Medikamente zudem oftmals mit mehr als einer weiteren Substanz. Bei bestehenden Angeboten beobachten Fachleute nicht so viele Jugendliche mit Mischkonsum – sie werden so kaum erreicht. In den Workshops haben die Jugendlichen Ideen geliefert, wie man sie besser erreichen könnte, z.B. über die sozialen Medien, virtuelle Räume oder in Zusammenarbeit mit Personen, die bereits engen Kontakt mit Jugendlichen haben. Die Studie wurde vom Alkoholpräventionsfonds finanziert.

Box 1

In der im Jahr 2022 durchgeführten HBSC-Studie Studie geben 4 % der 15-Jährigen an, mindestens einmal in ihrem Leben ein Medikament mit der Absicht «sich zu berauschen» eingenommen haben. Ausserdem haben rund 7 % der 15-Jährigen mindestens einmal in ihrem Leben ein Medikament in Kombination mit Alkohol eingenommen. Die Schwelle, psychoaktive Medikamente zu konsumieren, scheint somit für junge Menschen tiefer zu sein als bei anderen illegalen Drogen. Gemäss der HBSC-Studie bleibt es bei der Mehrheit der 15-Jährigen jedoch in der Regel beim Probierkonsum. Eine Zürcher Studie liefert Hinweise, dass die Prävalenzen des Medikamentenkonsums bei 15- bis 20-Jährigen noch höher ausfallen (Jahresprävalenz des Missbräuchlichen Konsums von Codein (12.7%), Benzodiazepinen (5%), opioidhaltigen Schmerzmitteln (4.6%)).

Box 2

Aktivitäten des BAG

  • Sensibilisierung der Fachwelt und der Öffentlichkeit: Das BAG ist bemüht, die Datenlage zum Medikamenten- und Mischkonsum weiterhin zu verbessern und zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit beizutragen. Eine interne Arbeitsgruppe des BAG befasst sich hierfür mit dem Thema Medikamenten- und Mischkonsum bei Jugendlichen und prüft neue Daten- und Wissensgrundlagen
  • Am 9. November 2023 findet in Zusammenarbeit mit Infodrog das Forum «Mischkonsum bei Jugendlichen – neue Praxisansätze, aktuelle Forschungsresultate» statt. Die Veranstaltung richtet sich an Fachpersonen und trägt zur Koordination verschiedener Akteure und deren Sensibilisierung bei.
  • In Gremien wird das Thema regelmässig mit kantonalen Beauftragten für Suchtfragen, städtischen Fachpersonen und weiteren Akteuren aufgenommen, um Möglichkeiten der Sensibilisierung zu prüfen und die Entwicklungen in den verschiedenen Regionen verfolgen zu können. 
  • In Zusammenarbeit mit der FMH, dem Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte werden Möglichkeiten zur Sensibilisierung von Fachpersonen zum Thema Medikamente mit Abhängigkeitspotential geprüft. Der Fokus liegt dabei primär auf der Schmerzmedizin. Ein Modul zu diesem Thema wird im Rahmen des Projekts PEPra, Prävention mit Evidenz in der Praxis, erarbeitet.
  • Im Bereich der Gesundheitsversorgung werden Entwicklungen in Zusammenarbeit mit den Kantonen und involvierten Akteurinnen und Akteure verfolgt.

Weitere Informationen:

Infodrog Synthesebericht «Jugendliche mit Medikamenten und Mischkonsum – Situations- und Bedarfsanalyse – Empfehlungen»

Medikamente – Mit Jugendlichen darüber sprechen. Ein Leitfaden für Eltern.

Akzent Luzern – Prävention und Suchttherapie: Unterrichtsmaterialien

Jugendliche mit Medikamenten- und Mischkonsum - prevention.ch

Kontakt

Tanja Iff
Sektion Präventionsstrategien

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