
Nationale Präventionsprogramme geprüft und für gut befunden
Jul. 2012Nationale Präventionsprogramme
Evaluation Nationale Präventionsprogramme. In den Jahren 2010/2011 wurden die Nationalen Programme Alkohol, Tabak sowie Ernährung und Bewegung 2008–2012 von externen Stellen evaluiert. Die Evaluationen attestieren den Präventionsstrategien auf Bundesebene grosse gesundheitspolitische und volkswirtschaftliche Relevanz und eine wichtige Symbol- und Legitimitätsfunktion für die Akteure. Bei allen drei Programmen werden eine Verlängerung um vier Jahre und einige Optimierungen empfohlen. Der Bundesrat hat der Verlängerung der drei Programme im Mai 2012 zugestimmt. Hier eine Übersicht über die Empfehlungen der Evaluationsteams und darüber, wie sie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) umsetzt.
Nationales Programm Alkohol 2008–2012 (NPA)
2008 hat der Bundesrat das Nationale Programm Alkohol 2008–2012 (NPA) – das erste dieser Art – verabschiedet und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit dessen Umsetzung beauftragt. Damit wurde der Grundstein für eine kohärente nationale Politik gegen Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit gelegt. Das NPA wurde von allen relevanten Akteuren im Alkoholbereich (Bundesämter, Kantone, Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaftskreise) erarbeitet. Es verfolgt sieben Oberziele in zehn Handlungsfeldern. Zu den bisher umgesetzten Massnahmen gehören Testkäufe und Schulungen des Verkaufspersonals im Sinne des Jugendschutzgesetzes, die Förderung von kantonalen Aktionsplänen (KAP-Tagungen) oder die «Dialogwoche Alkohol», eine neuartige partizipative Kampagne. Auf die strukturellen Massnahmen, auf denen die Wirkungsziele mitunter basieren, wurde wegen der fehlenden politischen Mehrheitsfähigkeit verzichtet.
Guter Start, zu hohe Ziele
Der Evaluationsbericht von Interface Politikstudien und dem Institut IDHEAP hält fest, dass das NPA als nationale Dachstrategie den verschiedenen Akteuren Orientierung und Rückhalt bietet und dadurch Wirkung erzielt. Um die dafür notwendige Koordination und Organisation dieses ersten nationalen Alkoholpräventionsprogramms zu gewährleisten, musste zunächst viel Zeit in die Aufbauarbeit investiert werden. Es fand eine Sensibilisierung bei den Fachleuten, in den Kantonen, in der Bevölkerung und in der Politik statt. Auch der Austausch unter den Akteuren der Alkoholpolitik wurde verstärkt. Mit den Handlungsfeldern sind sämtliche wichtigen Bereiche der nationalen Alkoholprävention abgedeckt. Ebenfalls positiv gewertet wird die Wirtschaftlichkeit des Programms. Kritisch beurteilt wurde, dass die Wirkungsziele nach Wegfall der strukturellen Massnahmen nicht angepasst wurden. Diese Wirkungen ohne die entsprechenden Massnahmen zu erreichen, sei nicht realistisch.
Die fünf Empfehlungen der Evaluation:
Empfehlung 1: Weiterführung des NPA. Die Relevanz der Alkoholprävention des Bundes ist sowohl aus der Perspektive der öffentlichen Gesundheit wie aus volkswirtschaftlicher Optik gegeben. Eine vierjährige Laufzeit war für ein so ambitiöses Programm jedoch zu kurz.
Geplante Umsetzung: Das NPA soll weitergeführt werden, ein Umsetzungsplan wird bis Ende 2012 definiert. Für die Weiterführung spricht insbesondere, dass der Alkoholmissbrauch zu den wichtigsten vermeidbaren Todesursachen gehört. Vorherrschendes Anliegen bleibt der Jugendschutz.
Empfehlung 2: Verbesserung der konzeptionellen Grundlagen. Die Evaluation empfiehlt, realisierbare Ziele zu setzen und die beschränkten Mittel auf die Schwerpunkte zu konzentrieren, die das grösste Wirkungspotenzial versprechen.
Geplante Umsetzung: Vision und Oberziele des NPA 2008–2012 haben weiterhin Gültigkeit. Jedoch werden neu folgende strategische Schwerpunkte gesetzt:
1. Der Jugendschutz wird gestärkt. Die Gesellschaft unterstützt Jugendschutzmassnahmen.
2. Die Gesellschaft wird für die Schädlichkeit problematischen Alkoholkonsums sensibilisiert.
3. Die Akteure der Alkoholprävention werden so unterstützt, dass sie einen optimalen Beitrag zur Senkung des problematischen Alkoholkonsums leisten können.
Empfehlung 3: Einbindung der Kantone verstetigen. Die Kantone sollten noch stärker in das NPA einbezogen werden.
Geplante Umsetzung: Die Kantone werden noch stärker darin unterstützt, eigene kantonale Aktionspläne umzusetzen. Die Arbeiten zur Erhöhung der Transparenz im Einsatz des Alkoholzehntels werden dazu beitragen, dass die verfügbaren Mittel in den Kantonen gezielt für die Anliegen der Alkoholprävention und -therapie eingesetzt werden. Weiter sollen für die Kantone Grundlagen für die Umsetzung von Jugendschutzkonzepten an Grossanlässen geschaffen werden.
Empfehlung 4: Strukturelle Massnahmen erneut aufgreifen. Das NPA konnte seine Wirkungsziele unter anderem deshalb nicht erreichen, weil keine neuen strukturellen Massnahmen ergriffen wurden. Die Evaluation empfiehlt, die Integration griffiger struktureller Massnahmen erneut zu thematisieren.
Geplante Umsetzung: Neue strukturelle Massnahmen können nur umgesetzt werden, wenn sie politisch mehrheitsfähig sind. Das NPA zielt daher in der Verlängerungsphase v. a. auf die Verbesserung des Vollzugs des bestehenden Rechts (insbesondere Jugendschutz).
Empfehlung 5: Kontaktnetz der EAV nutzen. Die Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV) soll verstärkt als Brückenbauerin zur Alkoholindustrie und zum Gewerbe genutzt werden.
Geplante Umsetzung: Die Kontakte der EAV zur Industrie können dort intensiviert werden, wo Konsens in Bezug auf die Zielerreichung des NPA besteht. Dies ist vor allem im Jugendschutz der Fall. Zur Verbesserung der Koordination zwischen BAG und EAV finden bereits regelmässig Treffen statt.
Nationales Programm Tabak 2008–2012 (NPT)
Das Nationale Programm Tabak 2008–2012 (NPT) ist das Nachfolgeprogramm des Nationalen Programms zur Tabakprävention 2001–2008. Es verfolgt elf strategische Ziele in den vier Handlungsfeldern «Information und Meinungsbildung», «Gesundheitsschutz und Marktregulierung», «Verhaltensprävention» und «Koordination und Zusammenarbeit». Zu den wichtigsten Aktivitäten des NPT gehören die nationale Tabakpräventionskampagne, das Tabakmonitoring, das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen, Tabaksteuererhöhungen und die Erarbeitung eines Tabakproduktegesetzes.
Grosse Public-Health-Relevanz
Der Evaluationsbericht von Interface Politikstudien und dem Institut IDHEAP würdigt die grosse Public-Health-Relevanz und die Wirtschaftlichkeit des NPT. Der Tabakkonsum ist heute der wichtigste Risikofaktor für verlorene Lebensjahre und verursacht volkswirtschaftliche Kosten von jährlich rund 5 Milliarden Franken. Das NPT erhöht gemäss Evaluation die Sensibilisierung von Fachleuten, kantonalen Verantwortlichen und der Bevölkerung und ermöglicht den Austausch unter den Akteuren der Tabakpolitik. Zum Zeitpunkt der Evaluation im Jahre 2010 waren erste Erfolge des NPT sichtbar. So hat sich der Anteil der Bevölkerung, die in der Woche sieben Stunden oder mehr dem Passivrauch ausgesetzt ist, von 27% (2006) auf 10% (2010) reduziert. Auch der Raucheranteil ist leicht gesunken: in der Gesamtbevölkerung von 29% (2007) auf 27% (2010) und bei den 14- bis 19-Jährigen von 24% (2007) auf 22% (2010). Die Evaluation bezweifelt jedoch, dass bis Ende 2012 die Programmziele erreicht werden können.
Die vier Empfehlungen der Evaluation:
Empfehlung 1: Weiterführung des NPT. Trotz der Erfolge besteht weiterhin Handlungsbedarf. So stagniert etwa die Rauchprävalenz bei Jugendlichen, und die Aufhörbereitschaft in der Bevölkerung ist gesunken.
Geplante Umsetzung: Eine Verlängerung des Programms mit denselben Zielen ist sinnvoll. Im Zentrum stehen die Weiterführung der bestehenden Massnahmen und die Umsetzung der Evaluationsempfehlungen.
Empfehlung 2: Programm operationalisieren. Das aktuelle NPT verfügt über ein gutes, kohärentes Konzept, aber es sollte noch praxistauglicher werden. Das heisst, von den Zielen sollen konkrete Massnahmen und Indikatoren abgeleitet und den Partnern kommuniziert werden. So können die Partner ihre Präventionsaktivitäten leichter auf das NPT ausrichten.
Geplante Umsetzung: Im Auftrag der Strategischen Leitung des NPT und aufgrund von Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Tabakprävention erarbeitet die Programmleitung einen Entwurf für einen Massnahmenplan. Dieser wird am 10. Dezember 2012 im Rahmen der Partnerplattform Tabak diskutiert werden.
Empfehlung 3: Zusammenarbeit mit Kantonen weiter ausbauen. Für die Prävention sind in der Schweiz die Kantone zuständig. Ihre Rolle im NPT ist deshalb zu klären und zu stärken. Zu klären ist ausserdem, unter welchen Bedingungen der Tabakpräventionsfonds (TPF) kantonale Tabakpräventionsprogramme unterstützen kann.
Geplante Umsetzung: Die Programmleitung wird die Zusammenarbeit mit den Kantonen und den NGO verstärken. Zur Unterstützung für die Erarbeitung und Umsetzung kantonaler Programme wird im Herbst 2012 eine erste Veranstaltung durchgeführt.
Empfehlung 4: Tabakpräventionsfonds (TPF) und NPT koordinieren. Die Umsetzung des NPT leidet darunter, dass der TPF mit seinen finanziellen Mitteln die Schwerpunkte der Tabakprävention stark beeinflusst, obwohl die formelle Führungsrolle des BAG unbestritten ist. Der TPF sollte seine Vergabepolitik stärker am NPT orientieren. Dies bedingt jedoch, dass das NPT auf der Ebene der Massnahmen konkretisiert wird (siehe Empfehlung 2).
Geplante Umsetzung: Der TPF wurde bereits in die Strategische Leitung des NPT integriert. Damit wird seiner zentralen Rolle Rechnung getragen. Durch den in Erarbeitung befindlichen Massnahmenplan wird dem TPF ein zusätzliches Instrument als Orientierungshilfe bei der Mittelvergabe zur Verfügung stehen.
Nationales Programm Ernährung und Bewegung 2008–2012 (NPEB)
Im Juni 2008 hat der Bundesrat das Nationale Programm Ernährung und Bewegung 2008–2012 (NPEB) verabschiedet und das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sport (BASPO) und in Koordination mit der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz (GF-CH) und den Kantonen mit dessen Umsetzung betraut. Ziel des NPEB ist es, durch ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung einen Beitrag zur Vorbeugung von nichtübertragbaren Krankheiten zu leisten. Die grössten Risikofaktoren für diese Erkrankungen – Übergewicht und Adipositas – haben in den letzten 30 Jahren in der Schweiz stark zugenommen. 37% der Erwachsenen und 20% der Kinder sind heute in der Schweiz übergewichtig. Die jährlichen Folgekosten von Übergewicht und Adipositas und den damit verbundenen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs haben sich zwischen 2001 (2648 Mio. Franken) und 2007 (5755 Mio. Franken) mehr als verdoppelt.
Erfolgreiche Basisarbeit
Das NPEB startete vor drei Jahren in einem unübersichtlichen Umfeld. Gemäss Evaluation hat es wesentlich dazu beitragen, Übersicht zu schaffen, Aufgaben und Rollen der Hauptpartner zu klären und deren Aktivitäten besser aufeinander abzustimmen. Das Programm wird von den Akteuren als wichtig und notwendig erachtet. Der Evaluationsbericht von INFRAS, dem IUMSP Lausanne und Maud Krafft Consulting hält fest, dass es von den richtigen Partnern getragen wird und gut auf internationale Erfahrungen und Empfehlungen abgestützt ist. Obwohl das NPEB ein neues Programm ist, können in diversen Projekten erste wichtige Erfolge ausgewiesen werden. Zu nennen sind hier das Monitoringsystem Ernährung und Bewegung (MOSEB), die Initiative actionsanté, wichtige strategische Grundlagen für ein gesundes Lebensmittelangebot, die multisektorale Zusammenarbeit oder die kantonalen Aktionsprogramme.
Noch zu fragmentiert
Die Evaluation stellt aber auch einige Mängel fest. So hat das NPEB zwar den Informationsaustausch und die Abstimmung zwischen den Partnern verbessert, kann aber den Anspruch als Steuerungs- und Koordinationsinstrument zur Vereinheitlichung der Vorgehensweisen und Massnahmen von Bund, Kantonen und Privaten erst teilweise einlösen. Die Partner stimmen sich auf operativer Ebene so weit nötig ab, das Programm lässt sich aber nicht amts- und departementsübergreifend steuern. Dazu fehlt einerseits das Bekenntnis aller Partner, sich im Themenbereich Ernährung und Bewegung gemeinsam zu engagieren und ihre Projekte unter ein gemeinsames Dach zu stellen. Andererseits ist der Bezug von Projekten wie Suisse Balance oder der kantonalen Aktionsprogramme, die offiziell unter dem NPEB-Dach laufen, zum übergeordneten Dach des nationalen Programms zu wenig gegeben. Grosse Umsetzungsdefizite weist das NPEB bei der Kommunikation auf, weil sich die Hauptpartner bislang nicht auf ein gemeinsames Kommunikationskonzept einigen konnten. Das Programmkonzept ist zudem noch zu wenig konsistent und wirkungsorientiert. Die Ziele sind sehr allgemein formuliert und lassen sich nicht überprüfen.
Die vier Hauptempfehlungen der Evaluation:
Hauptempfehlung 1: Weiterführung des NPEB. Das NPEB ist positiv angelaufen und zeigt auf verschiedenen Ebenen Erfolg. Es bleibt aus Sicht der Gesundheitsförderung und Prävention relevant, ist national gut akzeptiert und international eingebettet.
Geplante Umsetzung: Eine Verlängerung ist insbesondere deshalb sinnvoll, weil Ernährung und Bewegung fünf der wichtigsten Risikofaktoren (Bluthochdruck, Cholesterol, Übergewicht/Adipositas, mangelnder Früchte- und Gemüsekonsum, Inaktivität) der nichtübertragbaren Krankheiten beeinflussen. Die Aktivitäten des NPEB wirken langfristig und lassen sich erst nach einer längeren Laufzeit bezüglich Wirkung evaluieren. Kontinuität ist daher notwendig für eine erfolgreiche Prävention.
Hauptempfehlung 2: Anpassungen auf strategisch-politischer Ebene. Die aktuellen Partnerschaften sollen beibehalten werden. Dies unter der Bedingung, dass alle Akteure ihre Aktivitäten unter das Dach des NPEB stellen. Die strategische Steuerung soll verbessert und ein effektives Aktionsprogramm geschaffen werden.
Geplante Umsetzung: Das NPEB wird 2013 mit den gleichen Partnern wie bisher fortgesetzt, die sich vermehrt auch kritisch mit inhaltlichen und strategischen Fragen des NPEB auseinandersetzen werden. Weiter soll die Zusammenarbeit und Funktion des aktuellen Steuerungsgremiums mit Blick auf ihre Rollen und Aufgabenverteilung geklärt werden.
Hauptempfehlung 3: Anpassungen auf strategisch-operativer Ebene des NPEB. 1. Die Ziele des Programms sollen kohärenter, wirkungsbezogener und überprüfbar formuliert werden. 2. Die nationale Koordination soll verbessert werden, indem die Funktion des NPEB als Scharnierstelle und Kompetenzzentrum gestärkt wird. 3. Ein Reporting soll eingeführt und die NPEB-Kommunikation nach aussen aktiver gestaltet werden.
Geplante Umsetzung: Basierend auf den bestehenden Oberzielen des NPEB, werden die Ziele (Output, Outcome, Impact) wirkungsbezogen und überprüfbar konkretisiert. Die diversen Massnahmen werden den definierten Zielen zugeordnet (Beiträge der Partner an die Zielerreichung). Die Formulierung wirkungsbezogener Ziele wird mit den Partnern vorgenommen. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage des Reportings geklärt.
Hauptempfehlung 4: Anpassungen auf strategisch-operativer Ebene des BAG. 1. actionsanté und MOSEB als Kernaktivitäten sollen weitergeführt werden. 2. Die Aktivitäten im Bereich Lebensmittelsicherheit als Basis für MOSEB und actionsanté sollen weitergeführt und ausgebaut werden. 3. Die interne Organisation im BAG soll vereinfacht werden. 4. Die multisektorale Politik im Bereich Alltagsbewegung soll weitergeführt werden.
Geplante Umsetzung: Das BAG wird bis Ende 2012 eine BAG-Strategie E+B mit den entsprechenden Zielen definieren. Der Fokus wird auf die Förderung eines gesunden Lebensmittelangebots, die Förderung der Alltagsbewegung und die Optimierung der Therapie gelegt. Die aufgebauten Aktivitäten werden gemäss Empfehlung weitergeführt.
Zusammenfassungen und Vollversionen der Evaluationsberichte sind erhältlich unter http://www.bag.admin.ch/evaluation/01759/index.html?lang=de
Kontakt
Eva Bruhin und Christine Heuer, Fachstelle Evaluation und Forschung, eva.bruhin@bag.admin.ch, christine.heuer@bag.admin.ch