Psychische Gesundheit: Geschlechterspezifische Tabus erkennen und überwinden
Feb. 2025Medizin, Gesundheit und Geschlecht
Die unterschiedliche Sozialisierung und gesellschaftliche Prägung von Männern und Frauen haben einen grossen Einfluss auf den Umgang mit psychischen Belastungen wie Stress oder Ängsten – und bleiben in der Gesundheitsversorgung trotzdem häufig unbeachtet.
Frauen sprechen öfter über psychische Belastungen und nehmen häufiger therapeutische Hilfe in Anspruch. Dies zeigen Zahlen des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) von 2022. Männer hingegen weisen laut Obsan-Zahlen zu Suizid und Suizidhilfe eine höhere Suizidrate auf – insbesondere Männer, die sich stark mit traditionellen maskulinen Rollennormen identifizieren.
Sozialisierung prägt Umgang mit psychischen Belastungen
Die nach wie vor unterschiedliche Sozialisierung trägt massgeblich dazu bei, wie Mädchen und Jungen im späteren Leben mit psychischen Belastungen umgehen. Mädchen werden tendenziell stärker ermutigt, über ihre Gefühle zu sprechen, während Jungen oft in einem Umfeld aufwachsen, das Stärke und Autonomie betont. Männer neigen daher dazu, Probleme zu verdrängen oder herunterzuspielen, was dazu führt, dass sie seltener Hilfe in Anspruch nehmen. Stattdessen greifen sie öfter auf Bewältigungsstrategien wie Alkohol- oder Drogenkonsum zurück. Frauen hingegen suchen häufiger frühzeitig Unterstützung und sind offener im Umgang mit ihren Gefühlen.
Gesellschaftliche Erwartungen beeinflussen ausserdem, welche Erkrankungen erkannt werden. Ein Beispiel ist ADHS: Jungen mit ADHS zeigen oft auffälliges Verhalten, während sich Mädchen mit ADHS anpassen und ihre Symptome seltener erkannt werden. Deshalb erhalten sie oft nicht die nötige Unterstützung.
Einfluss der sozialen Medien
Soziale Medien verstärken geschlechtsspezifische Unterschiede zusätzlich: Mädchen und Frauen sind auf Plattformen wie Instagram oder TikTok einem spezifischen Schönheitsideal und damit einem enormen Druck ausgesetzt. Demgegenüber erleben Jungen und Männer hohen Leistungsdruck und ihnen wird ein Bild von Stärke und Härte vermittelt.
Und: Allzu oft werden auf sozialen Medien auch problematische Inhalte verbreitet. Viele selbst ernannte «Experten» oder Gruppen fördern gefährliche Ideen wie zum Beispiel die Verherrlichung von Magersucht oder Selbstverletzung als Lebensstil. Deshalb ist es wichtig, dass Jugendliche die Kompetenz entwickeln, Inhalte kritisch zu hinterfragen und zwischen vertrauenswürdigen und problematischen Informationen zu unterscheiden.
Psychische Gesundheit thematisieren
Jedoch bieten soziale Medien auch Chancen. Jugendliche können sich dort mit Gleichgesinnten austauschen und Unterstützung bei psychischen Belastungen finden. Die jüngere Generation nutzt diese Plattformen zunehmend, um traditionelle Geschlechterrollen zu hinterfragen und offener über psychische Gesundheit zu sprechen, etwa durch das Teilen persönlicher Geschichten oder durch die Teilnahme an Hashtag-Kampagnen wie #MentalHealthAwareness.
Prävention und Bildung als Schlüssel
Um die geschlechterspezifischen Herausforderungen in Bezug auf die psychische Gesundheit besser zu bewältigen, sind unter anderem Präventions- und Bildungsangebote entscheidend. Der Massnahmenplan der Strategie zu nichtübertragbaren Krankheiten (NCD-Strategie) für die Jahre 2025 bis 2028 legt deshalb einen Fokus auf die Prävention psychischer Erkrankungen und die Förderung der psychischen Gesundheit.
Gemäss einer Studie von Gesundheitsförderung Schweiz muss die psychische Gesundheitsförderung die Bedürfnisse von Frauen und Männern gleichermassen berücksichtigen. Besonders Männer sollten ermutigt werden, frühzeitig Hilfe zu suchen. Schulen und Familien können hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie einen offenen Umgang mit Emotionen fördern und Hemmschwellen abbauen. Das Schulnetz21 und Projekte wie «MindMatters» unterstützen Schulen, die Schülerinnen und Schülern helfen, Stress zu bewältigen und Resilienz zu stärken. Als ergänzendes Angebot bietet éducation21 Lehrpersonen Materialien an, um Schülerinnen und Schüler für psychische Gesundheit und für den Abbau von Geschlechterstereotypen zu sensibilisieren.
Damit Stigmatisierungen abgebaut, der Zugang zu Hilfsangeboten erleichtert und eine unterstützende Umgebung geschaffen werden können, sowohl für Mädchen als auch für Jungen, ist nicht nur das Engagement von Fachpersonen nötig. Es braucht dazu die gesamte Gesellschaft. Nur so kann eine langfristig gesunde und offene Umgebung entstehen, in der alle Menschen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen.
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