
Rauchfreie Züge und Bahnhöfe: «Unsere Ängste waren völlig unbegründet.»
10 Jahre Rauchverbot in allen öffentlichen Verkehrsmitteln. Auf den Fahrplanwechsel vom 11. Dezember 2005 führten die Schweizerischen Bundesbahnen ein generelles Rauchverbot in Zügen und Bahnhöfen ein. Wir unterhielten uns mit den Verantwortlichen bei den SBB über Vorgeschichte, Umsetzung und Erfahrungen. Toni Häne, Leiter Personenverkehr und Mitglied der Geschäftsleitung und Christian Frisch, Leiter Flottenmanagement, erinnern sich, wie der ÖV mit dem Rauchverbot – trotz heftigem Widerstand der Tabakindustrie – ein wichtiges Signal für die ganze Gesellschaft gesetzt hat, das die Türen öffnete, um in Restaurants und anderen öffentlichen Gebäuden das Rauchen zu verbieten.
spectra: Bald sind es zehn Jahre seit der Einführung des Rauchverbots in Zügen und Bahnhöfen. Wie waren die Reaktionen des Publikums?
Häne: Wir hatten ja lange mit der Einführung gezögert, weil es unserer Ansicht nach nicht an den SBB war, die Leute umzuerziehen und sie zu zwingen, nicht mehr zu rauchen. Es brauchte einen generellen gesellschaftlichen Wandel. Man hatte am Anfang Angst, dass die Raucher nicht mehr mit uns fahren. Das war unbegründet, wir haben keinen Einbruch festgestellt.
Man könnte den Spiess auch umdrehen: Hatten Sie keine Angst, Nichtraucher als Kunden zu verlieren?
Frisch: Die grundsätzliche Frage war: Ist es – angesichts der klaren Überzahl von Nichtrauchern legitim, dass in Zügen überhaupt noch geraucht wird? Diese Diskussion hat uns bestärkt, einen Schritt weiter zu gehen und generell den Nichtraucherverkehr einzuführen. Das war ja ein gemeinsamer Beschluss des ganzen öffentlichen Verkehrs, nicht nur der SBB.
Also Sie sagen, dass es keine Probleme, keinen Widerstand bei der Einführung gab. Dann gab es auch begeisterte Reaktionen?
Häne: Die Zustimmung war wesentlich grösser als die Ablehnung. Das Thema ist nur noch gelegentlich aufgeflackert.
Wie ist die Bilanz ganz generell?
Häne: Wir hatten schon in den Jahren zuvor Versuche gestartet, die auf keine grosse Gegenliebe stiessen. Vor zehn Jahren war die Gesellschaft bereit für diesen Schritt und es gab keine grösseren Probleme oder Proteste. Der Zeitgeist und die Einstellung gegenüber dem Rauchen hatten sich geändert. Was heute undenkbar ist, das Rauchen in Zügen und Restaurants, war bis Ende des 20. Jahrhunderts selbstverständlich. Dann setzte eine Bewusstseinsveränderung ein und ich war erstaunt, wie schnell das Nichtrauchen in den Büros und in den Zügen akzeptiert – und zu einer Selbstverständlichkeit wurde. Das Fazit ist ganz klar positiv!
Woher kam 2005 der Anstoss zur Einführung des Verbots?
Frisch: Es wurde schon Jahre zuvor über die Aufteilung der Wagen in Raucher- und Nichtraucher-Abteile diskutiert – ein klares Zeichen dafür, dass sich etwas bewegt. Für uns war es klar, dass etwas geschehen musste, und wenn, dann auch in aller Konsequenz.
Häne: Es gab auch Probleme mit der Lüftung, denn diese Wagen hatten nur eine Klimaanlage pro Wagen. Eine saubere Trennung war nicht möglich, auch weil die Türen immer wieder auf- und zugingen. Mit der Einführung des Rauchverbots hatten wir viel weniger Aufwand beim Unterhalt. Der Reinigungsaufwand konnte reduziert werden.
Sie haben ja auch eine Forderung des seit Mai 2010 geltenden Arbeitsgesetzes erfüllt, nach der niemand in verrauchten Räumen arbeiten darf. Wie war die Reaktion der Betroffenen – Railbar-Mitarbeitende, ZugführerInnen?
Häne: Das hat zwar am Rande mitgeschwungen, war aber kein Hauptgrund.
Woher kam der heftigste Widerstand?
Häne: Ich erinnere mich, dass die Tabakindustrie immer reklamiert hat, der Verband der Tabakproduzenten hat sich vehement gegen die Einführung des Rauchverbots gewehrt. Denn das war natürlich ein Signal für die ganze Gesellschaft. Ich glaube, wenn wir diesem Schritt nicht gemacht hätten, dann hätte es ein Rauchverbot in der Gastronomie sehr schwer gehabt. Es brauchte einen wichtigen Bereich, der damit anfing, quasi als Türöffner. Vermutlich haben wir mit dem ÖV diese Rolle übernommen.
Da gab es eine Werbekampagne mit einem rauchenden Cowboy vor einem einsamen Bahnhof. Die visuelle Botschaft hiess: Wer nicht auf seine Zigarette verzichten kann, muss sein eigenes Pferd nehmen.
Häne: Ich erinnere mich daran, dass unser Sujet an den Marlboro-Man erinnerte, ein Cowboy im gelben Mantel auf dem Pferd. Das gab auch geharnischte Reaktionen vom entsprechenden Zigarettenhersteller, weil wir den Marlboro-Man missbraucht hätten.
Die Umstellung auf Nichtraucherbetrieb verlangte auch logistische Anpassungen. Wie haben diese ausgesehen?
Frisch: Die erste Welle der Umrüstung der rund 1'000 Fahrzeuge wurde auf den Fahrplanwechsel vom 11. Dezember 2005 hin, also quasi über Nacht durchgeführt. Wir hatten definierte Sets pro Fahrzeug vorbreitet, so dass wir das Raucherzeichen mit einem roten Strich durchkreuzen und die Nichtraucher-Piktogramme anbringen konnten. Anschliessend wurden schnell bauliche Anpassungen vorgenommen, also die Blockierung oder Demontage der Aschenbecher, die spätere Entfernung der Übergangstüren zu den Raucherabteilen.
Welche Kosten für Reinigung und Unterhalt konnten gespart werden?
Frisch: Genaue Zahlen haben wir nicht. Sicher ist, das es weniger zu tun gibt, rein prozessual, weil man die Aschenbecher nicht leeren muss, das spart Zeit und Geld. Ausserdem gab es früher durch die Asche, die am Boden lag, eine grössere Verschmutzung zu beseitigen.
Wie wird das Rauchverbot in den Bahnhöfen definiert, wo überall gilt es?
Häne: Das war nicht einfach. Nehmen wir das berühmte Beispiel, den Hauptbahnhof Zürich, eine Riesenhalle. Wo fängt das Rauchverbot an, oder anders gefragt: wo ist man draussen, wo nicht? Draussen rauchen ist ja nach wie vor erlaubt, aber eben nicht in Tunneln, im Tiefbahnhof oder beispielsweise im Bahnhof Bern in der grossen Unterführung. Auf dem Perron hingegen ist eigentlich fast Freiluft. Also wird dort das Rauchen toleriert.
Viele Pendler wünschen sich, beim Warten auf den Bahnsteigen nicht mehr durch den Rauch belästigt zu werden.
Häne: Wir kennen das Problem und haben es immer wieder geprüft. In Deutschland beispielsweise ist ein gewisser Teil des Perrons, vielleicht 4 auf 3 Meter, farblich als Raucherzone markiert. Das wiederum empfinde ich als Schikane für die Raucher.
Werden Bussen, 25 Franken für die Übertretung des Rauchverbots, oft ausgesprochen?
Häne: Es gibt immer mal wieder Bussen, wegen des Rauchens im Zug, vor allem auch in den S-Bahnen im Zürcher Nachtnetz, wenn die Nachtschwärmer morgens um 3 Uhr von ihren Partys heimfahren.
Frisch: Insbesondere auf Toiletten wird ab und zu geraucht. In geschlossenen Räumen, wo man nicht gesehen wird, ist die Versuchung natürlich grösser. Wer sich allerdings im Pendolino-WC eine anzündet, erlebt eine böse Überraschung: Denn dann geht aus Sicherheitsgründen die Sprinkler-Anlage im ganzen Wagen los.
Wie wird das Rauchverbot in den Bahnhöfen durchgesetzt? Und wie gehen Sie mit rauchenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um?
Häne: Die Durchsetzung des Rauchverbots in den Bahnhöfen ist Sache der Transportpolizei. Aber wir sind auch als Arbeitgeber gefordert. Wir haben Raucherräume für das Zugpersonal eingerichtet, weil wir nicht wollten, dass rauchende Mitarbeiter in Uniform irgendwo auf dem Perron oder vor dem Bahnhof stehen, das macht keinen guten Eindruck.
Dürfen eigentlich Lokführer während der Arbeit rauchen, die sind ja alleine im Führerstand?
Häne: Nein. Früher hatte es im Führerstand Aschenbecher drin, um zu verhindern, dass die Lokomotive in Flammen aufgeht, wenn jemand trotzdem raucht und eine brennende Zigarette fallen lässt. In den neuen Modellen hat es keine mehr.
Das Rauchverbot gilt auch für E-Zigaretten. Warum?
Frisch: Wir entscheiden nicht, ob etwas schädlich ist oder nicht. Obwohl E-Zigaretten weniger Rauch erzeugen, ist das Bild immer noch dasselbe. Also gewissermassen das Signal: Hier darf man rauchen. Weil dies schwierig zu handhaben ist, war es für uns klar, dass es keinen Grund gibt, E-Zigaretten zuzulassen.
Es ging bei der Frage des Rauchverbotes um ein Abwägen zwischen individueller Freiheit und dem Schutz Unbeteiligter, u.a. auch von Kindern. Gibt es eine solche Abwägung auch in anderen Bereichen?
Häne: Die Hausordnung unterstützt das Personal dabei, seinen Auftrag zu erfüllen. Etwa, wenn es darum geht, zu laute Musik abzustellen, das Betteln zu unterbinden, gegen Sachbeschädigung vorzugehen und natürlich auch das Rauchverbot durchzusetzen. Das sind nur ein paar Dinge aus dieser ganzen aktuellen Anstandsdiskussion. Da sind wir natürlich auch betroffen, weil der Zug ein sogenannter halb-öffentlicher Raum ist. Aber die Durchsetzung von Regeln ist stets eine Gratwanderung und braucht oft den gesunden Menschenverstand.