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Einmalige Chance zur Neuregelung der Cannabis-Politik

Die Pilotversuche mit Cannabis waren das Thema der diesjährigen Suchthilfe und Polizei (SuPo)-Tagung Ende November in Bern. Über 190 Personen haben an der Veranstaltung teilgenommen und gemeinsam die wichtigsten Eckpunkte der künftigen Cannabis-Politik diskutiert.

Anne Lévy, Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit BAG, begrüsste die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der SuPO-Tagung 2021 und betonte zugleich die einmalige Chance, die sich der Schweiz nun biete, um eine evidenzbasierte Neuregelung von Cannabis aufgrund der wissenschaftlichen Pilotversuche aufzugleisen. «Mit den Pilotversuchen lässt sich austesten, wie der Verkauf von kontrolliertem Cannabis geregelt werden soll, so dass eine Legalisierung sowohl der öffentlichen Gesundheit als auch der öffentlichen Sicherheit Rechnung trägt», so Lévy. Entscheidender Erfolgsfaktor für das Gelingen der Pilotversuche, sei eine enge Zusammenarbeit zwischen den Behörden, insbesondere der Polizei und den Studienverantwortlichen.

Danach folgten verschiedene Vorträge, unter anderem von Toni Berthel, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin SSAM, von Stephanie Stucki, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Infodrog sowie von Tom Decorte, Professor für Kriminologie an der Universität in Ghent.

Gesamtgesellschaftliche Diskussion

Toni Berthel führte in seiner Präsentation in die Geschichte des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) ein und legte dar, was aus seiner Sicht die Eckpunkte der Pilotversuche mit Cannabis sind. Positiv an der neuen Gesetzgebung zu den Pilotversuchen sei vor allem, dass nun auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene wieder über Cannabis gesprochen werde. Gleichzeitig befürchtet er das Ausbleiben einer baldigen Regulierung und kritisiert den Umstand, dass Minderjährige von den Pilotversuchen mit Cannabis ausgeschlossen sind.

Bei diesen Rahmenbedingungen knüpfte Stephanie Stucki an. Sie präsentierte die gesetzlichen Vorgaben zum Jugend- und Gesundheitsschutz, die in den Pilotversuchen gelten, und verwies darauf, dass diese zudem den Vorgaben des Humanforschungsgesetzes HFG entsprechen müssen. Anhand konkreter Massnahmen auf individueller und struktureller Ebene illustrierte Stucki, wie diese Vorgaben konkret umgesetzt werden können. Der von ihr im Anschluss vorgestellte Bericht «Gesundheitsschutz, Jugendschutz und Prävention – Orientierungsrahmen für die Pilotversuche mit Cannabis» enthält zudem freiwillige Massnahmen des Jugendschutzes oder der Früherkennung und Frühintervention, die innerhalb eines Pilotversuchs implementiert und evaluiert werden könnten. 

Das Ausmass an Regulierung war auch zentraler Bestandteil des Referats von Tom Decorte. Decorte sprach sich für eine starke Regulierung aus und warnte davor, den Cannabismarkt unreguliert den grossen Unternehmen zu überlassen. Aus seinen Studien zog er die Erkenntnis, dass eine Kommerzialisierung des Marktes als Indikator für gewisse unvorhergesehene Konsequenzen herangezogen werden kann. Aus den Erfahrungen im Alkohol- und Tabakbereich schlussfolgert Decorte, dass es sehr schwierig sei, einen ursprünglich liberalen Markt zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu regulieren. Er warnte deshalb vor einer überhasteten Liberalisierung und meinte, dass man dadurch die derzeit aktiven illegalen Organisationen durch gewinnmaximierende Industrien ersetzen würde. Seine Empfehlung lautete deshalb: «start slow and gentle and expand if evidence supports this». 

Im zweiten Teil seines Referats richtete Decorte den Blick auf die Auswirkungen auf die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten. Basierend auf unterschiedlichen Studien hält er in diesem Zusammenhang einen Bedarf nach klaren Instruktionen und Schulungen der Polizistinnen und Polizisten fest. Ähnlich wie schon einige Vorrednerinnen und Vorredner betonte Decorte zum Abschluss sowohl die Wichtigkeit von Absprachen hinsichtlich Diskretion im unmittelbaren Umfeld einer Cannabis-Verkaufsstelle als auch die Notwendigkeit einer kooperativen, respektvollen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Fachpersonen in den Verkaufsstellen. 

Don’t miss the train

Mit Òscar Pares, Direktor des International Center for Ethnobotanical Education, war ein Fürsprecher der Cannabis Social Clubs an der Tagung vertreten. In seinen Ausführungen legte er die Entwicklungsgeschichte der Cannabis Social Clubs in Katalonien dar, die geprägt ist von ständigen Rückschlägen in Bezug auf Regulierungsbestrebungen, um den negativen Folgen der Cannabisclubs entgegentreten zu können. Zahlreiche regulatorische Initiativen auf lokaler Ebene wurden von der Zentralregierung in Madrid ausser Kraft gesetzt. Pares präsentierte daher ein düsteres Bild der aktuellen Situation: Die Polizei bezeichnet die Cannabisproblematik als wichtigstes Sicherheitsproblem, gewaltsame Zwischenfälle nehmen zu. Aus Pares Feststellung, «we missed the train», wird deutlich, dass er die Schweiz um ihre Ausgangslage beneidet, eine gut überlegte Regulierung im Bereich Cannabis aufzugleisen.

Diskussionen in den Workshops

In den nach Regionen unterteilten Workshops diskutierten am Nachmittag Vertreterinnen und Vertreter der Polizei, Suchthilfe, Behörden oder anderer Organisationen über Fragen und Modelle der Zusammenarbeit im Rahmen der Pilotversuche. Ein weiterer Workshop war der aufsuchenden Sozialarbeit und deren Rolle im Zusammenhang der Pilotversuche gewidmet. In der zusammenfassenden Besprechung im Plenum wurde deutlich, dass der Bedarf nach Konsens gross und das Bewusstsein für die jeweilig unterschiedlichen Rollen zentral ist. Mögliche Herausforderungen wie etwa Schwierigkeiten hinsichtlich der Rekrutierung von Teilnehmenden für die Pilotversuche wurden genauso diskutiert wie die Chancen, die sich aus den Versuchen ergeben könnten. Als innovative Idee wurde etwa der Vertrieb von Cannabis in Altersheimen diskutiert. 

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Kontakt

Maya Ackerman
Sektion Politische Grundlagen und Vollzug
 

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