Auswirkungen der Pandemie auf Jugendliche und junge Erwachsene
Nach über einem Jahr Dauerbelastung durch die Corona-Pandemie zeigt sich, dass gerade auch Jugendliche in psychischer und sozialer Hinsicht leiden, da für sie der Kontakt zu Gleichaltrigen eine zentrale Rolle in der Entwicklung spielt. Studienresultate belegen, dass die Pandemie zu einem Stressanstieg führte und bestehende psychische Vorbelastungen verstärkt wurden. Hinzu kommt, dass Therapieplätze nach wie vor rar sind. Das BAG unterstützt verschiedene Projekte, die Informationen und Hilfestellung bieten.
Die eingeschränkten sozialen Kontakte während der Corona-Pandemie, die vielen verschobenen Schullager, Abschlussreisen, Festivals und vieles mehr waren für die Jugendlichen eine Belastung. Was gilt nun? Was läuft da ab? Was soll ich tun? Worauf darf ich mich auch nach den Lockerungen wieder freuen? Eine Krise wie die Corona-Pandemie verunsichert und kann dazu führen, dass das Leben aus dem Gleichgewicht gerät. Viele Jugendliche verlieren ihr Selbstbewusstsein, ziehen sich zurück, entwickeln gar Depressionen, etwa weil bewährte Strategien zur Stressbewältigung eingeschränkt sind, da man sich im Freundeskreis weniger austauschen kann oder weil Hobbies wegfallen.
Dazu kommt zum Beispiel für viele Studierende der Fernunterricht an den Universitäten und Fachhochschulen, der immer noch andauert. Der digitale Unterricht, aber auch finanzielle Probleme schlagen den Studierenden aufs Gemüt. Daher hat die Stimme der Studierenden in Bundesbern, der Verband der Schweizer Studierendenschaften VSS, dazu aufgerufen, sich intensiver mit den Folgen des Fernunterrichts zu beschäftigen.
Es verwundert daher nicht, dass der Stress und auch die depressiven Symptome bei den jungen Menschen deutlich zugenommen haben. Dies zeigen verschiedene Umfragen, wie auch die Online-Umfrage der Universität Basel zu den psychischen Belastungen im Jahr 2020 (siehe Grafik 1).
Grafik 1: Die Grafik zeigt, dass vor allem junge Menschen besonders stark von schweren depressiven Symptomen betroffen sind und die Belastung von der ersten zur zweiten Welle deutlich zugenommen hat. (Quelle: www.coronastress.ch)
Die neueste Corona Stress Study (im preprint) wurde zwischen dem 8. und 24. März 2021 bei 393 Studierenden zwischen 16 und 19 Jahren der Nordwestschweiz durchgeführt. Sie zeigt, dass die psychische Belastung im März 2021 immer noch hoch geblieben ist. Der Anteil Jugendlicher mit mittelschweren und schweren depressiven Symptomen beträgt mit 27 Prozent gut ein Viertel. Als gewichtigste Faktoren werden Schuldruck, Sorgen um eine schlechtere Ausbildung und geringere berufliche Chancen sowie Angst um eine Beschädigung des sozialen Netzwerks genannt. Schülerinnen und Schüler, die angaben, dass der Schuldruck durch die Pandemie grösser geworden sei, berichteten auch verstärkt von depressiven Symptomen.
Lange Wartelisten
Was die Situation für psychisch belastete Jugendliche zusätzlich erschwert, sind die nach wie vor langen Wartelisten bei den Therapeutinnen und Therapeuten. Die Betroffenen müssen oft eine Liste abtelefonieren und bekommen meist erst nach langer Suche einen Termin – wenn überhaupt. Dies wird von den Jugendlichen oft als fehlende Hilfestellung oder gar Abweisung wahrgenommen. Um die Situation zu entlasten, wurde vom Bundesrat der Weg für einen Systemwechsel im Abrechnungsmodell geebnet. Menschen mit psychischen Problemen erhalten ab Sommer 2022 einfacheren und schnelleren Zugang zur nötigen Unterstützung. Das alte Abrechnungsmodell führte zu einer Verknappung der verfügbaren Therapieplätze, da psychologische Psychotherapeuten im Gegensatz zu den Psychiaterinnen nur zulasten der Zusatzversicherung und nicht der Grundversicherung abrechnen konnten. Dies führte dazu, dass oft auch aus finanziellen Gründen auf eine Therapie verzichtet wurde.
Forschungsprojekte für die Jugend
Jugendliche sind aus entwicklungsbiologischer Sicht in einer sensiblen und prägenden Lebensphase. So haben bei Jugendlichen soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen im Kontext der Identitätsbildung und der Loslösung vom Elternhaus eine zentrale Bedeutung. Führen die Veränderungen in den sozialen Interaktionen und aufgrund der Kontaktbeschränkungen zu emotionalen Schwierigkeiten wie Stress, Isolation oder Unsicherheit über die eigene Zukunft? Hat die Pandemie allenfalls gar mittel- und längerfristige Folgen wie beispielsweise Auswirkungen auf das Beziehungs- und Bindungsverhalten? Um dies zu untersuchen, hat das BAG eine entsprechende Studie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Auftrag gegeben.
Die Studie, welche das Büro für Arbeits- und Sozialpolitische Studien BASS AG durchgeführt hat, zeigt, dass die Corona-Krise wie ein «Katalysator» wirkt, das heisst, dass die Corona-Krise bestehende Vorbelastungen bei Kindern und Jugendlichen verstärkte. Die Erkenntnisse sind im ersten Teilbericht zum Einfluss der Covid-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung und die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung in der Schweiz festgehalten. Wer bereits vor der Krise psychisch belastet war, verspürt eher eine Verschlechterung des Wohlbefindens. Befragte mit einem hohen Wohlbefinden vor der Krise konnten dieses häufiger halten oder sogar verbessern. Schliesslich gab es aber auch positive Nebeneffekte. So wurde zum Beispiel ein Rückgang beim Alkohol- und Drogenkonsum sowie beim Cyberbullying festgestellt.
Auch Befragungen bei Studierenden der ETH und der ZHAW zeigen negative wie positive Effekte: So gab es einerseits eine Zunahme des Stressempfindens, der Einsamkeit, der Angst und der depressiven Symptome. Und die Stressoren haben sich verändert: Vor der Corona-Krise stand die Sorge, etwas zu verpassen im Zentrum, im Lockdown hingegen standen die Sorgen um die eigene Gesundheit und Zukunft sowie um Familie und Freunde im Vordergrund. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass Bewegungen in beide Richtungen stattgefunden haben und sich die Corona-Krise bei einigen Studierenden positiv auf manche Aspekte ihres Lebens ausgewirkt hat.
Projekte zur Förderung des niederschwelligen Zugangs
Da Kinder- und Jugendjahre die Gesundheit im Erwachsenenalter beeinflussen, setzt das BAG auf Präventionsmassnahmen im Bereich Früherkennung und leistet während der Pandemie finanzielle Unterstützung an bestehende Projekte zur Förderung der psychischen Gesundheit für Kinder und Jugendliche. So können Kapazität und Nutzung der Angebote wie Beratungskanäle per Telefon, Websites, Chat, E-Mail und SMS (siehe Box) erweitert werden.
Ob die beobachtete Zunahme an psychischen Problemen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen andauern oder wie rasch diese Probleme mit den gegenwärtigen Besserungen und nach Ende der Pandemie allenfalls auch wieder zurückgehen, lässt sich derzeit nicht mit Bestimmtheit voraussagen, da die Entwicklungen im Bereich der psychischen Gesundheit von verschiedenen Faktoren abhängen, so beispielsweise auch von der wirtschaftlichen Entwicklung.
Beispiele von Unterstützungsangeboten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene:
Dureschnufe.ch
Die Plattform www.dureschnufe.ch ist ein Netzwerkprojekt mit verschiedenen Partnern, die spezifisch in Bezug auf die Corona-Krise entwickelt wurde und auf die Deutschschweizer Bevölkerung fokussiert. Dabei sollen die Zugänglichkeit und Sichtbarkeit bereits vorhandener Angebote zur Unterstützung der psychischen Gesundheit erhöht werden. Die Informationen sind sodann in verschiedene Themen gebündelt: Familie, Homeoffice, Einsamkeit, Probleme zu Hause, finanzielle Sorgen, Medienflut, Suchtverhalten etc. Die 25- bis 34-Jährigen gehören zu den häufigsten Nutzerinnen und Nutzern dieser Angebote.
Ciao.ch
Ein sehr gut genutztes Angebot in der Westschweiz ist www.ciao.ch. Die Informationswebsite ist nur eines der von Gesundheitsförderung Schweiz geförderten Projektes im Bereich psychischer Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen.
Pro Juventute
Die Beratungsangebote und Plattformen der Schweizer Stiftung Pro Juventute bieten ebenfalls in allen Landesteilen Unterstützung an; via Telefon sowie in den digitalen Kanälen (Chat, SMS, E-Mail), www.147.ch und www.projuventute.ch
Santépsy.ch
Die Webseite www.santépsy.ch fokussiert auf die Förderung psychischer Gesundheit in der lateinischen Schweiz und den zweisprachigen Kantonen Fribourg und Wallis. Sie ist in Zusammenarbeit der Westschweizer Kantone entstanden, unterliegt der Leitung der Conférence Latine des Affaires Sanitaires et Sociales (CLASS) in operativer Partnerschaft mit der Coordination romande des associations d’action pour la santé psychique (Coraasp). Die neu lancierten Sonderseiten im Rahmen der Kampagne „Covid-19 und psychische Gesundheit“ verzeichneten mit insgesamt rund 31 000 Nutzenden im April 2020 enorm hohe Klickraten. 25 % der Nutzerinnen und Nutzer waren 25-34 Jahre alt.
Dargebotene Hand 143
Das Sorgentelefon des Schweizerischen Verbands «Die Dargebotenen Hand» unter der Telefonnummer 143 ist kostenlos, anonym und steht täglich in drei Landessprachen und rund um die Uhr zur Verfügung. Dafür stehen mehr als 600 ehrenamtlich Mitarbeitende zur Verfügung, die von Fachleuten begleitet werden.
Pro Mente Sana
Die Beratungsangebote der Stiftung www.promentesana.ch richten sich an Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung und deren Angehörige.
Reden kann retten
Die Webseite: wwww.reden-kann-retten.ch ist Bestandteil einer nationalen Suizidpräventionskampagne, die von der SBB, Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich und weiteren Partnern initiiert und nach Kampagnenabschluss vom BAG übernommen wurde. Für die primären niederschwelligen Beratungs- und Notfallangebote wird wiederum auf die Telefonnummern der Dargebotenen Hand und von Pro Juventute verwiesen.
Weiterführende Informationen
Swiss Corona Stress Study, Universität Basel https
Neueste Umfrage (Preprint): Swiss Corona Stress Study: survey in high school students, March 2021, https://osf.io/fswck/
„Der Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung und die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung in der Schweiz – Erster Teilbericht“, Büro BASS, November 2020
Medienmitteilung VSS, 8. April 2020, «Hilferuf der Studierenden in Zusammenhang mit Covid-19»
Meichun-Mohler Kuo et al, Stress and Mental Health among Children/Adolescents, TheirParents, and Young Adults during the First COVID-19 Lockdown in Switzerland (mdpi.com), Int. J. Environ. Res. Public Health 2021, 18(9), 4668;
Medienmitteilung Ciao Corona, Universität Zürich, «Jedes fünfte Schulkind hatte schon Corona», 21. Mai 2021
Thomas Radtke et al., Long-term symptoms after SARS-CoV-2 infection in school children: population-based cohort with 6-months follow-up, preprint
Swiss National COVID-19 Science Task Force, Policy Brief, 27. April 2021, «Die Rolle von Kindern und Jugendlichen bei der COVID-19-Epidemie» Stefanie Schmidt et al, Age-related effects of the COVID-19 pandemic on mental health of children and adolescents, Eur J Psychotraumatol 2021 Apr 16;12(1):1901407. doi: 10.1080/20008198.2021.1901407
Thomas Volken et al, Depressive Symptoms in Swiss University Students during the COVID-19 Pandemic and Its Correlates, Int J Environ Res Public Health, 2021 Feb 4;18(4):1458, doi: 10.3390/ijerph18041458. /