Jede zwanzigste Person in der Schweiz ist kaufsüchtig
Mär. 2021Verhaltenssüchte
Der Anteil der Schweizer Bevölkerung, der an einer Kaufsucht leidet, liegt bei 4,8 %. Das Aufkommen von Online-Shops scheint mit einer Verschiebung der Geschlechterverhältnisse einherzugehen. Möglicherweise sind neu gleich viele Männer wie Frauen betroffen.
Im Mai 2020 hat das BAG die Resultate einer repräsentativen Umfrage bei 1012 Teilnehmenden im Alter von 18 bis 92 Jahren zum Kaufsuchtverhalten in der Schweiz veröffentlicht. Gemäss der Umfrage sind in der Schweiz 4,8 der Bevölkerung kaufsüchtig. Das entspricht hochgerechnet rund 330 00 Personen.
Erstmals Online-Kaufverhalten untersucht
Seit der Jahrtausendwende haben sich mehrere grosse Online-Händler (etwa Zalando, Amazon, Galaxus oder Wish) auf dem Markt etabliert. Um herauszufinden, wie verbreitet unter diesen neuen Bedingungen die Kaufsucht ist, hat die vom Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung (ISGF) durchgeführte Untersuchung zum ersten Mal auch das Online-Kaufverhalten unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Einkaufserlebnis in Boutiquen oder Shoppingcentern immer noch mehr Kaufsüchtige anzusprechen scheint als das Online-Shopping (3,8 versus 2,9 der Befragten), auch wenn sich die beiden Gruppen teilweise überlappen: 1,8 der Befragten realisieren ihre Kaufsucht sowohl in realen Geschäften als auch online.
Während die Kaufsucht in der wissenschaftlichen Literatur bisher vor allem mit den Merkmalen jung, weiblich und wenig gebildet in Verbindung gebracht wurde, zeichnet die neue Untersuchung ein anderes Bild. Bei den Kaufsüchtigen sind Personen mit einem tiefen Bildungsstand zwar immer noch übervertreten, doch in Bezug auf Alter und Geschlecht lassen sich Kaufsüchtige und Nichtkaufsüchtige statistisch gesehen nicht mehr unterscheiden. Wenig überraschend spielt das Alter beim Kaufsuchtverhalten im Online-Bereich eine Rolle, was mit der höheren Internetaffinität von jüngeren Personen zusammenhängt.
Die Daten der neuen Umfrage liefern auch erste Anzeichen, dass die Männer in Sachen Kaufsucht die Frauen eingeholt – und «beim Kaufsuchtverhalten im Online-Bereich sogar überholt» – haben, halten die Forschenden in ihrem Schlussbericht fest. Generell kauften Frauen eher Kosmetik, Kleider, Schmuck und Schuhe; Männer eher Elektronik und technische Geräte, aber auch hier gebe es eine Angleichung.
Zwischentöne
Eine Kaufsucht entwickelt sich oft schleichend. Zu Beginn hilft das Shoppen vielleicht, unangenehme Gefühle wie Trauer, Leere oder Einsamkeit zu verarbeiten. Doch wenn sich die Einkaufstouren intensivieren und sich die Rechnungen türmen, dient das Shoppen oft nur noch dazu, von den Mahnungen abzulenken oder die drohende Betreibung zu verdrängen. So verselbstständigt sich das Verhalten – und schliesst sich der Teufelskreis.
Zwischen einem pathologischen Kaufsuchtverhalten und den problemlosen, gelegentlichen Shopping-Erlebnissen gibt es viele Zwischentöne. Die Autoren des Berichts plädieren deshalb dafür, die Bevölkerung nicht nur in zwei, sondern in drei Gruppen einzuteilen. Gemäss ihren Schätzungen weist die grosse Mehrheit (etwa drei Viertel der Personen) ein unproblematisches Kaufverhalten auf. Ungefähr 5 zählen aufgrund ihres ausgeprägten Kaufsuchtverhaltens zu den Kaufsüchtigen. Und die restlichen 20 charakterisieren sich durch ein risikoreiches Kaufverhalten, das nicht unbedenklich sei, weil es in eine Kaufsucht münden könne.