«In der Allgemeinbevölkerung haben wir keine Zunahme der psychischen Probleme beobachtet»
An der Stakeholderkonferenz Sucht vom 16. September 2021 stellt Professorin Meichun Mohler-Kuo ihre Studie zu den Auswirkungen von Covid-19 auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vor. Im Interview spricht sie über die Ergebnisse.
Hat sich die psychische Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und Eltern durch die Pandemie verändert?
Wir haben festgestellt, dass Eltern, junge Erwachsene und Kinder über relativ viel Stress berichten. Aber wir können nicht sagen, dass sich ihre psychische Gesundheit verändert hat – denn uns liegen keine Daten von vorher und nachher vor, die wir vergleichen können. Wir haben lediglich Daten von jungen Erwachsenen von vor und nach dem Lockdown. Und hier beobachten wir keine Unterschiede in Bezug auf Symptome von Depression, Angst und ADHS. Stress kann psychische Krankheiten verursachen, ist aber per se noch keine Erkrankung.
Wie verbreitet sind psychische Probleme als Folge der Pandemie?
In der Allgemeinbevölkerung haben wir keine Zunahme der psychischen Probleme beobachtet. Dies wird auch durch viele andere internationale Studien bestätigt. Allerdings haben wir eine hohe Internetnutzung – durchschnittlich 4 Stunden pro Tag – und Stress festgestellt. Diese Belastungen könnten sich zu psychischen Problemen entwickeln, wenn sie anhalten. Das müssen wir weiter beobachten. Ausserdem gab es in der Schweiz, im Gegensatz zu anderen Ländern wie China, Italien oder Frankreich keine sehr strengen Massnahmen wie Ausgangssperren usw. Unsere Prävalenzrate von Depressionen und Angstzuständen bei Kindern war im Vergleich zu Studien in China und Italien niedriger. Die in diesen Studien gefundenen höheren Prävalenzraten können damit erklärt werden, dass die Studien schwer mit unseren Studien zu vergleichen sind. Eine andere mögliche Erklärung: Diese Länder waren durch die Pandemie in Bezug auf die Zahl der Fälle und die Sterblichkeit stärker betroffen und hatten daher im Vergleich zur Schweiz strengere Massnahmen von ihren Regierungen auferlegt bekommen.
Was sind die konkreten Ursachen, wenn sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie verändert?
Wir brauchen mehr umfassende Studien, um die konkreten Ursachen zu untersuchen. Kinder und Jugendliche fühlten sich am meisten dadurch gestresst, dass sie wichtige Pläne oder Ereignisse ändern, verschieben oder absagen mussten. Und dass sie nicht an sozialen Aktivitäten in Freizeit und Schule teilnehmen konnten. Routinen wurden unterbrochen. Wir beobachteten auch relativ hohe Prävalenzen von externen Verhaltensweisen wie Aggression oder Symptome von ADHS. Dies wegen eingeschränkten Aktivitäten sowie dem Abbruch ihrer sozialen Aktivitäten und Kontakte. Deshalb gehen wir davon aus, dass Kinder, die unter Stress stehen, mehr externe Verhaltensweisen aufweisen.
Welche Bewältigungsstrategien haben sich bewährt?
Versuchen, die guten Seiten der Dinge zu sehen und/oder sich auf etwas Gutes konzentrieren. Wir haben festgestellt, dass die Anwendung solcher positiven Bewältigungsstrategien mit weniger psychischen Problemen und einer besseren Lebensqualität verbunden ist.
Sie haben auch den Effekt der Pandemie auf den Substanzkonsum untersucht. Inwiefern beeinflusst die Pandemie das Suchtverhalten?
Wir haben den Substanzkonsum von jungen Erwachsenen vor und nach dem Lockdown untersucht. Interessanterweise haben wir festgestellt, dass das Verhalten des riskanten Alkoholkonsums (definiert als 4 Gläser bei Frauen und 6 Gläser bei Männer innerhalb weniger Stunden) während der Pandemie sowohl bei Männern als auch bei Frauen abgenommen hat. Der Rückgang ist bei Frauen stärker ausgeprägt. Junge Leute trinken vor allem an Partys risikoreich Alkohol – das hat während dem Lockdown abgenommen, da sich nur eine begrenzte Anzahl Personen treffen durfte.
Professorin Meichun Mohler-Kuo ist für La Source, Institut et Haute Ecole de la Santé, HES-SO und für die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) und der Universität Zürich tätig.