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«Konsumierende müssen wissen, dass Mischkonsum gefährlich ist»

Wer gleichzeitig mehrere psychoaktive Substanzen zu sich nimmt, riskiert unberechenbare Folgen. Denn wie mehrere psychoaktive Substanzen kombiniert auf den Körper oder auf das Bewusstsein wirken, ist kaum vorhersehbar. Dominique Schori, Teamleiter bei Saferparty Streetwork, gibt Auskunft über Risiken, Verbreitung und Prävention von Mischkonsum.

Was heisst «Mischkonsum»?

Mischkonsum bedeutet die gleichzeitige oder kurz aufeinanderfolgende Einnahme zweier oder mehrerer psychoaktiver Substanzen, so dass sich deren Wirkspektren überlagern.

Warum werden mehrere psychoaktive Substanzen kombiniert?

Die Motive für Mischkonsum sind so heterogen wie die Konsumierenden von psychoaktiven Substanzen. Grob unterscheiden wir zwischen Verstärkungsmotiven, Bewältigungsmotiven und sozialen Motiven. Bestimmte Substanzen werden gemischt, um die Wirkung zu verstärken, so beispielsweise dämpfende Substanzen wie Opioide und Benzodiazepine. Als Bewältigungsmotiv bezeichnen wir beim Mischkonsum den Versuch, unangenehme oder störende Nebenwirkungen einer bestimmten Substanz mit einer anderen Substanz zu unterdrücken. Häufig wird im Nachtleben z.B. Kokain zusammen mit Alkohol konsumiert: Kokain unterdrückt typische Nebenwirkungen des übermässigen Alkoholkonsums wie Sprech- und Gehstörungen. Häufig ist der Mischkonsum auch durch das soziale Umfeld motiviert. So konsumieren z.B. Jugendliche und junge Erwachsene häufig Alkohol zusammen mit Cannabis. Für sie gehört der Konsum dieser beiden Substanzen oft zu einem normalen "Ausgang".

Was sind mögliche Folgen von Mischkonsum?

Die Wirkungen, die eine Kombination zweier oder mehrerer Substanzen auslösen, lassen sich kaum abschätzen. Die kumulierte Wirkung entspricht in der Regel nicht der Summe der Einzelwirkungen. Mischen birgt zusätzliche hohe Gesundheitsrisiken. Je nach Substanz verstärken sich die jeweiligen Effekte – manchmal um das Vielfache. Oder sie beeinflussen Körper und Psyche in verschiedene Richtungen. Beides kann Körper oder Psyche extrem belasten. Die Gefahr unangenehmer Zwischenfälle erhöht sich durch Mischkonsum.

Welche Mischungen sind für Konsumierende besonders gefährlich?

Mischungen von Substanzen, die über ein ähnliches Wirkspektrum verfügen. So birgt der gleichzeitige Konsum von dämpfenden Substanzen wie Alkohol, Benzodiazepinen oder Opioiden das Risiko, dass der Blutdruck lebensgefährlich absinkt oder eine tödliche Atemlähmung auftritt. Riskant ist auch, wenn sich Konsumierende nicht bewusst sind, dass ein verschreibungspflichtiges Medikament eine psychoaktive Wirkung hat und mit anderen Substanzen gefährliche Wechselwirkungen haben kann. Bestimmte Antidepressiva hemmen z.B. die Wiederaufnahmen des Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Konsumiert nun jemand, der solche Medikamente regelmässig einnimmt, den Ecstasy-Wirkstoff MDMA, kann dies die Serotoninkonzentration im Gehirn extrem erhöhen. Dies kann zu Krampfanfällen oder Atemstillstand führen.

Bei welchen Bevölkerungsgruppen kommt Mischkonsum besonders oft vor?

Dazu können wir keine repräsentativen Angaben machen. Der Konsum von illegalen Substanzen ist mit hoher Stigmatisierung verbunden und spielt sich deshalb häufig im Verborgenen ab. Einen Einblick in die Konsumrealitäten von Freizeitdrogenkonsumierenden gibt die nationale Befragung von Infodrog, die in sämtlichen Drug-Checking-Angeboten der Schweiz durchgeführt wird. Diese nicht-repräsentative Befragung einer konsumaffinen Gruppe zeigt, dass dort Mischkonsum sehr verbreitet ist. Rund drei Viertel aller Befragten geben an, in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal Mischkonsum betrieben zu haben. Sehr verbreitet ist der Mischkonsum sicherlich bei chronisch mehrfachabhängigen Personen, wie Erhebungen aus niederschwelligen Einrichtungen zeigen.

Welche Substanzen werden am häufigsten gemischt?

Unter Freizeitdrogenkonsumierenden wird am häufigsten Alkohol mit einer weiteren Substanz gemischt. Das heisst Alkohol mit Cannabis, Kokain, MDMA oder Amphetamin. In niederschwelligen Einrichtungen wie Kontakt- und Anlaufstellen stehen Substanzen wie Heroin, Kokain, Benzodiazepine, aber auch Alkohol und Cannabis im Vordergrund.

Gibt es beim Mischkonsum neue Trends?

Einzelne Fachleute vermuten, dass der Konsum von psychoaktiven Medikamenten bei Jugendlichen in den letzten Jahren zugenommen hat. Im letzten Jahr gab es in mehreren Schweizer Städten Fälle, bei denen Jugendliche nach dem Mischkonsum von psychoaktiven Medikamenten (Opioide wie z.B. Tilidin und Bezodiazepine wie z.B. Xanax) mit anderen Substanzen wie Alkohol verstorben sind.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Konsumierende müssen wissen, dass Mischkonsum gefährlich ist. Sie müssen besser sensibilisiert werden. Gerade weil Mischkonsum in bestimmten Bevölkerungsgruppen weit verbreitet ist, ist es unerlässlich, diese gezielt aufzuklären. Sie müssen die zusätzlichen und spezifischen Risiken bestimmter Substanzkombinationen kennen. Wir müssen auch immer wieder darauf hinweisen, dass viele verschreibungspflichtige Medikamente psychoaktiv wirksam sind und dementsprechend teils gefährliche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen verursachen können. Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist es zudem wichtig, problematische Konsummuster frühzeitig zu erkennen und bei Bedarf die nötige Unterstützung zu bieten.

Welche Massnahmen helfen, Mischkonsum zu reduzieren?

Zuerst benötigen wir den Kontakt zu Personen, die Mischkonsum betreiben. Voraussetzung dafür ist, dass Angebote ein Setting schaffen, das auf einer akzeptanzorientierten Grundhaltung basiert, wie wir das im Drogeninformationszentrum Zürich seit Jahren praktizieren.

Das heisst, den Mischkonsum akzeptieren?

Akzeptanzorientiert meint nicht, dass wir Mischkonsum gutheissen. Aber wir akzeptieren, dass Menschen sich aus den unterschiedlichsten Motiven für oder gegen den Konsum von psychoaktiven Substanzen entscheiden. Auch wenn wir immer wieder auf die zusätzlichen Risiken von Mischkonsum hinweisen, entscheiden sich doch viele unserer Klientinnen und Klienten dafür. Ein wertender oder nicht neutraler Umgang mit der Thematik führt in der Regel eher dazu, dass sich Personen von Unterstützungsangeboten abwenden. In unseren Beratungsgesprächen geht es vielmehr darum, die Motive für den Mischkonsum gemeinsam zu ergründen, das eigene Konsumverhalten kritisch zu reflektieren und bei Bedarf eine Veränderungsmotivation aufzubauen. Konsumierende sind erfahrungsgemäss eher dazu bereit, ihren Konsum zu reflektieren, wenn sie sich in ihren Fragen, Vorstellungen und Befürchtungen ernst genommen fühlen.

Darüber hinaus ist es selbstverständlich wichtig, auf die lebensgefährlichen Auswirkungen einiger Kombinationen hinzuweisen, weil es gerade für sehr spezielle und nicht alltägliche Kombinationen bei den Konsumierenden schlicht an Grundlagenwissen fehlt. Wird beispielsweise Amylnitrit, das zur Luststeigerung eingenommen wird, mit bestimmten Potenzmitteln wie Viagra eingenommen, kann dies zu einer plötzlichen Senkung des Blutdrucks und der Herzfrequenz mit tödlichem Ausgang führen.

Wo finden Konsumierende, Angehörige oder Fachpersonen Informationen?

Für spezifische Fragen zu Mischkonsum stehen in der Schweiz verschiedene spezialisierte Fachstellen zur Verfügung. Nebst dem Drogeninformationszentrum in Zürich existieren auch in den Städten Basel, Bern, Biel, Genf und Luzern entsprechende Angebote. Auf der Webseite www.saferparty.ch und den Webseiten der anderen Drug-Checking-Angebote finden sich viele nützliche Informationen für alle Anspruchsgruppen. Auf der Plattform www.suchtindex.ch finden Konsumierende und Angehörige Hilfsangebote in ihrer Region. Seit einigen Jahren gibt es ein Online-Tool, das eine erste grobe Einschätzung für die zusätzlichen Risiken von Mischkonsum erlaubt (www.combichecker.ch). Eine gute Übersicht für Fachpersonen und Konsumierende bieten zudem zwei Factsheets von Infodrog, die im Dezember 2020 publiziert worden sind.

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Kontakt

Simona De Berardinis
Leiterin der Nationalen Strategie Sucht

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