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«Nachtleben ist nicht nur Risiko, sondern kann auch positive Effekte auf die psychische Gesundheit haben»

Die NIGHTS ist die international wichtigste Konferenz zu urbaner Freizeitkultur. Sie findet vom 10. bis 12. November 2022 in Zürich statt. Hier tauscht sich aus, wer mit Nachtleben und Festivalkultur zu tun hat. Diskutiert werden auch Themen der öffentlichen Gesundheit, weshalb das BAG die Konferenz finanziell unterstützt. Im Interview spricht NIGHTS-Projektmanager Alexander Bücheli über Gesundheit und Schadensminderung im Nachtleben. Party feiern sei nicht nur allfälliges Risikoverhalten, sondern könne auch einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit haben.

Sie haben die Konferenz NIGHTS2022 mitorganisiert. Welches Ziel verfolgt diese Tagung?

Sie soll ein Gefäss des gemeinsamen Lernens sein. Es ist uns wichtig, die Probleme der Stadt von Morgen interdisziplinär anzugehen. Freiräume werden knapper, nächtliche Nutzungskonflikte und Verdrängungskämpfe gehören zum Alltag. Doch nicht nur in Bezug auf das Management des urbanen Raums sind kollektive Lösungen gefragt, auch in Bezug auf die Gesundheitsförderung und auf politische Vorgaben. Gemeinsam mit den NIGHTS-Gästen möchten wir mögliche Entwicklungspfade für die nächtliche Stadt von Morgen schaffen – unabhängig von thematischen und strukturellen Grenzen. Damit der urbane Raum möglichst liebens- und lebenswerte sowie konfliktarme und zukunftsweisende Bedingungen bietet.

Wo erkennen Sie die brennendsten Probleme betreffend Gesundheit im Nachtleben?

Das ist eine spannende Frage. Themen wie Alkohol, illegale Drogen, körperliche und sexuelle Gewalt stellen eine Konstante dar. Zurzeit treffen wir vermehrt junge Menschen, die noch keine oder nur wenig Erfahrung mit psychoaktiven Substanzen aufweisen und bei Alkohol, aber auch bei illegalen Substanzen unbewusst überdosieren oder problematischen Mischkonsum betreiben. Needle Spiking, die Verabreichung von psychoaktiven Substanzen mittels einer Spritze, war zumindest medial in diesem Sommer ein grosses Thema. Die Pandemie hat aber auch gezeigt, dass die Jungen psychisch am meisten unter den Covid-Massnahmen gelitten haben. Es ist wichtig, das Nachtleben nicht nur als Risiko darzustellen, sondern auch die positiven Effekte auf die psychische Gesundheit zu betrachten. Das versuchen wir mit der NIGHTS-Konferenz anzuregen.

Unterscheiden sich die Herausforderungen punkto Gesundheit zwischen der Schweiz und anderen Ländern?

Die Kultur der Nacht ist international vergleichbar. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede und verschiedene gesetzliche Rahmenbedingungen. Dabei fällt auf, dass z. B. neue psychoaktive Substanzen (NPS) in Ländern, die am repressivsten gegen den Drogenkonsum vorgehen, eher ein Thema sind als bei uns. Ein weiterer Unterschied ist, dass sich Herr und Frau Schweizerin den Konsum von Drogen eher leisten können. Nicht vergessen sollte man, dass in der Schweiz gerade auch im Bereich der Schadensminderung sehr viel gemacht wird, z. B. mit dem sogenannten Drug Checking. Ich wage gar zu behaupten, dass die Freizeitdrogenkonsumierenden in der Schweiz zu den am besten informierten in Europa zählen.

Ein Thema der Tagung ist Früherkennung und Frühintervention, kurz F+F, im Nachtleben. Was muss man sich darunter vorstellen?

Hier geht es um einen Transfer von Ansätzen und Techniken der F+F ins niederschwellige Beratungssetting. Ziel ist, das Potential eines Kontaktes zwischen Beratenden und Freizeitdrogenkonsumenten besser zu nutzen.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Indem Beratende, die in diesem Setting tätig sind, die Grundlagen von F+F kennen und Elemente in ihre Beratung einbauen können. Zu diesen Beratenden gehören Profis, aber auch Freiwillige und Peers. Ziel ist es, die Beratung vor Ort mit praktischen Tricks weiterzuentwickeln.

Auch Schadensminderung ist ein Thema an der NIGHTS2022. Was verstehen Sie darunter?

Potenzielle Schäden, die in Zusammenhang mit riskanten Tätigkeiten stehen, werden minimiert –  egal ob es sich um Drogenkonsum, Gewalt oder um sexuelles Risikoverhalten handelt. Aus meiner Sicht ist Schadensminderung ganz klar eine integrale, waagrechte Säule. Alle unsere Interventionen, unabhängig ob es sich um eine Therapie oder Repression handelt, sollten das Ziel haben, Schaden zu mindern.

Wie lässt sich der problematische Konsum von psychoaktiven Substanzen reduzieren?

Wichtig ist hier die Beratung auf Augenhöhe direkt vor Ort. Nicht selten beschreibe ich diese Tätigkeit als Personal-Drug-Trainer: Als beratende Person hilft man den Konsumentinnen und Konsumenten ihren Konsum zu reflektieren, Nebenwirkung zu erkennen und vor allem auch darauf zu reagieren. Dabei geht es darum, eine möglichst risikoarme Haltung zu vermitteln – nicht nur was den Konsum von psychoaktiven Substanzen betrifft. Aus meiner Sicht würde ein regulierter Substanzmarkt dazu beitragen, dass Substanzen weniger problematisch konsumiert würden. Durch die Entstigmatisierung ergäbe sich gesellschaftlich ein ganz anderer Umgang damit: Eine risikoarme Haltung könnte schon an Schulen vermittelt werden.

Eine schadensmindernde Massnahme ist Drug Checking. Welche Bedeutung hat dieses im Nachtleben?

Wir blicken in Europa nun auf knapp dreissig Jahre Drug Checking zurück. Während dieser Zeit haben Drug Checking-Angebot viel dazu beigetragen, dass der Ausgang sicherer geworden ist. Und vor allem sind die Konsumentinnen und Konsumenten besser informiert als früher. Dies hört man immer wieder von den «alten Hasen» der Szene, die überrascht von der Konsumkompetenz der Schweizer Freizeitdrogenkonsumentinnen sind.

Welche Massnahmen helfen, Gewalt im öffentlichen Raum zu reduzieren?

Positiv wirkt sich ein aktives Management des öffentlichen Raumes aus, sei dies durch Polizei, SIP-ähnlichen Angeboten oder dem Surplus-Ansatz der Stadt Zürich (vgl. Links ganz unten). Was noch viel zu wenig bedacht wird, sind städtebauliche Massnahmen, welche die Sicherheit im öffentlichen Raum erhöhen. Denn die heutige Stadt ist aus der Sicht des weissen Mannes, der tagsüber mit dem Auto unterwegs ist, geplant.

Welche Rolle spielen Alkohol und andere Drogen bei der Gewalt im öffentlichen Raum?

Sie können eine katalysierende Funktion haben, beispielsweise indem die Hemmung abgebaut wird. Teilweise werden sie auch ganz bewusst eingenommen, um kampfbereiter zu sein, z. B. Kokain. Klar ist aber auch, dass es auch ohne Alkohol und Drogen zu Gewalt kommen würde. Deshalb darf man diese Substanzen nie als alleinige Ursache von Gewalt bezeichnen.

Wie sieht strukturelle Prävention im Nachtleben aus?

Bekannte Beispiele sind der Jugendschutz und der Schutz vor dem Passivrauchen. Neben Regulatorien gab es in den letzten Jahren auch gemeinsame Bestrebungen mit den Kulturorten, strukturell präventiv aktiv zu werden – zum Beispiel mittels Gütesiegeln wie Safer Clubbing. Interessant ist dabei die Debatte über die Grenzen der strukturellen Prävention: Wann wird es für die jungen Menschen unattraktiv, in einen Club zu gehen?  Gehören nicht gewisse Grenz- und vor allem auch Rauscherfahrungen zu den Erwartungen an die Nacht dazu? Bietet ein «Safer Club» noch die Voraussetzungen, um diese Bedürfnisse befriedigen zu können?

Die Tabakindustrie sponsert immer wieder Events oder bewirbt ihre Produkte auf andere Weise im Nachtleben. Haben Sie ein Rezept für den Umgang damit?

Tabakwerbung spielt an grösseren Events eine Rolle, wenn es um die Finanzierung der kulturellen Inhalte geht. Gerade in der Schweiz erhalten diese Veranstaltungen praktisch keine Unterstützung von der öffentlichen Hand. Nun könnte man sich überlegen, die Subventionen für diese Branche auszubauen. Aber dann stände man mit der Kulturbotschaft des Bundes in Konflikt, welche die Leitplanken für die kulturelle Unterstützung vorgibt. Eine andere Möglichkeit wäre, die Eintrittspreise zu erhöhen. Doch sind die Schweizerinnen und Schweizer bereit, mehr zu bezahlen? Oder die Künstlerinnen verzichten auf einen Teil der Gagen, wenn der Event ohne Tabakwerbung stattfindet, was wiederum auch kein realistisches Szenario ist. Um Veranstaltungen nicht zu gefährden, würde ich Tabakwerbung an Musikevent weiterhin zulassen. Aber vorgeben, für welche Produkte geworben werden darf.

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