«Wir müssen ein gutes Klima im und um den Laden schaffen»
Dez. 2023Cannabispolitik – wie weiter?
5 Fragen an Martine Baudin: Die Koordinatorin des Pilotprojekts Cannabinothèque hofft, dass die Gemeinschaft der Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten nicht nur Produkte kauft – sondern sich auch aktiv an der Durchführung des Pilotversuchs im Kanton Genf beteiligt.
1 Was bezweckt die Cannabinothèque?
Im März 2022 haben Fachpersonen aus den Bereichen Sucht, Gesundheit, Prävention und Sozialarbeit mit dem Kanton Genf und der Gemeinde Vernier den Verein ChanGE gegründet. Der Verein ist für die Durchführung des Pilotversuchs zum regulierten Verkauf von Cannabisprodukten verantwortlich. Der Pilotversuch wird vom Institut für soziologische Forschung der Universität Genf und vom Service d’addictologie des Universitätsspitals Genf begleitet und laufend evaluiert, sowohl von einer soziologischen wie auch von einer suchtmedizinischen Perspektive aus. Die Verkaufsstelle – die sogenannte Cannabinothèque – öffnet voraussichtlich Ende Jahr ihre Türen. Sie soll auch ein Informations- und ein Treffpunkt werden und den Kontakt mit den Konsumentinnen und Konsumenten pflegen. So kann die Cannabinothèque auch Massnahmen zur Prävention von problematischem Konsum und zum Schutz von Kindern und Jugendlichen umsetzen.
2 Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit den Konsumentinnen und Konsumenten vor?
Schon im Vorfeld haben sich mehrere Personen gemeldet, die sich eine regulierte Legalisierung des Cannabis wünschen und zum Erfolg des Genfer Modells beitragen wollen. Es ist uns ein Anliegen, Konsumentinnen und Konsumenten unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen sozialen Kreisen ins Pilotprojekt einzubeziehen. Von den Kundinnen und Kunden der Cannabinothèque erwarten wir deshalb, dass sie nicht nur die periodischen Fragebögen der Studie ausfüllen, sondern auch bereit sind, eine aktive Rolle einzunehmen, etwa indem sie an regelmässigen Treffen der Cannabis-Community teilnehmen. Und dass sie dort ihre Erfahrungen teilen und Vorschläge einbringen. Wir werden der Cannabis-Community auch offerieren, zwei Mitglieder in den Verein ChanGE zu entsenden. Auch im Ausschuss des Vereins ist ein Platz für eine Person aus der Cannabis-Community reserviert.
3 Was ist das Besondere am Pilotprogramm in Genf?
Zu den Hauptmerkmalen des Genfer Projekts gehört, dass der Versuch von einem Verein durchgeführt wird, an dem auch die öffentliche Hand beteiligt ist. Auch das Mitspracherecht der Konsumierenden ist ein wichtiger Teil unseres Pilotversuchs. Mit dem Versuch will der Verein ChanGE einerseits erforschen, wie sich ein regulierter Verkauf von Cannabisprodukten auf die Konsumierenden und ihr Umfeld auswirkt. Und andererseits möchte er die Wirtschaftlichkeit seines Verkaufsmodells testen. Die Cannabinothèque ist nicht profitorientiert und soll keinen Anreiz zum Konsum erzeugen, denn die Prioritäten des Pilotprojekts sind die Gesundheitsförderung, der Kinder- und Jugendschutz sowie die Prävention von problematischem Konsum. Mit den Einkünften aus dem Verkauf werden die Kosten für die Produktion, für die Miete des Lokals, für Präventionsmassnahmen und teilweise auch für die wissenschaftliche Evaluation gedeckt. Nach dem Ende des Pilotprogramms wird der Verein wieder aufgelöst – und das allenfalls noch vorhandene Kapital einer gemeinnützigen Organisation überwiesen.
«Mit den Einkünften aus dem Verkauf werden die Kosten für die Produktion, für die Miete des Lokals, für Präventionsmassnahmen und teilweise auch für die wissenschaftliche Evaluation gedeckt.»
4 Wo liegen die Herausforderungen für das Pilotprojekt?
Die grösste Herausforderung besteht darin, genügend Teilnehmende bei der Stange zu halten. Die Cannabinothèque ist darauf ausgelegt, dass sie rund 1000 Personen betreuen kann. Aber um zu aussagekräftigen Resultaten zu gelangen, müssen mindestens 400 Personen während der ganzen Studiendauer dabei sein. Deshalb muss die Cannabinothèque ein gutes Klima im und um den Laden schaffen. Und Produkte anbieten, deren THC-Gehalt zwar gesetzlich begrenzt ist, aber die aufgrund ihrer Qualität und ihres Preises trotzdem mit der Ware konkurrieren können, die auf dem Schwarzmarkt erhältlich ist.
Und wo sehen Sie die Chancen?
Mit den verschiedenen Pilotversuchen, die in der Schweiz stattfinden, werden Erfahrungen gesammelt und wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet, die in die öffentliche Meinungsbildung und in den politischen Beschlussprozess einfliessen können. Dadurch können die zukünftigen Diskussionen über einen legal regulierten Cannabismarkt ideologiefrei geführt werden. Dieser ganze Prozess hilft auch, die Stigmatisierung der Konsumierenden zu überwinden.