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Mehr Wissen über Suizidversuche von LGBT-Jugendlichen

Ausgabe Nr. 128
Sep. 2020
Kinder und Jugendliche

In internationalen Studien ist gut belegt, dass queere Jugendliche im Vergleich zu heterosexuellen Teenagern ein stark erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten aufweisen. Doch wie sich der Prozess hin zum Suizidversuch gestaltet und welches etwa die genauen Hintergründe und Motive sind, liegt noch weitgehend im Dunkeln. Dabei sind qualitative Studien prinzipiell machbar, wie eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) finanzierte Vorstudie nun gezeigt hat.

2016 haben Bund und Kantone gemeinsam mit der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz den «Aktions­plan Suizidprävention» erarbeitet. Das Ziel: Die Anzahl nicht assistierter Suizide während (oft vorübergehenden) Belastungskrisen bis ins Jahr 2030 um 25 Prozent zu senken – das entspricht rund 300 frühzeitigen Todesfällen pro Jahr. Dabei möchte das BAG neben der allgemeinen Suizidprävention, die sich an die ganze Bevölkerung richtet, gezielt auch spezifische Gruppen in den Fokus nehmen, bei denen eine erhöhte Rate an suizidalen Handlungen zu beobachten ist.

Machbarkeitsstudie

So weisen etwa LGBT-Jugendliche im Vergleich zu heterosexuellen Teenagern ein deutlich höheres Risiko für suizidales Verhalten auf (LGBT sind die Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnungen «lesbian», «gay», «bisexual» und «transgender»). «Das heisst jedoch nicht, dass diese Jugendlichen per se problembelastet und suizidgefährdet sind», sagt Andreas Pfister von der Hochschule Luzern. «Denn suizidales Verhalten ist auch bei schwulen und lesbischen Jugendlichen keineswegs an der Tagesordnung und betrifft zum Glück nur eine Minderheit innerhalb der LGBT-Community.» Die erhöhte Zahl an Suizidversuchen hänge nicht direkt mit der sexuellen Orientierung zusammen, sondern komme über indirekte Faktoren wie etwa Homophobie, Schikanen in der Schule oder fehlende Akzeptanz in der Familie zustande.

Pfister und sein Team haben im letzten Jahr mit der finanziellen Unterstützung des BAG im Rahmen der Umsetzung des nationalen Aktionsplans eine Vorstudie durchgeführt. Diese prüft, inwieweit eine qualitative und multiperspektivische Untersuchung der Hintergründe von Suizidversuchen von LGBT-Jugendlichen machbar ist. Denn die genauen Prozesse und Hintergründe, wie es bei diesen Jugendlichen zu Suizidversuchen kommt, sind noch weitgehend unerforscht. Auch international fehlen entsprechende Studien.

Bei den Machbarkeitserwägungen stand unter anderem die Abklärung im Vordergrund, inwieweit eine mündliche Befragung von Jugendlichen nach einem Suizidversuch überhaupt möglich ist, ohne die Jugendlichen zu einem weiteren Versuch zu verleiten. Beantwortet haben die Forschenden mit ihrer Vorstudie auch folgende Fragen: Wie kann eine solche Befragungssituation optimal gestaltet werden? Und lassen sich mit qualitativen und problemzentrierten Interviews tatsächlich auch Erkenntnisse erzielen, welche die Suizidprävention verbessern und zur besseren Beachtung allfälliger Hilferufe beitragen können?

Sicherheit gewährleisten

Das sozialwissenschaftliche Team um Andreas Pfister hat sich mit klinischen Expertinnen und Experten, mit Fachpersonen aus der Beratung und der Suizidprävention sowie mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener LGBT-Organisationen ausgetauscht. Dabei hat das Team mehrere Massnahmen entwickelt, um die Sicherheit der Jugendlichen in der Studie zu gewährleisten. So werden die Forschenden kontinuierlich von einer psychiatrischen Fachperson begleitet und auch darin geschult, akut suizidgefährdete Personen zu erkennen. Ausserdem möchten die Forschenden bei jedem Interviewkontakt auch schriftlich die Kontaktdaten von regionalen und schweizweiten Notfallstellen abgeben und so einen raschen Anschluss an das Hilfesystem sicherstellen.

Das Team um Andreas Pfister hat in der Vorstudie einen Interview-Leitfaden entwickelt, den die Forschenden in Gesprächen mit zwei Betroffenen bereits getestet haben. «Dabei hat sich gezeigt, dass die Prozesse, die zu einem Suizidversuch führen, vielfältig und komplex sind», so Pfister. «Sie hängen je nach Person in sehr unterschiedlichem Ausmass mit Belastungsfaktoren im Kontext der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung zusammen.» Aus den bisher erhaltenen Antworten schliessen Pfister und sein Team, dass sich solche Interviews gut dazu eignen, mehr über die Suizidversuche und die Bedürfnisse der Betroffenen zu erfahren.

Für die Studie, die nun auf die Vorstudie folgen soll, hat das Forschungsteam einen Beirat zusammengestellt, der das Vorhaben wohlwollend kritisch begleiten soll. Pfister hat für die Finanzierung der Studie ein Projektgesuch beim Schweizerischen Nationalfonds eingereicht – und Ende März bewilligt bekommen. Die Studie startet voraussichtlich im Oktober 2020.

​Literaturhinweis:

Pfister, Andreas & Mikolasek, Michael (2019). Suizidversuche von LGBT-Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Einschätzung der Machbarkeit einer qualitativen Untersuchung in der Schweiz

Kontakt

Esther Walter und Lea Pucci-Meier
Sektion Nationale Gesundheits­politik

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