Welche Rolle haben die sozialen Medien bei Kindern und Jugendlichen in der aktuellen Krise?
Stefanie Schmidt, Professorin an der Universität Bern, forscht seit längerem, wie soziale Medien die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beeinflussen. An der NCD-Stakeholderkonferenz präsentiert sie, welche Rolle die sozialen Medien in der aktuellen Krise spielen.
Wie hängen soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zusammen?
Für Kinder und Jugendliche sind soziale Medien allgegenwärtig. Sie dienen der Unterhaltung, dem sozialen Austausch. Sie sind aber auch Medium, um über psychische Probleme zu kommunizieren, sich über psychische Gesundheit zu informieren und Hilfe zu suchen. Die Nutzung sozialer Medien kann positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden einer Person haben, beispielsweise indem man sich durch seine «Online-Community» unterstützt fühlt. Eine intensive Nutzung sozialer Medien kann sich aber auch negativ auf die psychische Gesundheit auswirken und zu psychischen Problemen wie Depressivität, Angst, selbstverletzenden Verhaltensweisen, einem verzerrten Körperbild und auffälligem Essverhalten führen.
Was genau untersuchen Sie?
Im Rahmen unserer Forschung interessiert mein Team und mich besonders, wie diese Zusammenhänge zwischen der Nutzung sozialer Medien und der psychischen Gesundheit zustande kommen. Besonders wichtige Mechanismen und damit auch präventive Interventionsziele scheinen folgende zu sein: soziale Vergleichsprozesse, ein schlechter Selbstwert, die Angst vor dem Verpassen, das sogenannte «Fear of Missing Out», sowie Schlafprobleme und Grübeln.
Für Kinder und Jugendliche bietet sich mit sozialen Medien die Möglichkeit, ihren Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen Ausdruck zu verleihen. Diese Massendaten in sozialen Medien können mit interdisziplinären Methoden maschinell und automatisch analysiert werden, um darin Auffälligkeiten für psychische Probleme zu identifizieren (beispielsweise indem sich die Personen in den sozialen Netzwerken anders verhalten und kommunizieren als sonst).
Erkennt man in den sozialen Netzwerken Jugendliche mit psychischen Problemen?
In einer Übersichtsarbeit konnten wir zeigen, dass sich bei Jugendlichen mit psychischen Problemen Auffälligkeiten in den sozialen Medien zeigen. So zeigen sich Unterschiede in der Struktur der sozialen Netzwerke, in der Art, wie sie ihre Meinungen und Gefühle kommunizierten, und welche Wörter sie vorzugsweise verwendeten. Diese Auffälligkeiten könnten künftig möglicherweise als ergänzende Indikatoren für psychische Probleme herangezogen werden und so zur Entwicklung von genaueren Vorhersagemodellen für die Früherkennung beitragen.
Welche Rolle haben die sozialen Medien bei Kindern und Jugendlichen in der aktuellen Krise?
Generell zeigt sich national und international der Trend, dass Kinder und Jugendliche im Durchschnitt während der Corona-Pandemie längere Zeit online und in sozialen Medien aktiv sind als vor der Corona-Pandemie. Dies geht häufig auch mit weniger körperlicher Aktivität, einem ungesünderen Essverhalten und mit Schlafproblemen einher.
Gibt es auch positive Aspekte dieser vermehrten «Screen-Time»?
Teilweise waren soziale Medien die einzige Möglichkeit, um ausserhalb der Familie soziale Kontakte zu pflegen. Dies war insbesondere für Jugendliche bedeutsam, da für sie soziale Kontakte zu Peers besonders wichtig sind und die Relevanz der familiären Kontakte an Bedeutung verliert. Ausserdem waren soziale Medien auch hilfreich, um Entspannung zu finden, um beispielsweise von den Sorgen und Zukunftsängsten abschalten zu können. Oder sich zumindest mit Gleichaltrigen darüber austauschen zu können und so ein Gefühl von sozialer Verbundenheit zu erleben. Herausfordernd kann es werden, wenn Kinder und Jugendliche nun Mühe haben, wieder in die reale soziale Welt zurückzufinden und ihre Online-Zeit zu reduzieren, da sie sich in der virtuellen Welt so gut eingerichtet haben. Dies mag insbesondere auf die Kinder und Jugendlichen zutreffen, die in unserer Studie berichtet haben, dass während der Corona-Krise ihre psychischen Probleme sogar abgenommen hätten.
Studien zur Rolle von sozialen Medien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sprechen ausserdem dafür, dass für viele die Informationsmenge überfordernd war und zu mehr Stress und stärken Ängsten geführt hat. Das war vor allem dann der Fall, wenn die Informationen über soziale Medien vermittelt wurden, vermutlich, weil der Kommunikationsstil emotional ist. Dies verdeutlicht, dass es wichtig ist, Informationen aus seriösen Quellen und in dosiertem Mass an Kinder und Jugendliche weiterzugeben.
Foto: © Luca Christen, 2019