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Wie hat die Corona-Krise das Verhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflusst?

Stefanie Schmidt, Professorin für klinische Psychologie an der Universität Bern, thematisiert in ihrem Referat an der NCD-Stakeholderkonferenz 2021 die Auswirkungen von Covid-19 auf Kinder und Jugendliche. Ihre aktuelle Studie in Kooperation mit Professor Markus Landolt von der Universität Zürich zeigt, dass sich psychische Probleme je nach Alter anders äussern. Daher müsse das soziale Umfeld für die Altersspezifizität von psychischen Problemen sensibilisiert und niederschwellige Hilfsangebote bereitgestellt werden. Die Studienergebnisse zeigen auch, dass besondere Unterstützung für Risikogruppen dringend nötig ist.

Stefanie Schmidt, für Ihre aktuelle Studie haben Sie 5823 Kinder und Jugendliche befragt. Wie hat die Corona-Krise das Verhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflusst?

Von ihnen erlebten zwischen 15 und 43 Prozent eine Zunahme emotionaler und verhaltensbezogener Probleme. Die Häufigkeit behandlungsbedürftiger psychischer Probleme lag zwischen 2 und 10 Prozent. Diese Rate ist bis zu fünf Mal höher als wir in der Allgemeinbevölkerung erwarten. Interessanterweise berichteten zwischen 3 und 16 Prozent der Teilnehmenden auch von Verbesserungen während der Pandemie – vor allem Jugendliche.

Je nach Altersgruppe zeigen sich die Auffälligkeiten jedoch anders. So berichteten die Eltern von Vorschulkindern (1-6 Jahre) vor allem von mehr trotzigem und aggressivem Verhalten, während Jugendliche (11-19 Jahre) mehr unter emotionalen Problemen wie Ängsten und Depression litten. Die Probleme von Jugendlichen sind also mehr nach innen gerichtet und daher oft schwieriger zu erkennen. Vorschulkinder und ältere Jugendliche, bei denen wichtige Zukunftsentscheidungen anstehen, scheinen besonders stark unter der Pandemie zu leiden. So weinten ältere Jugendliche während der Pandemie vergleichbar viel mehr als Vorschulkinder. 

Was beeinflusst, wie ein Kind oder eine jugendliche Person mit der Corona-Krise umgeht? 

Je älter die Vorschulkinder (1-6 Jahre), desto präsenter war trotziges Verhalten. Je älter die Schulkinder (7-10 Jahre) waren, desto häufiger äusserten sich emotionale Probleme und Rückzug. Vorbestehende psychische Probleme stellten nur bei Jugendlichen (11-19 Jahre) einen Risikofaktor dar. Wer aufgrund der Pandemie persönlich mit mehr negativen Konsequenzen rechnete, berichtete altersübergreifend von mehr psychischen Problemen.
Positiv war es, wenn Jugendliche ihre Emotionen gut regulieren konnten und wenn sie davon überzeugt waren, mit dem Stress im Rahmen der Corona-Krise gut umgehen zu können. Auch die tatsächliche Erfahrung mit Covid-19 hatte bei Jugendlichen einen positiven Effekt – möglicherweise reduzierte dies die Angst vor dem Unbestimmten. Bei Kindern im Alter zwischen 1 und 10 Jahren war der Einfluss der psychischen Gesundheit der Eltern auf die Kinder äusserst relevant. Psychische Probleme der Eltern hingen mit allen Formen von psychischen Problemen der Kinder zusammen. Dies bestätigt, dass die Eltern bei jüngeren Kindern ein wichtiges Rollenmodell für den Umgang mit der Pandemie sind, während bei Jugendlichen die sozialen Kontakte mit den Peers bedeutsamer sind.

Was bedeuten diese Erkenntnisse für Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten?

Mögliche psychische Probleme müssen alterssensitiv beobachtet werden. Besonders bei Jugendlichen sind psychische Probleme schwierig zu erkennen: Die Betroffenen ziehen sich vorwiegend zurück, isolieren sich und leiden unter Sorgen, Grübeln, Ängsten und Depressivität. Das sieht man ihnen nur schwer von aussen an. Daher ist es wichtig, das soziale Umfeld für die Altersspezifizität von psychischen Problemen zu sensibilisieren und niederschwellige Hilfsangebote anzubieten, zum Beispiel Online-Selbsthilfe. 

Die Studienergebnisse zeigen auch, dass besondere Unterstützung für Risikogruppen dringend nötig ist. Vor allem jüngere Kinder nehmen ihre Eltern als Rollenmodell bzw. Vorbild für den Umgang mit der Pandemie. Daher sind sie stark davon abhängig, wie die Befindlichkeit ihrer Eltern ist und ob diese zuversichtlich in die Zukunft blicken. Auch leiden Kinder darunter, wenn ihre Eltern nicht offen mit ihnen kommunizieren, da sie deren Sorgen und Ängste oft wahrnehmen, aber nicht einordnen können. Entsprechend wichtig ist es bei den Kindern im Alter zwischen 1 und 10 Jahren, die psychische Gesundheit ihrer Eltern zu fördern und die Eltern und Erziehungsberechtigten dabei zu unterstützen, offen und kindgerecht mit ihrem Nachwuchs über die Pandemie zu sprechen und nach konkreten Lösungen zu suchen. Unsere Studienergebnisse sprechen auch dafür, dass viele Familien unter den beengten Lebensbedingungen gelitten haben und teilweise „Dichtestress“ erlebt haben. Das macht deutlich, dass man auch innerhalb einer Familie Rückzugsmöglichkeiten und Raum fürs Alleinsein schaffen sollte.

Wie können Jugendliche unterstützt werden? 

Bei den Jugendlichen haben vor allem diejenigen ein erhöhtes Risiko für psychische Probleme, die schon vorher psychische Probleme hatten und viel Unsicherheit, Zukunftsängste und ein Gefühl von Kontrolllosigkeit verspüren. Man kann sie am besten unterstützen, indem man ihnen hilft, Selbstvertrauen und gute Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Stress und Emotionen aufzubauen, um die Einflussmöglichkeiten in ihrem Leben zu steigern. Damit sind so genannte „transdiagnostische Präventionsprogramme“ sehr gut geeignet, um Kinder und Jugendliche während und nach der Corona-Pandemie zu unterstützen. Diese Interventionen zielen nicht auf spezifische psychische Probleme, sondern auf die psychologischen Mechanismen, zum Beispiel Emotionsregulation oder Sorgen, ab, die mehreren psychischen Problemen zugrunde liegen. Aktuell untersuche ich, wie sich psychische Probleme entwickeln und welche transdiagnostische Mechanismen dieser Entwicklung zugrunde liegen. Dabei entwickeln und evaluieren wir auch eine präventive Online-Intervention zur Förderung dieser transdiagnostischen Mechanismen. 

Zudem wird der lange Weg zurück zur Normalität für viele Kinder, Jugendliche und Eltern mit Herausforderungen verbunden sein, zum Beispiel Rückkehr zu bestehenden sozialen Gruppen und Klassen, Zukunftssorgen, Bewältigung von „verpassten“ Chancen und Möglichkeiten, Mangel an Hilfsangeboten. Dabei ist auch noch unklar, wie lange die psychischen Probleme, die während der Corona-Pandemie entstanden sind oder sich verstärkt haben, anhalten werden. Dies macht ein sorgfältiges Monitoring und niederschwellige, präventive Unterstützungsangebote notwendig, um je nach individuellem Risikoprofil passende präventive Interventionen anbieten zu können.  

Foto: © Luca Christen, 2019

Kontakt

Sektion Präventionsstrategien
Abteilung Prävention nichtübertragbarer Krankheiten

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