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Spitex: für viele Eingewanderte keine Option

Edition No. 100
Sep. 2013
Lifestyle and health

Neue Studie. Was halten Migrantinnen und Migranten von der Spitex? Wie organisieren sich ihre Familien bei einem Pflegefall? Warum nehmen sie die Spitex in Anspruch – und warum nicht? Eine neue Studie gibt Antworten zu diesen Fragen.

In puncto Pflege hat die Migrationsbevölkerung viel mit der einheimischen Bevölkerung gemeinsam: Beide Gruppen teilen den Wunsch nach häuslicher Pflege durch die nächsten Angehörigen. Bei beiden übernehmen Töchter oder Schwiegertöchter in den meisten Fällen die Pflege der älteren Familienmitglieder. Beide empfinden die eng getakteten Arbeitseinsätze sowie die täglich wechselnden Pflegekräfte der Spitex als belastend. Und: Ein Pflegefall in der Familie bringt unabhängig von der Nationalität grosse physische, psychische und organisatorische Belastungen für alle Beteiligten mit sich. Externe Unterstützung ist in beiden Gruppen vonnöten. Bei der Migrationsbevölkerung dürfte der Pflegebedarf sogar noch höher sein, da verschiedene Gruppen von Migrantinnen und Migranten einen schlechteren Gesundheitszustand haben als die einheimische Bevölkerung. Zudem ist anzunehmen, dass der Pflegebedarf in der Migrationsbevölkerung in Zukunft zunehmen wird, da Migrantinnen und Migranten zusehends auch im Rentenalter in der Schweiz bleiben.

Wie viele Ausländerinnen und Ausländer die Spitex heute betreut, ist nicht bekannt, denn die Nationalität wird in der Spitex-Statistik nicht erfasst. Viele der für die Studie befragten Expertinnen und Experten gehen aber davon aus, dass Migrantinnen und Migranten Spitex-Dienste zu spät, zu wenig oder gar nicht beanspruchen. Dafür gibt es mehrere Gründe.

1. Hürde: Sprache
Migrantinnen und Migranten sind über pflegerische Dienstleistungen wie die Spitex oft nicht ausreichend informiert. Dass ihnen diese nur wenig bekannt sind und dadurch auch zu wenig
genutzt werden, erklären die meisten Expertinnen und Experten mit sprach­lichen Zugangsbarrieren. Ver­stän­di­gungs­schwierigkeiten sind nicht nur die grösste Hürde für eine allfällige Inanspruchnahme der Spitex, sondern auch bei der konkreten Zusammenarbeit.

2. Hürde: Finanzen
Migrantinnen und Migranten verzichten häufiger aus finanziellen Gründen auf Pflegeleistungen als Einheimische. Viele sind finanziell nicht besonders gut gestellt, zudem sind sie oft weniger bereit, Geld für die eigene Gesundheit auszugeben.  

3. Hürde: Druck, Scham und Angst
Kinder und Enkel von Migrantinnen und Migranten fühlen sich moralisch stärker als Einheimische verpflichtet, ihre Eltern zu Hause zu pflegen. Wenn die Pflege ihre Kräfte oder Möglichkeiten übersteigt, können sie das Bedürfnis nach Entlastung schwer eingestehen oder gar durchsetzen. Die Annahme fremder Hilfe gilt oft als unethisch oder als Niederlage der Familie.
Die Notwendigkeit, sich körperlich vor einer fremden Person zu exponieren, ist vor allem für Muslime sehr belastend – besonders, wenn es sich um eine Pflegeperson des anderen Geschlechts handelt. Weitere Hindernisse sind Misstrauen und Angst gegenüber Ämtern und Institutionen.

Herausforderung für Pflegende
Auch aufseiten der Pflegenden gibt es Vorbehalte gegenüber ausländischen Klientinnen und Klienten. Deren eigene Vorstellungen von Pflege stören oft die effiziente Routine einer professionellen Organisation wie Spitex. Viele Pflegende tun sich auch schwer damit, andere Werte und Normen im Umgang mit Sterben und Tod nachzuvollziehen und zu akzeptieren. Um sie zu einem angemessenen Umgang mit Migrantinnen und Migranten zu befähigen, wären entsprechende Weiterbildungen sinnvoll.

Die Studie «Pflegearrangements und Einstellung zur Spitex bei Migranten/-innen in der Schweiz» wurde von der Fachhochschule Nordwestschweiz und vom Schweizerischen Roten Kreuz durchgeführt. Befragt wurden Fachpersonen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich sowie von Migrantenorganisationen. Die Studie wurde vom Bundesamt für Gesundheit im Rahmen des Nationalen Programms Migration und Gesundheit unterstützt. Download der Studie: http://www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik/07685/12533/index.html?lang=de

Contact

Fatos Bag, Nationales Programm Migration und Gesundheit, fatos.bag@bag.admin.ch

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