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Apps gegen psychische Probleme und Störungen

Ausgabe Nr. 121
Sep. 2018
mHealth

Psychische Gesundheit. Philipp sitzt im Zug auf dem Weg zur Uni und schaut auf sein Smartphone. Der 25-jährige Student liest noch einmal, was er am Vorabend auf seinem Laptop in ein Selbsthilfeprogramm zur Behandlung sozialer Ängste eingetragen hat. «Ich werde mich morgen im Seminar mindestens zwei Mal melden», hat er sich vorgenommen. Und: «Sätze nicht vorher im Kopf ausformulieren, einfach mal drauflosreden und den Blickkontakt mit den anderen Studenten und der Dozentin halten.»

Online-Interventionen haben sich bereits bewährt

Der Einsatz neuer Technologien in der psychosozialen Versorgung (E-Mental Health) wird seit über 15 Jahren intensiv beforscht. Wer wie Philipp an einer Sozialen Angststörung – also intensiver Angst vor Peinlichkeit und Blamage – leidet und deshalb soziale Situationen oft meidet oder sie nur unter grosser Belastung erleidet, kann mit einer Online-Intervention eine bewährte Intervention in Anspruch nehmen. Alleine im Bereich sozialer Ängste liegen etwa 40 Wirksamkeitsstudien vor. Und die Soziale Angststörung ist kein Spezialfall: Auch für andere häufige Störungen wie Depressionen, Schlafstörungen, Panikstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen liegen viele positive Wirksamkeitsbelege
vor. In einigen Ländern wie Schweden, den Niederlanden oder Australien werden die Behandlungskosten aufgrund der Forschungsergebnisse bereits von Krankenkassen oder staatlichen Institutionen übernommen. Diese Länder haben erkannt, dass psychische Probleme und Störungen aufgrund ihrer Häufigkeit ein gesellschaftliches Problem darstellen und hohe Kosten verursachen, weshalb neben Psychotherapie weitere (kosten-)wirksame Angebote wie Online-Interventionen intensiv verbreitet werden.

Der Einsatz neuer Technologien in der psychosozialen Versorgung wird seit über 15 Jahren intensiv beforscht.

In den letzten Wochen hatte Philipp mit Hilfe einer App gelernt, auf was er in sozialen Situationen achten soll. Und er hat zu Hause geübt – beispielsweise freies Reden vor einem auf dem Laptop dargebotenen Publikum. Vor dem Bildschirm ist ihm das ganz gut gelungen, aber jetzt, als es ernst wird, ist er doch sehr nervös. Er liest noch einmal die aufmunternden Worte, die ihm eine Psychologin gestern in der geschützten Selbsthilfeumgebung geschrieben hat.

Viele Vorteile, aber auch Risiken

Zu einer Psychotherapie wäre Philipp aufgrund seiner Ängste noch nicht fähig gewesen. Zu gross waren seine Hemmungen, jemandem von seinen Problemen zu erzählen. Die Hemmschwelle, sich für die Onlinebehandlung anzumelden, war hingegen geringer. Zudem erlaubt ihm die Möglichkeit, anonym zu bleiben, seine Probleme offener anzusprechen: Online-Enthemmungseffekt nennen das Psychologen. Daneben ist vor allem die Unabhängigkeit von Raum und Zeit ein Vorteil von Online-Interventionen: Erreicht werden Menschen in ländlichen Gebieten, die vor Ort keinen Therapeuten finden, Berufstätige mit Terminschwierigkeiten und Menschen, die Wartezeiten überbrücken müssen. Niederschwellig nutzbare und leicht verbreitbare Online-Interventionen können also das bestehende Versorgungsangebot ergänzen und mithelfen, die Häufigkeit psychischer Probleme und Störungen zu reduzieren.
Dass internetbasierte Programme so leicht verbreitet werden können, hat aber auch Nachteile: Denn darunter befinden sich auch unseriöse Angebote mit zweifelhafter Professionalität. Weitere Herausforderungen sind der Datenschutz und der Umgang mit Menschen, die sich in akuten Krisen befinden. Aus diesem Grund hat die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) im letzten Jahr zusammen mit der Verbindung der psychiatrischpsychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte (FMPP) der Schweiz Qualitätsstandards definiert.

Niederschwellig nutzbare und leicht verbreitbare Online-Interventionen können also das bestehende Versorgungsangebot ergänzen und mithelfen, die Häufigkeit psychischer Probleme und Störungen zu reduzieren.

Braucht es den Kontakt mit Professionellen?

Philipp arbeitet sich Schritt für Schritt durch verschiedene Module eines Selbsthilfeprogramms und wird gleichzeitig von einer Psychologin unterstützt. Angeleitete Selbsthilfe wird diese Form der Behandlung genannt. Seine Psychologin hat Philipp nie gesehen. Einmal in der Woche erhält er eine schriftliche Rückmeldung. Die Psychologin gibt ihm ein Feedback zu den Einträgen im Selbsthilfeprogramm, macht ihm Mut, beantwortet Fragen und erklärt kurz, welche Aufgaben als Nächstes auf ihn warten. Der Kontakt mit der Psychologin – wenn auch nur schriftlich – ist wichtig. Für Programme und Apps, die keinen Kontakt enthalten, werden geringere Effekte gefunden. Vielen Betroffenen fällt es ohne Unterstützung schwer, dranzubleiben. Mit ungeleiteten Programmen und Apps können zwar viele Menschen kostengünstig erreicht werden, viele brechen die Intervention aber auch frühzeitig wieder ab.

Neuer Trend Kombinationsformate

In jüngster Zeit werden vermehrt sogenannte Blended Treatments erforscht: Eine Mischung aus Sprechzimmer-Therapie und Online-Selbsthilfeprogrammen und Apps. Die Online-Interventionen dienen hier dazu, Inhalte zwischen den Sitzungen vorzubereiten oder zu vertiefen und den Alltagstransfer neuer Verhaltens- und Denkweisen zu fördern. In Studien der Universität Bern haben sich Kombinationsformate sowohl in der psychotherapeutischen Behandlung von Depressionen, also auch in der hausärztlichen Behandlung von Angststörungen als wirksamer erwiesen als die jeweils konventionellen Behandlungsformate. Solche Kombinationsformate sind ein Beispiel dafür, wie Online-Interventionen und Apps konventionelle Präventionsund Behandlungsansätze nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen können.

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Kontakt

Thomas Berger, Universität Bern,
thomas.berger@ptp.unibe.ch

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