Sprunglinks

zurück

«Viele Vorgesetzte wissen gar nicht, wo die Mitarbeitenden der Schuh drückt»

Ausgabe Nr. 123
Feb. 2019
Umfassende Gesundheitspolitik

Interview. 5 Fragen an Stephanie Lauterburg Spori, Arbeitspsycho­login MAS und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Eidge­nössischen Arbeitsinspektion des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), wo sie unter anderem bis Ende 2018 den Vollzugsschwerpunkt psychosoziale Risiken koordinierte.

Welches sind die wichtigen psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz?

Es geht vor allem um Stress, Mobbing und sexuelle Belästigung. Weitere Stichworte sind schlechte Arbeitsabläufe, Termindruck, ungeeignete Arbeitsumgebung oder schwierige soziale Beziehungen. Die möglichen Folgen sind vielfältig: Motivationsverlust, Schlafstörungen, muskuloskelettale Beschwerden, Angstzustände, Burn-out, Depression, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese betreffen nicht nur den Mitarbeitenden selbst, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen, die zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen und am Ende die gesamte Organisation, weil die Person nicht mehr voll leistungsfähig ist und die Unfallgefahr steigt. Bei einer längeren, krankheitsbedingten Abwesenheit fallen auch Kosten an. Es ist deshalb in mehrfacher Hinsicht im Interesse des Betriebes, dass die Mitarbeitenden gesund bleiben.

Was unternimmt das SECO, um diese Risiken zu senken?

Im Arbeitsgesetz steht, dass die Arbeitgeber den Schutz der psychischen und physischen Gesundheit ihrer Angestellten gewährleisten. Die Oberaufsicht darüber liegt beim SECO, der Vollzug bei den kantonalen Arbeitsinspektoraten. Weil die psychosozialen Risiken stetig zunehmen, fokussierte das SECO 2014 bis 2018 auf dieses Thema. Mit Weiterbildungen und einem Leitfaden unterstützte das SECO die Arbeitsinspektorinnen und Arbeitsinspektoren dabei, die psychosozialen Risiken in ihre Inspektionstätigkeit zu integrieren. Den Unternehmen wurde Informationsmaterial zur Prävention psychosozialer Risiken zur Verfügung gestellt. Zudem nahm das SECO an Veranstaltungen teil, um die Aufmerksamkeit von Führungskräften und Experten für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz auf die Thematik zu lenken.

Die Inspektoren wurden aufgefordert, psychosoziale Risiken bei ihren Besuchen systematisch anzusprechen und die Unternehmen für ihre Verantwortung in diesem Bereich zu sensibilisieren. Wichtig ist, dass der Betrieb ein System hat, mit dem er Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sicherstellen kann. Existiert ein entsprechendes Leitbild? Gibt es eine offene Kommunikationskultur zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden darüber, was belastet und ärgert – und zwar in beide Richtungen?

Wie können Unternehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirkungsvoll schützen?

Belastungen frühzeitig zu kennen, ist das A und O. In Kleinbetrieben genügt eventuell schon eine wöchentliche Sitzung, an der alle sagen können, was sie beschäftigt. Genügt das nicht oder ist der Betrieb für den direkten Austausch zu gross, können die Unternehmen psychische Belastungen durch Beobachtungen und Befragungen ermitteln. Es gibt erprobte Erhebungsinstrumente für diesen Zweck. Es kann dabei sinnvoll sein, eine Fachperson beizuziehen, um problematische Abläufe und Rahmenbedingungen zu eruieren und Verbesserungen einzuleiten.

Unternehmen müssen die Voraussetzungen für präventives Handeln schaffen, also Aufgaben und Zuständigkeiten klären und entsprechende Fachpersonen ausbilden. Die Unternehmen sollen Umgangsformen sowie die Folgen bei Zuwiderhandlung festlegen und die Belegschaft über diese Entscheide informieren. Wichtig ist auch, dass die Betriebe Belastungen ermitteln und Massnahmen treffen, um diesen Belastungen entgegenzuwirken – gemeinsam mit den Mitarbeitenden. Fallen beispielsweise in einer Abteilung über einen längeren Zeitraum viele Überstunden an, so sollen die Verantwortlichen dort genauer hinsehen. Warum haben sich Überstunden angehäuft? Was würde zur Verbesserung der Situation beitragen? 

Sind sich die Führungskräfte ihrer Verantwortung bewusst?

Nicht immer. Manchmal fehlt das Wissen, dass die Ursachen von Stress und anderen psychosozialen Risiken in einer ungünstigen Arbeitsumgebung liegen. Mögliche Ursachen von Stress sind beispielsweise hohes Arbeitstempo, Termindruck, mangelnde Unterstützung durch den Chef oder fehlende Wertschätzung. Es geht nicht nur um grosse Arbeitsmengen oder Überforderung, sondern auch um Faktoren, welche die Arbeit erschweren: fehlende Informationen, ungeeignete Arbeitsmittel, unklare Schnittstellen, fehlende Gestaltungsspielräume. Viele Vorgesetzte wissen gar nicht, wo die Mitarbeitenden der Schuh drückt. Es braucht eine offene und transparente Kommunikation zwischen Führungskräften und Untergebenen. Die Leute müssen Probleme ansprechen dürfen, ohne negative Folgen erwarten zu müssen.

Was ist Ihr Fazit nach Abschluss des Vollzugsschwerpunkts Ende 2018?

Es gibt ermutigende Ergebnisse. Die Evaluation bestätigt, dass Inspektionsbesuche zu Veränderungen in den Unternehmen führen. Sie wirken sich positiv aus auf das betriebliche Management von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sowie auf die Bereitschaft, den psychosozialen Risiken vorzubeugen. Wir haben jedoch festgestellt, dass psychosoziale Risiken von den Vorgesetzten tendenziell als individuelle Probleme gesehen werden. Die Arbeitsumgebung, die ursächlich für das Problem sein kann, scheint nur eine marginale Rolle zu spielen. Damit beschränkt sich die Intervention des Betriebs häufig auf freiwillige Unterstützungsmassnahmen und eine mehr oder weniger informelle Bearbeitung von Problemfällen.

Kontakt

Stephanie Lauterburg Spori, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Eidgenössische Arbeitsinspektion, SECO,

Nach oben

Unsere Website verwendet Cookies. So können wir Ihnen das ideale Nutzererlebnis bieten. Mit der weiteren Nutzung unserer Website erklären Sie sich mit unseren Datenschutzbestimmungen einverstanden. Mehr…

OK