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Strategie Sucht: ein inspirierender Rahmen, mit dem man vorsichtig umgehen muss

Ausgabe Nr. 129
Dez. 2020
Nationale Präventionsstrategien: Zwischenbilanz und Ausblick

Forum. Mit der Verabschiedung der nationalen Strategie Sucht hat der Bundesrat eine transversalere Vision der Sucht begründet. Bis wohin aber soll diese transversale Bewegung gehen? Ist alles vom selben Blickwinkel aus zu betrachten? Ich gehe im Folgenden auf zwei Fallstricke ein, die es zu vermeiden gilt.

1. Die Strategie Sucht mit der Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD) oder der Strategie psychische Gesundheit zusammenführen

Es existiert hier selbstverständlich eine Grenze: das Abstraktionsvermögen der Beteiligten. Der politische Rahmen, den wir vorgeben können, muss die richtige Flughöhe aufweisen, d. h., inspirierend genug sein, um Innovationen zu fördern, gleichzeitig aber auch mit den realen Gegebenheiten verflochten bleiben, welche die Akteure, an die sich der Rahmen richtet, kennen. Eine Zusammenführung der Strategien NCD und Sucht (oder gar der Strategie psychische Gesundheit) würde diese Grenze klar überschreiten. Im Gegensatz zu den NCDs sind die Süchte hauptsächlich im moralischen Bereich anzusiedeln. Das äussert sich darin, dass Entscheidungen in diesem Bereich nicht rational, sondern kulturell und kontextbezogen sind. Ein Teil der Begleitarbeit besteht nicht in der Bekämpfung einer «Krankheit», sondern darin, dass man sich mit den Konsequenzen dieses moralischen Urteils über die Personen befasst. Es hätte verheerende Folgen, wenn vergessen würde, dass in diesem heiklen Bereich eine eigene politische Steuerung notwendig ist, mit einer starken Führung und einer spezifischen Politik. Dies gilt es absolut zu vermeiden. 

2. Die Spezifität der Suchtproblematiken verlieren

Suchtverhaltensmuster resultieren aus sozialen Realitäten: Ein Glas Wein trinken hat nicht die gleiche gesellschaftliche Bedeutung wie der Konsum von Heroin. Und diese Unterscheidung ist nicht in der Gefährlichkeit begründet. Dieses wirtschaftliche und kulturelle Raster zwingt uns dazu, spezifische Massnahmen weiterhin pro Suchtmittel zu erwägen, da diese Suchtmittel zu unterschiedlichen sozialen Regis­tern gehören. Die Strategie mit der Realität in der Praxis zu verwechseln, würde in diesem Fall zur Aufgabe des biopsychosozialen Modells führen, das darauf basiert, dass der Kontext die Sucht begründet, ebenso wie das Suchtmittel und das Individuum.

Fazit

Die Strategie Sucht bleibt ein leistungsfähiges, transformatives Instrument, doch ihr Geltungsbereich ist in Erinnerung zu rufen. Das Konzept der Sucht und deren Verallgemeinerung in der Gesellschaft bewirken – noch – keine so grossen Veränderungen, dass die Unterschiede zwischen den Suchtmitteln aus wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Sicht verblassen oder die Sucht zu einer «normalen» Krankheit wird. Dieses Dokument alleine kann die Gesellschaft nicht verändern. Kein Bleistiftstrich – und sei er noch so präzise – kann den Unterschied zwischen Suchtproblematiken und NCDs verwischen. Zudem bräuchte es mehr, um die barocken Darstellungen der Suchtmittel zu überwinden, die eine säkulare Geschichte von Wirtschaft und Kultur uns hinterlassen hat. Wenn wir diese zwei Fakten vergessen, gehen wir das Risiko ein, dass wir den Teufel mit Beelzebub austreiben. Wir müssen diese Strategie daher so annehmen, wie sie ist: als inspirierenden Ansatz für die gesellschaftlichen Akteure, die damit den künftigen Wandel herbeiführen können. Sie erhellt den vor uns liegenden Weg und erfüllt gleichzeitig ihren Zweck im Hier und Jetzt.

Kontakt

Jean-Félix Savary
GREA  – Groupement Romand d’Études des Addictions

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