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Arbeitsassoziierte Erkrankungen

Ausgabe Nr. 105
Jul. 2014
Arbeit und Gesundheit

Forum Prof. Dr. med. Brigitta Danuser. Berufsassoziierte Gesundheitsstörungen (BAGS) sind häufig, zudem zeigen alle Umfragen eine markante Zunahme seit den 90er-Jahren. Bei der Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2012 gaben 60% der Befragten an, unter Stress zu leiden, und rund 20% bezeichneten sich als chronisch gestresst mit Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Unter den chronisch Gestressten ist das Risiko einer Depression fünfmal höher. Die durch Stress verursachten Kosten für die Arbeitgeber wurden vom SECO auf jährlich 10 Milliarden Franken geschätzt. Jeder zweite Befragte aus der Allgemeinbevölkerung hatte in den letzten vier Wochen Rückenschmerzen, wobei 18% sich deswegen medizinisch behandeln liessen. In Umfragen unter der arbeitenden Bevölkerung berichten 18% über arbeitsbezogene Rückenschmerzen und 13% (2010 sogar über 50%) über arbeitsbezogene andere muskulo­skelettale Schmerzen. Die verursachten ökonomischen Kosten von Rückenschmerzen betragen zwischen 1,6 und 2,3% des schweizerischen Bruttoinlandprodukts.

BAGS führen häufig zu Absenzen und können bei ca. 10% der Betroffenen langfristige Arbeitsunfähigkeit bis zur Invalidität zur Folge haben; so beantragt jeder sechste Patient mit chronischen Rückenschmerzen eine IV-Rente.
Die Gründe für die Zunahme der BAGS sind vielfältig und noch nicht genau erforscht. Fachleute sind sich einig, dass Veränderungen der Arbeit, der Arbeitsorganisation, des Arbeitsmarktes, des sozial-medizinischen Systems, aber auch neue Anforderungen der Arbeitnehmenden an die Arbeit und an das Privatleben zusammenspielen.
BAGS sind aufgrund ihrer Häufigkeit und Kosten ein vorrangiges Public-Health-Problem, und es stellt sich auch die Frage, wie es in der Schweiz bezüglich ihrer Prävention aussieht. Die ESENER-Umfrage (European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks) von 2006 zeigt deutlich auf, dass die schweizerischen Arbeitgeber bedeutend weniger sensibilisiert sind für die Risiken von BAGS als ihre europäischen Kollegen und auch weniger präventive Massnahmen getroffen haben. Auch ist das betriebliche Gesundheitsmanagement in der Schweiz häufig auf ein Absenzenmanagement reduziert.
Nicht nur die Primärprävention ist mangelhaft, auch die medizinische Versorgung und die Rehabilitation der Betroffenen sind kaum entwickelt und koordiniert. Durch die Unterentwicklung der Arbeitsmedizin in der Schweiz ruht die Erkennung von Berufskrankheiten und BAGS auf den medizinischen Grundversorgern und einigen speziell betroffene Spezialisten wie Rheumatologen und Psychiatern. 820 Ärzte aus der Romandie (Generalisten, Rheumatologen, Pneumologen, Psychiater und Dermatologen) gaben an, dass 14,5% der gestellten Erstdiagnosen einen Bezug zur Arbeit haben. Dies variiert nach Spezialität: Allgemeinmediziner 15%, Psychiater 17% und Rheumatologen 21%. Die am häufigsten  genannten Krankheiten mit einem Bezug zur Arbeit sind: psychische Krankheiten (93%), Rückenschmerzen (70%) und andere muskuloskelettale Erkrankungen (29%). 55% der befragten Ärzte und Ärztinnen haben noch nie einen Arbeitsmediziner konsultiert und 40% gaben an, noch nie mit dem Arbeitgeber Kontakt aufgenommen zu haben, dies bei einer mittleren Berufserfahrung von 27 Jahren. Gefragt nach benötigter Unterstützung, wünschen sich 74% Hilfe im Bereich der Stresserkrankungen, 75% im Bereich «Zurück zur Arbeit» sowie 73% für die Diagnostik von Berufskrankheiten. Aufgrund dieser Ergebnisse bietet das Institut Santé au Travail (IST) seit zwei Jahren die Konsultation «Souffrance au Travail» an, und eine Konsultation «Zurück zur Arbeit» ist in Vorbereitung.
Es ist nicht erstaunlich, dass die Rückkehr zur Arbeit von BAGS oder anderen schweren oder chronischen Krankheiten, die eventuell Arbeitsplatzadaptationen notwendig machen, Probleme schafft für die befragten Ärzte. Diese sind nicht dafür ausgebildet, diese Rückkehr zu begleiten, und es fehlt ein medizinisches Bindeglied im Betrieb, sodass die Ärzte das Arztgeheimnis in Gefahr sehen. Zudem wird die Arbeitswelt immer kompetitiver, was arbeiten mit oder nach einer Krankheit nicht einfacher macht. Auch der OECD-Bericht über psychische Gesundheitsstörungen und Arbeit in der Schweiz zeigt auf, dass die Schnittstelle zwischen Gesundheitssystem und Arbeitswelt nicht wirklich funktioniert. So beobachten wir heute, dass nicht nur auf der administrativen Seite diese Schnittstelle immer mehr von den Versicherungen (Taggeld und IV) in die Hand genommen wird. Wird dies nur unter dem Gesichtspunkt der kurzfristigen Kostenreduktion gemacht, so endet die Rückkehr zur Arbeit in vielen Fällen in einer Kündigung.

Prof. Dr. med. Brigitta Danuser
FMH Arbeitsmedizin
Institut universitaire romand de Santé au Travail, Universität Lausanne

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