Chancengleichheit ganz konkret
Jan. 2018Chancengleichheit
NCD. Was tun die Träger der NCD-Strategie, die Schweizerische Konferenz der Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz (GFCH) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG), wenn sie im Jahr 2018 auf gesundheitliche Chancengleichheit setzen? Damit alle die gleichen Chancen für ein gesundes Leben und im Falle einer Krankheit die gleichen Zugangschancen zur Gesundheitsversorgung wahrnehmen können, müssen alle gesundheitsrelevanten Ungleichheiten berücksichtigt werden. So lautet eine der künftigen Herausforderungen.
Diana Müller, GDK
Was bedeutet gesundheitliche Chancengleichheit für die GDK?
Die Ziele und Definitionen der WHO und von
Quint-Essenz sind wichtige Grundlagen für
das Verständnis in der GDK bzw. den Kantonen.
Ebenso bietet die Umschreibung im
NCD-Strategiepapier eine wertvolle Orientierung
zum Begriff «Chancengleichheit».
Abgeleitet von diesen Grundlagen könnte für
uns die Definition wie folgt lauten: Gesundheitliche
Chancengleichheit ist ein Prozess
bzw. Weg. Es geht darum, gleiche Chancen
für das Gesundsein und Gesundwerden herzustellen.
Auch die Zugangschancen zur Versorgung
müssen gleich sein – unabhängig
vom sozialen Status, von der nationalen Zugehörigkeit,
von Geschlecht und Alter etc.
Dennoch kann der Gesundheitszustand zwischen
verschiedenen Individuen oder Gruppen
unterschiedlich sein – z.B. aufgrund genetischer
Voraussetzungen oder eines selbst
gewählten Lebensstils.
2018 ist die gesundheitliche Chancengleichheit
das Jahresthema von BAG,
GDK und GFCH.
Was macht die GDK dazu?
Im Rahmen des Programms Migration und
Gesundheit (2014–2017) haben acht Kantone
Programme, Projekte und Massnahmen für
Gesundheitsförderung und Prävention auf
migrationsspezifische Faktoren ausgerichtet.
Im Rahmen der kantonalen Aktionsprogramme
(KAP) werden Aktivitäten mit Fachorganisationen
wie SRK, Caritas oder HEKS umgesetzt.
Diese und weitere Aktivitäten werden
mit Blick auf Erfolgsfaktoren und Stolpersteine
ausgewertet. Gemeinsam mit dem BAG
prüft die GDK, ob sich daraus Unterstützungsbedarf
sowie praxisrelevante Empfehlungen
und Kriterien für chancengleiche Projekte
und Aktivitäten ableiten lassen. Darüber
hinaus wird die Gesundheitsförderungskonferenz
im Januar 2018 dafür genutzt, um für
die vielfältigen Aspekte der Chancengleichheit
zu sensibilisieren, sodass künftig nicht
nur die Migrationsbevölkerung, sondern auch
andere vulnerable Gruppen in den Fokus der
kantonalen Bemühungen rücken.
Wo sehen Sie Erfolgsfaktoren,
wo Stolpersteine?
Aktivitäten zur Chancengleichheit erfordern
eine sorgfältige Situationsanalyse, ein fundiertes
Verständnis der fokussierten Zielgruppe,
kreative und vernetzte Ansätze sowie
einen langen Atem. Entsprechend ist die Zusammenarbeit
bzw. Einbindung in ein kantonales
Aktionsprogramm sowie die Kooperation
mit spezialisierten Fachorganisationen
und Vertretern der Zielgruppe wesentlich.
Stolpersteine sind für uns die fehlende politische
Sensibilisierung für die vielfältigen
Facetten der Chancengleichheit, die schwachen
Wirkungsnachweise und die knappen
finanziellen Mittel.
Dominik Weber, GFCH
Was bedeutet gesundheitliche
Chancengleichheit für GFCH?
In Anlehnung an die NCD-Strategie bedeutet
gesundheitliche Chancengleichheit für uns,
dass möglichst alle Menschen die gleichen
Möglichkeiten zur Entwicklung, Erhaltung
und falls nötig Wiederherstellung ihrer Gesundheit
haben. Chancengleichheit impliziert
also nicht, dass alle Menschen gleich gesund
sind. Vielmehr geht es darum, dass gesundheitsrelevante
Ressourcen möglichst gleich
über die verschiedenen Bevölkerungsgruppen
verteilt sind.
2018 ist die gesundheitliche Chancengleichheit
das Jahresthema von BAG,
GDK und GFCH.
Was macht GFCH dazu?
Die Chancengleichheit ist in unseren kantonalen
Aktionsprogrammen (KAP) bereits ein wichtiges
Thema: Zum Schwerpunkt «Ernährung
und Bewegung bei Kindern und Jugendlichen»
stieg der Anteil Projekte, die Chancengleichheit
berücksichtigen, über die Jahre kontinuierlich
an. Anfang 2017 haben wir die KAP gemeinsam
mit den Kantonen um das Thema «Psychische
Gesundheit» und die Zielgruppe «ältere Menschen
» erweitert. 2018 werden wir deshalb
unsere Arbeitsgrundlagen zur Chancengleichheit
aktualisieren und ergänzen. Dazu arbeiten
wir gegenwärtig Wissen und Erfahrungen auf
und defi nieren künftige Arbeitsschwerpunkte.
Wir wollen gesundheitliche Chancengleichheit
breit denken und unterschiedliche gesundheitlich
benachteiligte Gruppen berücksichtigen.
Weiter gilt es, unsere Arbeit eng mit den Akteuren
im Bereich Chancengleichheit abzustimmen
und die Übereinstimmung mit der NCD-Strategie
zu gewährleisten.
Wo sehen Sie Erfolgsfaktoren,
wo Stolpersteine?
In der Praxis ist es eine Herausforderung, gesundheitlich
benachteiligte Bevölkerungsgruppen
zu erreichen. Auf politischer Ebene ist es
zudem nicht einfach, höhere Kosten für Projekte
zugunsten schwer erreichbarer Bevölkerungsgruppen
zu begründen und sie längerfristig
zu verankern. Massnahmen zur
Erhöhung der gesundheitlichen Chancengleichheit
sollten auf verschiedenen Ebenen
ansetzen: Auf übergeordneter Ebene sind
strukturelle Massnahmen wichtig, die über den
alleinigen Einfl ussbereich der Gesundheitspolitik
hinausgehen. Dazu braucht es eine multisektorale
Zusammenarbeit mit Partnern im
Sozial-, Bildungs- und Raumplanungsbereich.
Auf Ebene der konkreten Interventionen ist auf
eine Ressourcenorientierung zu achten, denn
auch gesundheitlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen
verfügen über wichtige Handlungskompetenzen,
an die man in der Gesundheitsförderung
anknüpfen kann.
Eva Bruhin, BAG
Was bedeutet gesundheitliche
Chancengleichheit für das BAG?
Unser Ziel ist es, der gesamten Bevölkerung
in der Schweiz langfristig die Chancen für
eine gute Gesundheit zu ermöglichen – unabhängig
von Bildung, Einkommen oder Herkunft.
In der Massnahmenausgestaltung der
NCD-Strategie stellen wir uns die Fragen: Wie
können wir alle Zielgruppen erreichen? Wie
müssen die Botschaften ausgestaltet sein,
damit sie bei den Menschen ankommen und
verstanden werden? Es bedeutet aber auch,
dass der Zugang zu Angeboten und für Unterstützung
einfach und niederschwellig ist.
2018 ist die gesundheitliche Chancengleichheit
das Jahresthema von BAG,
GDK und GFCH.
Was macht das BAG dazu?
Im Hinblick auf 2018 wurden bestehende Daten
ausgewertet und geschaut, welche Chancenungleichheiten
bestehen, respektive, wo
Brennpunkte sind. Diese Informationen fl iessen
in die NCD-Stakeholderkonferenz vom
18. Januar 2018 ein (s. Box Seite 4). Weiter ist
das Thema Chancengleichheit ein wichtiger
Aspekt im Projekt Selbstmanagement chronischer
Krankheiten, das 2017 gestartet ist.
Hierbei soll ein Referenz- und Orientierungsrahmen
zu Angeboten für chronisch Kranke
und ihre Angehörigen erstellt sowie eine Plattform
für den Austausch zwischen Anbietern
geschaffen werden. Zudem ist die Chancengleichheit
bei Projektfi nanzierungen eines der
Zuschlagskriterien. Ein ganz wichtiger Aspekt
ist die Zusammenarbeit mit Spezialisten für
Chancengleichheit, innerhalb des BAG und mit
externen Partnern wie dem Schweizerischen
Roten Kreuz (Migesmedia).
Wo sehen Sie Erfolgsfaktoren,
wo Stolpersteine?
Ein erster wichtiger Schritt war das Ausweiten
des Themas «Gesundheitliche Chancengleichheit». Neben der Herkunft werden nun
auch die Faktoren Einkommen und Bildung
mitberücksichtigt. Das reicht aber nicht, um
effektiv gleiche Chancen herzustellen. Es ist
erwiesen, dass strukturelle Massnahmen (z.B.
Werbeverbote für Tabakprodukte, Preiserhöhungen)
die grösste präventive Wirkung hätten
und die Chancengleichheit deutlich erhöhen
würden. Diese werden aktuell nicht von
der Politik getragen. Weiter wissen wir, dass
bei den Personen, die wir mit der Prävention
erreichen sollten, oft andere Probleme wichtiger
sind als die Gesundheit. Wir versuchen,
durch Kooperationen mit relevanten Mittlern
und Multiplikatoren den Zugang zu diesen
Personen zu fi nden. Wir wollen die Leute in
ihrem Lebenskontext und bei ihren Bedürfnissen
abholen.