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Verstehen und verstanden werden – traumatisierte Geflüchtete und die Arbeit mit interkulturell Dolmetschenden

Ausgabe Nr. 119
Jan. 2018
Chancengleichheit

Forum. Schätzungen zufolge leiden aktuell 40 bis 50 Prozent aller Asylsuchenden und Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten unter verschiedenen Trauma-Folgeerkrankungen. Viele von ihnen haben wiederholt traumatische Situationen durch Krieg, Folter und lebensbedrohliche Fluchtwege erlebt. In der Schweiz angekommen, sind sie mit einer neuen Kultur und mit aufenthalts- und sozialrechtlichen Bestimmungen konfrontiert, die ihre Lebensbedingungen über Jahre gravierend beeinflussen.

Die kontinuierliche Unsicherheit über den künftigen Aufenthalt in der Schweiz, ein lang andauernder Asylprozess mit beengten Wohnverhältnissen oder anhaltende Armut erhöhen wesentlich das Risiko für eine psychische Erkrankung oder für die Aufrechterhaltung einer Störung. Zudem ist der Zugang zur medizinischen Versorgung durch diverse Zugangsbarrieren erschwert, sodass Asylsuchende häufig unterdiagnostiziert sind und eine inadäquate Behandlung erhalten. Dies führt letztlich zu erhöhten Kosten für das Gesundheitssystem. 

Die Sprache erweist sich dabei als zentrale Zugangsbarriere für geflüchtete Menschen. Bei unserer Arbeit am Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK ist die «Arbeit im Trialog» deshalb Standard. Abklärungen, Beratungen und Therapien wären ohne interkulturell Dolmetschende nicht möglich. Nicht selten sind sie für uns nicht nur Sprach-, sondern auch Kulturvermittelnde. Sie helfen beim Klären und Verstehen von soziokulturell bedingten Metaphern, Bildern oder Redewendungen. Das Gefühl, verstanden zu werden und selbst zu verstehen, ist unerlässliche Basis für eine gute und professionelle Psychotherapie, aber auch für eine adäquate medizinische Grundversorgung.

Ein Praxisbeispiel soll die Relevanz der Arbeit mit interkulturell Dolmetschenden verdeutlichen: Laut Zuweiserin hatte ein 19-jähriger Mann aus Syrien bereits einen langen Weg durch das schweizerische Gesundheitssystem hinter sich. Wegen Ohnmachtsanfällen und Panikattacken wurde er bereits zweimal im Notfall abgeklärt. Nach einem Anfall mit anschliessender Verwirrtheit und aggressivem Verhalten wurde er für einen mehrtägigen stationären Aufenthalt in die Akutpsychiatrie eingewiesen. Anschliessende ausführliche neurologische Untersuchungen inkl. eines Schädel-MRI blieben ohne Befunde, das Symptombild blieb weiterhin unklar. Die darauffolgenden Abklärungen bei uns waren laut Aussage des Patienten die ersten, welche mit einem Dolmetscher durchgeführt wurden. Unsere fachspezifi schen psychiatrischen und psychometrischen Untersuchungen zeigten, dass er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und damit verbunden unter stark ausgeprägten Dissoziationen litt. Darüber zu sprechen, was er in seiner Heimat und auf der Flucht erlebt hatte, erleichterte den Patienten spürbar. Das tiefe Entsetzen über den gewaltsamen Tod seiner Eltern und die anhaltende Ungewissheit über den Verbleib seiner Geschwister konnte langsam sprechbar gemacht und therapeutisch verarbeitet werden.

Weitere Besuche im Notfall blieben in der Folge aus. Für uns ist klar: Eine adäquate Gesundheitsversorgung von traumatisierten Flüchtlingen ist oft nur dank professioneller Übersetzung möglich. Eine Früherkennung von psychischen Problemen bei Asylsuchenden und eine rasche adäquate Reaktion darauf lindern nicht nur grosses persönliches Leid. Sie erleichtern auch die soziale und berufl iche Integration in der Schweiz und verhindern erhebliche Folgekosten.

Im Gesundheitswesen stellt die gelungene Kommunikation einen integralen und unverzichtbaren Bestandteil jeder Behandlung dar. Übersetzungsangebote müssen daher eine durch die Krankenkassen und Sozialämter fi nanzierte Leistung werden.

Dr. Carola Smolenski, Therapeutische Leiterin, Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer, Schweizerisches Rotes Kreuz

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