Auf Kurs
Dez. 2020Nationale Präventionsstrategien: Zwischenbilanz und Ausblick
Leitartikel. Seit Anfang 2017 werden die beiden nationalen Strategien Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD) und Sucht umgesetzt: Zeit für eine Zwischenbilanz und einen Ausblick. Wie ist der Stand der beiden Strategien? Was wurde erreicht? Was noch nicht? Und wie geht es weiter?
Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf- und chronische Atemwegs-Erkrankungen wie Asthma und COPD gehören in der Schweiz zu den häufigsten Todesursachen. Diese sogenannten nichtübertragbaren Krankheiten (noncommunicable diseases [NCD]) sind bei Männern für rund 50 Prozent und bei Frauen für rund 60 Prozent der Todesfälle vor dem 70. Lebensjahr verantwortlich (vorzeitige Sterblichkeit). Auch Suchterkrankungen haben oft tödliche Folgen: So sterben in der Schweiz jedes Jahr rund 1600 Menschen an den Folgen von Alkoholmissbrauch und es werden jährlich rund 120 Drogentote gezählt. Es ist daher nicht überraschend, dass alle NCDs inklusive Sucht- und psychischer Erkrankungen für 80 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben in der Schweiz verantwortlich sind.
Anfang 2017 starteten daher die «Nationale Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie)» und die «Nationale Strategie Sucht» – beide mit einem Zeithorizont bis 2024. Die Strategien verfolgen das Ziel, dass die Bevölkerung möglichst lange möglichst gesund leben kann. Es geht darum, die Risikofaktoren zu reduzieren und die Schutzfaktoren zu stärken. Die Zahl der vorzeitigen Todesfälle und der Suchterkrankungen sowie die sozialen und gesundheitlichen Schäden sollen verringert, der Kostenanstieg im Gesundheitswesen gebremst werden.
Zwischenevaluation
Nun befinden sich die Strategien in der Halbzeit, und dieser Meilenstein wurde genutzt, um sie zu evaluieren. Die Zwischenevaluation konzentrierte sich auf die Frage: Wie ist der Stand der Umsetzung der beiden Strategien? Aber auch Fragen zur Zusammenarbeit mit den verschiedenen Umsetzungspartnern und zur Steuerung der beiden Strategien wurden gestellt.
Die Zwischenevaluation hat gezeigt: Die beiden Strategien sind grundsätzlich auf Kurs. Verschiedene Konzepte und Projekte wurden bereits umgesetzt, so etwa das neue Monitoring-System MonAM, das Zahlen zu NCD und Sucht sammelt und allen Interessierten zur Verfügung stellt. MonAM wird stetig weiterentwickelt und nimmt laufend aktuelle Indikatoren auf. Weiter haben das BAG und Gesundheitsförderung Schweiz die Projektförderung Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV) aufgebaut und bereits drei Förderrunden durchgeführt. 2021 ist ein Zwischenjahr für die PGV, das genutzt werden wird, um auf Basis der Learnings aus den ersten drei Jahren die Definition der PGV zu präzisieren und die Projektfördergrundlagen zu überarbeiten. Danach startet im September 2021 eine neue Förderrunde (siehe Artikel Seite 8).
Weitere Projekte, die im Rahmen der Strategien umgesetzt wurden, sind zum Beispiel die Optimierung und Kommunikation der Informationsplattform «Praxis Suchtmedizin», die Erarbeitung und Streuung eines nationalen Konzepts zur frühkindlichen Gesundheitsförderung oder die Erweiterung des Ansatzes zur Früherkennung und Frühintervention (F+F).
Ein weiterer Meilenstein war die Ausweitung der Kantonalen Aktionsprogramme (KAP): Mittlerweile verfügen 24 von 26 Kantonen über entsprechende Programme, die im Rahmen der Strategien unterstützt werden. «Ein grosser Erfolg», so Eva Bruhin, Leiterin Sektion Präventionsstrategien im BAG. Die Kantone orientieren sich bei der Umsetzung an den nationalen Grundlagen: gleichzeitig mehreren Risikofaktoren für NCDs vorbeugen oder bereichsübergreifende Suchtprävention betreiben.
Die Evaluation hat Empfehlungen auf zwei Ebenen gemacht: einerseits auf der operativen Ebene mit relativ konkreten Vorschlägen zur Anpassung einzelner Massnahmen, andererseits auf strategischer Ebene. «Die Inputs aus der Evaluation waren hilfreich und sind bereits in die neuen Massnahmenpläne und die Steuerung der Strategien eingeflossen», erklärt Bruhin. «Wir hoffen, dass wir mit diesen Anpassungen noch mehr Wirkung generieren können bis zum Abschluss der Strategien.»
Die Schwierigkeit bei der Umsetzung der Strategien – das zeigt auch die Evaluation – liegt vor allem in der Freiwilligkeit. Es gibt keine Verpflichtung, bei den Strategien mitzuarbeiten, nur gute Argumente.
Ausblick auf die zweite Halbzeit
Im Hinblick auf die zweite Halbzeit gibt es verschiedene Punkte, die angepasst werden sollen. Als wichtige Neuerung wird in der Umsetzung auch die Demenzprävention mitgedacht, da gewisse Demenzformen Ähnlichkeiten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen. Demenz verursacht in der Schweiz viel Leid: Jedes Jahr erkranken in der Schweiz etwa 30 000 Menschen. Der weitaus grösste Teil der Betroffenen lebt zu Hause, bei starker Pflegebedürftigkeit ist jedoch eine stationäre Behandlung meist unumgänglich.
Wichtig wird in Zukunft die Kommunikation sein. Hier steht vor allem die Partner-Plattform im Fokus, eine Informations- und Austauschplattform für alle beteiligten Akteure. Die Website www.prevention.ch wird im Frühling 2021 lanciert, um den Austausch unter den verschiedenen Fachpersonen und beteiligten Organisationen zu stärken (siehe Artikel Seite 3). «Genau hier kann das BAG viel bewirken, bei der Koordination und Kommunikation über die Kantons- und Organisationsgrenzen hinaus», so Bruhin.
Dann soll auch die Zusammenarbeit zwischen den Themenbereichen NCD, Sucht und psychische Gesundheit weiter intensiviert werden, weil da viele Schnittstellen existieren. NCDs betreffen stets den ganzen Menschen. So entwickeln zum Beispiel viele Krebspatienten Depressionen. Umgekehrt beeinflusst eine Suchterkrankung alle Lebensbereiche: Sie hat körperliche, psychische und soziale Folgen. Die Verbindungen von NCD, Sucht und psychischer Gesundheit liegen also auf der Hand und es macht daher Sinn, diese Themenbereiche in Zukunft noch stärker zu verbinden.
Im Bereich Sucht stehen verschiedene Themen im Fokus, zum Beispiel die Suchtberatung SafeZone. Es sollen neue Ansätze in der Suchthilfe implementiert werden, Stichwort «blended counseling»: Darunter verstehen Fachleute eine Verbindung von Online-Beratung und Face-to-Face-Gesprächen, also von digitaler und analoger Kommunikation, die auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten Rücksicht nimmt. Weitere Themen sind Verhaltenssüchte oder der problematische Gebrauch psychoaktiver Medikamente – und die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Umsetzungspartnern. Denn auch das ist eine wichtige Erkenntnis in der Halbzeit: Durch die gemeinsame Umsetzung der Strategien sind die verschiedenen Partner näher zusammengerückt. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die nächsten vier Jahre.