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«Unsere Zusammenarbeit ist enger und kohärenter geworden»

Ausgabe Nr. 129
Dez. 2020
Nationale Präventionsstrategien: Zwischenbilanz und Ausblick

Die beiden nationalen Strategien Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD) befinden sich in der Halbzeit. Im Gespräch mit «spectra» zieht das Leitungsgremium eine Zwischenbilanz: Dank kontinuierlichen Absprachen sind die Aktivitäten nun besser und effektiver aufeinander abgestimmt. Das ist erfreulich, denn die Zunahme der NCDs ist eine Herausforderung, die sich nur mit einem gemeinsamen Vorgehen stemmen lässt.

Kathrin Huber, Salome von Greyerz, Roy Salveter und Bettina Abel (v. l.).

Die Zwischenevaluation der beiden nationalen Strategien Sucht und NCD kommt zum Schluss, dass deren Umsetzung insgesamt plangemäss verlaufe, aber für alle Beteilig­ten anspruchsvoll sei. Teilen Sie diese Einschätzung?

Roy Salveter: In der Umsetzung der beiden Strategien engagieren sich zahlreiche Akteure. Das ist erfreulich. Aber es bringt natürlich auch Herausforderungen mit sich. In der Aufbauphase, also in den ersten beiden Umsetzungsjahren, haben die drei Trägerorganisationen Konzepte erstellt und diverse Projekte neu ausgerichtet oder aufgegleist. Nun setzen wir sie mit verschiedenen Partnern um. Wir sind uns bewusst, dass diese Aufbauarbeiten und auch die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Trägerorganisationen einen gewissen Koordinationsaufwand bedingen. Wir sind jedoch sehr zufrieden mit der Entwicklung und der Richtung: Die Zunahme der NCD ist eine Herausforderung, die wir nur mit einem gemeinsamen Vorgehen erfolgreich bewältigen können.

Kathrin Huber: Auch wir sind der Ansicht, dass sich der grössere Koordinationsaufwand lohnt. Dadurch können wir viele Synergien nutzen, die fachlich wie auch inhaltlich sinnvoll sind. Zudem ist die Zusammenarbeit der drei Trägerorganisationen über die Jahre immer enger und kohärenter geworden. Wieder einen Schritt zurück zu machen, also dass wieder jeder an seinen eigenen Baustellen arbeitet, ist für uns keine Option.

Bettina Abel: In diesen vier Jahren hat unsere Zusammenarbeit einen grossen Sprung gemacht. Mit kontinuierlichen Absprachen ist es uns gelungen, ein gemeinsames Verständnis aufzubauen. Und dieses Verständnis hat uns geholfen, unsere jeweiligen Aktivitäten besser und effektiver aufeinander abzustimmen – und die Rollen klarer zu verteilen.

Salome von Greyerz: Im Vergleich zu früher steht das BAG nun etwas weniger prominent im Vordergrund, dafür ist die Rolle der Kantone gestärkt. Und wir haben mit Gesundheitsförderung Schweiz (GFCH) einen wichtigen Player in der Präventionslandschaft eng eingebunden. Dank der von Jahr zu Jahr vertieften und verbesserten Zusammenarbeit ist es uns zudem gelungen, die beiden Programme stärker thematisch zu verknüpfen: Unterdessen ist das Thema psychische Gesundheit in allen Massnahmenbereichen der NCD-Strategie ein etablierter Schwerpunkt, der unter anderem auch Aspekte der Suizidprävention und der psychiatrischen Versorgung umfasst.

Welches sind die wichtigsten bisherigen Erfolge in der Umsetzung der Strategien?

Salome von Greyerz: Die wichtigste Errungenschaft ist, dass mit der NCD-Strategie schweizweit mehr Gelder für die Prävention zur Verfügung stehen. Heute bezahlt jede Person in der Schweiz jährlich Fr. 4.80 anstatt Fr. 2.40 für die allgemeine Krankheitsverhütung. Ohne die neuen strategischen Grundlagen für die Prävention – die NCD-Strategie und den Bericht psychische Gesundheit – hätte Bundesrat Alain Berset im Sommer 2017 nicht die Möglichkeit gehabt, den KVG-Prämienzuschlag zugunsten der Prävention zu erhöhen.

Bettina Abel: Mit den zusätzlichen Präventionsgeldern hat GFCH die Prävention fester in der Gesundheitsversorgung verankert und wichtige neue Stakeholder aus dem Gesundheitswesen eingebunden. So unterstützen wir nun zum Beispiel finanziell die Leistungserbringer im Feld, die direkt vor Ort neue Lösungen in den Themen Ernährung, Bewegung und psychische Gesundheit entwickeln und umsetzen. Zudem ermöglichen uns die zusätzlichen Gelder, gemeinsam mit den Kantonen das Thema psychische Gesundheit zu stärken – und die Zielgruppe ältere Menschen in die Kantonalen Aktionsprogramme aufzunehmen, was ja im Hinblick auf den demografischen Wandel grossen Sinn ergibt.

Roy Salveter: Neben der schon erwähnten Verbesserung der Zusammenarbeit – die uns nicht nur hilft, Synergien auszuschöpfen, sondern auch Doppelspurigkeiten bei den Aktivitäten zu vermeiden – möchte ich hier auch die Entwicklung des Monitoring-Systems MonAM erwähnen. MonAM führt Daten aus verschiedenen Quellen zu einer übersichtlichen Indikatorensammlung zusammen und stellt diese allen Interessierten zur Verfügung. Zu den Erfolgen gehören aber auch die neue Projektförderung im Bereich der Prävention in der Gesundheitsversorgung oder das Forum SELF, welches das Selbstmanagement von erkrankten Menschen fördert.

Kathrin Huber: Dass bereits 24 Kantone ein Kantonales Aktionsprogramm durchführen, ist auch aus Sicht der Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK sehr positiv zu werten. Zudem haben bereits zehn Kantone ein multithematisches Präventionsprogramm aufgebaut. Das zeigt mir, dass der risikofaktor­übergreifende Ansatz der Strategien in vielen Umsetzungsbereichen gerechtfertigt und in der praktischen Umsetzung angekommen ist.

Während die Befürworter des risikofaktorübergreifenden Ansatzes die Synergien betonen, befürchten die Kritiker dieses Ansatzes eine Verschleierung der spezifischen Probleme. Was antworten Sie?

Roy Salveter: Die fünf häufigsten NCDs und zahlreiche weitere Erkrankungen werden von den gleichen vier Faktoren beeinflusst:
Tabak- und Alkoholkonsum, Ernährung, Bewegung. Zudem zeigt die Alltagserfahrung, dass Alkohol, Rauchen und zu wenig Bewegung oft zusammengehen. Um NCDs vorzubeugen und sie zu verhindern, ist es also sinnvoll, einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen. Das schliesst selbstverständlich nicht aus, dass auch einzelne Risikofaktoren direkt angesprochen werden sollen, insbesondere in politischen Prozessen. Allerdings sind regulatorische Massnahmen – etwa im Bereich Tabak oder Alkohol – nicht Teil der Strategien, sondern laufen parallel in der parlamentarischen Beratung.

Kathrin Huber: Am Grundsatz unseres koordinierten Vorgehens rütteln wir nicht. Selbstverständlich wird es aber auch weiterhin einzelne Projekte oder Interventionen geben, die substanz- oder risikospezifisch ausgerichtet sind.

Wie tragen die beiden Strategien NCD und Sucht zum Schutz von benachteiligten Personen bei?

Bettina Abel: Wie bei vielen anderen Themen auch, haben wir mit den Strategien beim Thema Chancengleichheit nicht das Rad neu erfunden. Vielmehr bauen wir auf Aktivitäten auf, die in einigen Kantonen schon vorher umgesetzt wurden. So gab es Versuche, auf die Migrationsbevölkerung und auf Flüchtlinge zuzugehen. Solche Projekte und spezifischen Massnahmen konnten wir mit den Strategien nun stärken.

Salome von Greyerz: Beim BAG schauen wir schon seit mehr als zehn Jahren darauf, dass alle Informationsmaterialien in den wichtigsten Migrationssprachen zur Verfügung stehen. Allerdings versuchen wir immer mehr, das Thema Chancengleichheit nicht darauf zu reduzieren, ob ein Schweizer Pass vorhanden ist oder nicht. Wir wollen das Thema breiter fassen und uns etwa über die Rolle der Bildung oder der sozialen Schicht Gedanken machen. Es gibt sehr unterschiedliche Lebenswelten, und wir müssen in der Prävention beispielsweise auch die Realitäten von einsamen oder alten Leuten berücksichtigen.

Welche Schwerpunkte setzen Sie für die nächsten vier Jahre?

Kathrin Huber: Wir möchten das Thema Chancengleichheit in der zweiten Etappe der Umsetzung verstärkt bearbeiten. Der neue Grundlagenbericht zu diesem Thema ist 2020 erschienen und wir haben den Massnahmenplan der NCD-Strategie angepasst. Jetzt geht es an die Umsetzung. Die Trägerorganisationen bieten dazu bei Bedarf Unterstützung an. Wir bleiben im Austausch mit den Fachpersonen und helfen, Ansätze zu verbreiten, die sich in der Praxis bewährt haben.

Bettina Abel: Dass NCDs wichtig sind, hat ja auch die Coronakrise gezeigt: Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf, wenn sie sich mit dem neuen Coronavirus infizieren. Wir verfolgen auch in diesen unsicheren Zeiten weiterhin das Ziel, dass möglichst viele Menschen in der Schweiz ihren Alltag sowohl im privaten wie im beruflichen oder im schulischen Bereich in guter körperlicher und psychischer Verfassung meistern. Deshalb setzen wir uns in der zweiten Hälfte der Strategien hartnäckig und mit vollem Engagement für die gute Gesundheit der Menschen ein. Uns ist wichtig, dass wir an den Themen dranbleiben, die Projekte weiterziehen – und auch auswerten. So lernen wir, was in der Praxis gut und was weniger gut funktioniert.

Roy Salveter: Mit den Strategien können wir niemanden verpflichten. Stattdessen setzen wir auf die freiwillige Kooperation. Das braucht natürlich eine intensive Koordination, aber dafür können wir bei gemeinsam gefällten Entscheiden auf das Commitment unserer Partner zählen. Die Freiwilligkeit gewährleistet, dass die Entscheide mitgetragen werden. Und sie versichert uns, dass wir alle am gleichen Ende des Stricks ziehen. In der ersten Hälfte der NCD-Strategie haben wir viele Aktivitäten angedacht und aufgebaut. In der zweiten Hälfte geht es nun darum, das Begonnene fortzuführen, umzusetzen – und zum Fliegen zu bringen.

Kontakt

Angelina Vangopoulou

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