Ordnungsbussen bei Cannabiskonsum: Klärung oder Verwirrung?
Sep. 2017Suchtprävention – quo vadis?
Regulierung und Vollzug. Am 1. Oktober 2013 ist eine vom Parlament eingeleitete Änderung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel (BetmG) in Kraft getreten. Sie sieht vor, dass erwachsene Cannabiskonsumierende, die bis zu 10 Gramm dieser Substanz bei sich tragen und keine zusätzlichen Widerhandlungen begangen haben, von der Polizei mit einer innert 30 Tagen zahlbaren Ordnungsbusse von 100 Franken bestraft werden können. Dieses Verfahren soll die Verzeigungen ersetzen. Diese führten in der Regel zu einem Verweis oder einer Busse, die oft höher als 100 Franken war, sowie zu Gerichtskosten. Im Wiederholungsfall konnte die Geldstrafe heraufgesetzt werden. Diese Praxis ist mit den Ordnungsbussen verschwunden, denn die Vorgeschichte wird nicht mehr berücksichtigt. Sich hingegen auf einen einfachen Verweis zu beschränken, wie das die Justiz tun konnte, ist nicht mehr möglich.
Das Hauptziel der Reform war eine Reduzierung des Verwaltungsaufwands und der Kosten für die Justiz. Zudem sollten die Praktiken vereinheitlicht werden, da die Statistiken grosse Unterschiede zwischen den Kantonen zeigten und manche unter ihnen, namentlich St. Gallen und Neuenburg, bereits ein vereinfachtes Bussensystem eingeführt hatten.
Im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) analysierte Sucht Schweiz die Umsetzung dieser Änderung des BetmG. Die Studie wurde in drei Etappen durchgeführt: der Analyse des Gesetzestextes, der Befragung der Polizei- und Justizdepartemente der 26 Kantone und der Auswertung der Daten des Bundesamts für Statistik (BFS) zu den Ordnungsbussen und Verzeigungen (ordentliches Verfahren) wegen Cannabiskonsum zwischen 2012 und 2015.
Unklarheiten und unterschiedliche Auslegungen
Der Gesetzestext enthält verschiedene Unklarheiten. So ist nicht eindeutig, ob die Ordnungsbussen für die Polizei obligatorisch oder optional sind. Unklar ist auch, ob der alleinige Cannabisbesitz ohne beobachteten Konsum mit einer Ordnungsbusse belegt werden kann oder nicht. Der Gesetzgeber hat insofern eine Unklarheit hinsichtlich des alleinigen Besitzes von geringfügigen Cannabismengen eingeführt, als dieser Besitz nun «nicht strafbar» ist, was als frei von strafrechtlichen Sanktionen oder frei von Sanktionen im Allgemeinen, einschliesslich der Ordnungsbusse, verstanden werden kann. Hinzu kommen noch Interpretationsspielräume bezüglich der Ausschlusskriterien (gleichzeitige Widerhandlungen) und der Zuständigkeit (zur Verhängung von Bussen befugte Polizeikorps). Eine solche Ausgangslage kann zu einer unterschiedlichen Umsetzung in den Kantonen beitragen.
Das bestätigte sich in den Antworten aus den von den Kantonen ausgefüllten Fragebögen. Gewisse Kantone ahnden den alleinigen Besitz geringfügiger Cannabismengen überhaupt nicht mehr. Manche lassen auch bestimmte zusätzliche Widerhandlungen zu, was andere nicht tun. Die Handhabung der Polizeikorps, die diese Ordnungsbussen verhängen können, unterscheidet sich manchmal je nach Kanton. Es gibt auch Kantone, die Sonderregeln eingeführt haben, wie die Pflicht zur sofortigen Begleichung der Ordnungsbusse oder die Bestimmung, dass eine solche Busse nur verhängt wird, wenn die betroffene Person erklärt, in letzter Zeit keinen Cannabis konsumiert zu haben. Solche Regeln entsprechen nicht dem Inhalt der neuen Gesetzgebung.
Mehr Widerhandlungen und viele unbezahlte Ordnungsbussen
Die Daten des BFS lassen darauf schliessen, dass die Ordnungsbussen rund 70 Prozent der Verzeigungen wegen Konsums und/oder Besitzes kleiner Cannabismengen durch Erwachsene ohne bekannte zusätzliche Widerhandlungen ersetzt haben. Sie zeigen aber auch, dass etwa ein Viertel der Bussen nicht bezahlt wird, sodass es, wie vom Gesetz vorgesehen, erneut zu Verzeigungen kommt. Die tatsächliche Ersatzquote liegt daher wohl eher bei 50 Prozent.
Die Einführung der Ordnungsbussen ging mit einer Zunahme der Widerhandlungen bezüglich des Konsums und/oder Besitzes kleiner Cannabismengen in der Schweiz einher. Zwischen 2012 und 2015 betrug der Anstieg rund 15 Prozent in den Fällen, in denen keine zusätzliche Widerhandlung vorliegt. Da der Cannabiskonsum in diesem Zeitraum stabil blieb, deutet diese Entwicklung darauf hin, dass die Einführung der Ordnungsbussen die Sanktionswahrscheinlichkeit für Cannabiskonsumierende erhöht hat.
Noch sehr weit von der Gleichbehandlung entfernt
Die Daten des BFS zeigen, dass manche Kantone die Ordnungsbussen praktisch nicht anwenden und die Verzeigungen beibehalten. Andere nutzen die Ordnungsbussen dagegen systematisch und verzichten fast ganz auf die Verzeigungen. Wieder andere haben die Verzeigungen nicht reduziert, aber zusätzlich eine bedeutende Anzahl Ordnungsbussen verhängt. Die Umsetzung kann somit je nach Kanton stark variieren.
Die Widerhandlungsquote (Gesamtzahl der Widerhandlungen geteilt durch die Grösse der Bevölkerung) ist im Wallis (und in Genf) neunmal höher als im Kanton Basel-Landschaft, und dieser Unterschied verstärkte sich mit der Einführung der Ordnungsbussen. Das lässt sich nicht mit der Prävalenz des Cannabiskonsums erklären, denn diese ist im Baselland höher als im Wallis. Es gibt somit tatsächlich unterschiedliche Praktiken bei der Anwendung der alten Bestimmungen (Verzeigungen) und der neuen Regelung (Ordnungsbussen). Jeder Indikator deutet auf einen sehr uneinheitlichen Umgang der Kantone mit Cannabiskonsumierenden hin. So wird ein Freiburger Konsument nicht gleich behandelt wie sein Berner Nachbar, vor allem wenn er Cannabis nur besitzt. Und solche Beispiele gibt es sehr viele.
Teilweise oder gar nicht erreichte Ziele
Betrachtet man die Ziele der Gesetzesänderung, erscheint die Reduzierung des Verwaltungsaufwands für die Justiz insofern plausibel, als rund 70 Prozent der betreffenden Widerhandlungen nun mit einer Ordnungsbusse geahndet werden. Da aber viele Bussen nicht bezahlt werden, ist diese Reduktion zu relativieren. Es wäre auch zu prüfen, ob die Ressourcen insgesamt oder nur bei der Justiz reduziert wurden bzw. ob der Aufwand nicht auf die Polizei überwälzt wurde, welche die Fälle unbezahlter Bussen auch bearbeiten muss. Die absolute Zahl der geahndeten Widerhandlungen steigt ebenfalls, was Ausdruck einer grösseren Ressourcenmobilisierung sein kann.
Auch wenn noch einige Unklarheiten bestehen, so zeichnet sich doch klar ab, dass das Ziel der Gleichbehandlung vor dem Gesetz nicht erreicht wurde. Die kantonalen Praktiken sind hinsichtlich der geahndeten Widerhandlungen, der Verfahren und der Sanktionen zu unterschiedlich.
Abschliessend lässt sich festhalten, dass mit der Einführung der Ordnungsbussen für den Konsum und/oder Besitz kleiner Cannabismengen in der Schweiz das Ziel, die Kosten und den Verwaltungsaufwand für die Justiz in Zusammenhang mit solchen Widerhandlungen zu reduzieren, vielleicht teilweise erreicht wird, die Ungleichbehandlung vor dem Gesetz hingegen bleibt bestehen oder verstärkt sich sogar.