
Die Medikation in Pflegeheimen verbessern
Feb. 2020Qualität und Patientensicherheit
Optimierung. Die grosse Mehrheit von Betagten in der stationären Langzeitpflege nimmt zu viele Medikamente ein. Das hat auch Spitaleintritte zur Folge. Nun testet das vom BAG finanzierte Programm «Sichere Medikation in Pflegeheimen» Massnahmen, damit die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime weniger ungeeignete Arzneimittel zu sich nehmen.
In der Schweiz werden mehr als 100 000 betagte Menschen in rund 1600 Pflegeheimen betreut. Diese Bevölkerungsgruppe ist aus zwei Gründen besonders gefährdet, ungeeignete Arzneimittel zu erhalten und unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen zu erleiden. Erstens haben Betagte einen langsameren Stoffwechsel als Personen im erwerbstätigen Alter. Deshalb bauen sie die Medikamente weniger rasch ab und die Arzneimittel wirken länger. Zweitens sind viele Menschen in Pflegeheimen von mehreren Krankheiten gleichzeitig betroffen, die alle medikamentös behandelt werden. Im Schnitt nehmen Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner täglich 9,3 Medikamente ein, das sind rund 4 Arzneimittel mehr als die über 65-jährige Allgemeinbevölkerung (5,6 Medikamente pro Tag).
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass knapp vier von fünf Heimbewohnern auch mindestens ein Medikament zu sich nehmen, das – aufgrund des Nebenwirkungsprofils und der möglichen Interaktionen mit anderen Arzneimitteln – potenziell inadäquat ist. Solche sogenannt potenziell inadäquaten Medikamente (PIM) verursachen häufig Probleme, die zur Einweisung in ein Spital führen können. Dabei könnten schätzungsweise 60 Prozent dieser unerwünschten Ereignisse vermieden werden, denn sie basieren auf Fehlern bei der Verordnung und bei der Therapieüberwachung.
Mit dem Ziel, solche Fehler in Zukunft zu reduzieren, hat die Stiftung Patientensicherheit im Jahr 2016 das Pilotprogramm «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» ins Leben gerufen. Das kürzlich abgeschlossene Grundlagenprojekt gibt einen Überblick, wie die Abläufe zur Überprüfung der Medikationslisten und der Nebenwirkungen aussehen. Die dabei durchgeführte Online-Befragung bei 420 Pflegeheimen hat gezeigt, dass die Heime sehr unterschiedlich organisiert sind und dass es deshalb nicht flächendeckende, sondern massgeschneiderte Massnahmen zur Erhöhung der Medikamentensicherheit braucht.
Regelmässig überprüfen
In 70 Prozent der Heime versuchen die Pflegefachpersonen, den Gebrauch von Psychopharmaka mit alternativmedizinischen und weiteren Massnahmen zu verringern. Diese Arzneimittel, insbesondere Neuroleptika und Benzodiazepine (wie beispielsweise Valium), werden aufgrund der immer grösser werdenden Zahl von Demenzkranken oft verschrieben, obwohl sie zu den PIM gehören. Zudem hat die Befragung ergeben, dass die Kontrolle, ob bei einer veränderten Gesamtsituation einer Bewohnerin oder eines Bewohners noch alle verordneten Medikamente nötig sind, weder genügend regelmässig noch genügend systematisch stattfindet. Der Schlussbericht des Grundlagenprojekts hält fest, dass auch die interprofessionelle Zusammenarbeit gefördert werden muss.
Sabine Felber, Geschäftsleiterin Pflege und Betreuung der Betagtenzentren Emmen AG, bestätigt die grosse Heterogenität bei den Langzeitpflegezentren. «Wir haben 302 Bewohnerinnen und Bewohner und sind aufgrund unserer Grösse die Exoten in der Branche.» Sie hätten lange mit verschiedenen Hausarztpraxen zusammengearbeitet, aber dann 2018 einen Geriater als Heimarzt angestellt, um den grossen Aufwand bei der Abstimmung mit einer Vielzahl von Ärztinnen und Ärzten einzuschränken. «Mit dem Heimarzt können wir nun laufend unsere Abläufe optimieren. So haben wir Richtlinien erstellt, die beispielsweise beschreiben, was zu tun ist, wenn sich der Zustand einer Bewohnerin verschlechtert. Diese Richtlinien geben der Pflege Orientierung und Sicherheit», sagt Felber.
Vertiefungsprojekt
Um Richtlinien oder Minimalanforderungen an die Zusammenarbeit von Berufsgruppen geht es auch im Vertiefungsprojekt des Programms. Ausgehend von den Umfrageresultaten, hat die Stiftung Patientensicherheit fünf Qualitätsstandards definiert, etwa dass die Medikation mindestens zweimal jährlich strukturiert überprüft werden soll. Und dass sich alle medizinischen Fachpersonen für eine optimale Zusammenarbeit engagieren und die Bewohnerinnen und Bewohner und deren Angehörige so weit wie möglich in die Therapie einbeziehen. Momentan rekrutiert die Stiftung Patientensicherheit je fünf Alters- und Pflegeheime in den Kantonen Zürich und Wallis, die dann zwischen Frühling und Herbst 2020 als Pilotheime testen, ob sich die Qualitätsstandards des Programms in die tägliche Versorgung integrieren lassen.