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Lehrlingen helfen, Stress zu bewältigen

Ausgabe Nr. 132
Dez. 2021
Kritische Lebensereignisse

Im Auftrag des BAG hat die schweizerische Gesundheitsstiftung Radix mit zwei Pilot­projekten in der Romandie die Frühintervention an Berufsschulen verstärkt. Dabei hat sie in Erfahrung gebracht, in welchen Bereichen sich Lehrlinge gestresst fühlen: Im Vordergrund stehen finanzielle Sorgen und die Auswirkungen der Covid-Pandemie.

Junge Menschen, die eine Lehre beginnen, müssen eine ganze Reihe von Herausforderungen meistern. Einerseits gilt es, elf Jahre Schule hinter sich zu lassen und einen Beruf zu erlernen. Andererseits erarbeiten sich die jungen Menschen als Lehrlinge einen neuen sozialen Status und eine neue Identität. Die Lehre stellt einen wichtigen Übergang zum Erwachsensein dar. Einige Lehrlinge greifen dabei – als kurzzeitige Bewältigungsstrategie – auf Alkohol und Cannabis zurück. Um zu verhindern, dass sich dabei (auch längerfristig) ungesunde Muster entwickeln, gilt es, Gefährdungs­situationen frühzeitig zu erkennen und zu entschärfen.

Stressbewältigung im ersten Ausbildungsjahr

Im Auftrag des BAG hat die Gesundheitsstiftung Radix in den Jahren 2019 und 2020 zwei Pilotprojekte zur Frühintervention an Berufsschulen in der französischsprachigen Schweiz realisiert. Beispielhaft soll hier auf das Projekt zur Stressbewältigung von Lehrlingen im ersten Ausbildungsjahr am Centre professionnel du Nord vaudois (CPNV) näher eingegangen werden. Das CPNV bildet Lehrlinge in kaufmännischen, technischen, handwerklichen und sozialen Berufen aus.

Weil Lehrlinge an vier von fünf Tagen in ihren Betrieben beschäftigt sind, hat das Pilotprojekt auch die Ausbildnerinnen und Ausbildner in den Betrieben einbezogen, um ein Netzwerk zu knüpfen und allfällige Aktivitäten koordinieren zu können. Dabei haben die Projektmitarbeitenden in Gesprächen mit Personen aus der Ausbildungsberatung, der Lehraufsicht, der Schulleitung und der Schulpsychologin in Erfahrung gebracht, in welchen Bereichen sich die Lernenden gestresst fühlen. Insgesamt hat sich aus diesen Gesprächen das Finanzielle als wichtigster Stressfaktor ergeben. Vor allem Jugendliche, die aus ihrem Elternhaus ausgezogen sind, sind knapp bei Kasse, viele verschulden sich. Solche Geldsorgen können sich auf die schulischen Leistungen, aber auch auf die Gesundheit auswirken.

Als weiterer wichtiger Stressfaktor ging die Covid-Pandemie aus den verschiedenen Gesprächen hervor. Dass die Schule während des Lockdowns im Frühling 2020 schliessen musste und diverse Prüfungen ausgefallen sind, hat viele Lehrlinge stark verunsichert. Auch allgemein habe sich der Angstpegel erhöht, schreiben die Projektmitarbeitenden in ihrem Bericht: Im Vergleich mit den Jahren zuvor gaben deutlich mehr Lernende in ihren Erstjahresbesprechungen ihrem Ärger, ihrer Verunsicherung und ihrer Frustration Ausdruck.

Arbeitslose «Generation Covid»?

Auch in den Betrieben lagen öfter als gewohnt die Nerven blank. Die Umstellung auf die Arbeit zu Hause hat zahlreiche Lehrlinge beunruhigt. Vor allem Personen, die ihre Lehre in Betrieben der Hotellerie oder im Tourismus machen, befürchten, dass sie während ihrer Ausbildung nicht genügend praktische Erfahrung sammeln können – und dass sie deshalb als Abgängerinnen und Abgänger der «Generation Covid» nach dem Lehrabschluss keine Arbeitsstelle finden.

Die Pandemie wirke sich einerseits nicht auf alle Personen gleich stark aus, am stärksten betroffen seien diejenigen Lehrlinge, die schon vor der Krise fragil und verletzlich waren, schreiben die Projektmitarbeitenden. Andererseits hätten sich auch Faktoren herauskristallisiert, welche die Jugendlichen vor allzu belastenden Stresserfahrungen schützen. Dazu gehören ein familiäres Umfeld, das die jungen Menschen unterstützt, sowie Kursinhalte und Botschaften über den Umgang mit Stress. Das Ziel sei, junge Menschen zu ermutigen, gute Entscheidungen zu treffen (zum Beispiel, vor Prüfungen auf genügend Schlaf zu achten).

Grosses Interesse bei allen Beteiligten

Neben dem Dialog mit der betroffenen Person ist auch der Austausch zwischen Lehrpersonen an der Schule, den Ausbildnerinnen und Ausbildnern in den Betrieben sowie den Gesundheitsfachpersonen zentral, um frühzeitig zu erkennen, wann eine junge Person in eine kritische Situation gerate. Die Gesundheitsfachleute gaben zu bedenken, dass sie oft erst spät hinzugezogen würden, wenn etwa der Bruch mit dem Arbeitgeber schon vollzogen sei. Doch die Mitarbeitenden von Radix weisen darauf hin, dass das Pilotprojekt sowohl vonseiten der Lehrerschaft wie auch vonseiten des Gesundheitspersonals auf grosses Interesse gestossen sei: «Alle Beteiligten äusserten den klaren Wunsch, die Zusammenarbeit zu verstärken und weiter zu entwickeln», heisst es im Abschlussbericht des Pilotprojekts.

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Kontakt

Sophie Barras Duc
Sektion Gesundheitsförderung und Prävention

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