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Wenn Krisen unsere Gesundheit beeinflussen

Ausgabe Nr. 132
Dez. 2021
Kritische Lebensereignisse

Leitartikel. Der Tod eines nahen Menschen, eine Scheidung, ein Jobverlust – wir alle können früher oder später von einem sogenannt kritischen Lebensereignis betroffen sein. Damit nach einem solchen Ereignis die Gesundheit nicht langfristig Schaden nimmt, braucht es die richtige Unterstützung.

Kritische Lebensereignisse können uns aus der Bahn werfen, alles auf den Kopf stellen und bisherige Routinen hinwegfegen. Sie können schwerwiegende Folgen für unsere Gesundheit haben, Ängste und Depressionen auslösen, bestehende Krankheiten verstärken und verlängern. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beschäftigt sich seit Langem mit der Thematik und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. In vielen Massnahmen und Strategien nimmt das BAG Bezug dazu, etwa in der NCD-Strategie, in der Strategie Sucht, mit den Massnahmen im Bereich psychische Gesundheit, aber auch mit dem Nationalen Aktionsplan Suizidprävention. 

In dieser Ausgabe von spectra werfen wir einen Blick auf die Gesundheit der Menschen über ein ganzes Leben hinweg, einen Blick auf die Ereignisse, die unsere Gesundheit nachhaltig beeinflussen können, und auf die Strategien, die es gibt, um mit solchen Ereignissen umzugehen. Die gute Nachricht lautet: Obwohl wir alle in unserem Leben mehrere kritische Ereignisse erleben, leiden langfristig nur die wenigsten darunter. Der Mensch hat Schutzmechanismen entwickelt, die es ihm erlauben, mit solchen Erfahrungen umzugehen und zu wachsen.

Ereignisse, die ein Trauma auslösen

Was gilt als kritisches Lebensereignis? Neben den eingangs erwähnten Beispielen gehören dazu weitere wie körperliche Gewalt, eine Vergewaltigung, sexueller Missbrauch in der Kindheit, etwas weiter gefasst auch Wirtschaftskrisen, Kriege, Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder eine Pandemie – Ereignisse, die bei Menschen ein Trauma auslösen können. Diese Ereignisse treten unterschiedlich häufig auf: Relativ häufig sind Scheidungen, Trennungen und Arbeitslosigkeit. Das häufigste Ereignis ist, Zeuge eines Unfalls oder von Gewalt zu werden.   

Vor allem wenn traumatische Ereignisse über längere Zeit oder wiederholt stattfinden und die betroffenen Personen sich ohnmächtig fühlen und nichts dagegen unternehmen können, steigt das Risiko, dass Körper und Psyche langfristig Schaden nehmen. Das belegt ein Blick auf die Arbeitslosigkeit: Studien zeigen, dass Arbeitslose einen schlechteren Gesundheitszustand haben, der sich verschlimmert, je länger die Arbeitslosigkeit dauert. 

Aus diesen Überlegungen heraus hat das BAG im Jahre 2020 eine Studie in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen solcher Ereignisse auf die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung zu untersuchen. Dario Spini, Professor an der Universität Lausanne, und sein Team haben insgesamt 94 Studien zusammengetragen und danach untersucht, welche Auswirkungen Ereignisse wie der Übertritt ins Berufsleben, die Geburt eines Kindes oder die Pensionierung auf den Alkohol- und Tabakkonsum haben, auf das Bewegungsverhalten oder auf das Körpergewicht (siehe Interview Seite 6). Die Studie von Spini belegt einige bekannte Effekte, zum Beispiel, dass Menschen in einer Partnerschaft gesünder leben, weil sie meist weniger Alkohol trinken und weniger rauchen. Aber es zeigen sich auch eher überraschende Effekte, zum Beispiel, dass eine ungewollte Pensionierung einen negativen Effekt auf den Alkohol- und Tabakkonsum haben kann.

Naturkatastrophen wie zum Beispiel Überschwemmungen gehören zu den Ereignissen, die bei Menschen ein Trauma auslösen können.

Früh lernen, mit Krisen umzugehen

Menschen gehen unterschiedlich mit einem traumatischen Erlebnis um. Die Wissenschaft hat einige Faktoren entdeckt, die uns helfen, besser durch die Krise zu kommen. Zu diesen Schutzfaktoren gehören zum Beispiel, wenn wir schon früh lernen, mit Krisen umzugehen. Wer als Kind oder als Jugendlicher Krisen erfolgreich bewältigt hat, der geht gestärkt in eine spätere Krise. Diese Erfahrung wirkt wie eine Impfung, welche die Resilienz stärkt (Resilienz ist die Fähigkeit von Menschen, sich an neue Situationen anzupassen, die Widerstandsfähigkeit von Individuen).  Ein anderer wichtiger Schutzfaktor ist die soziale Unterstützung. Dazu gehört, Hilfe zu suchen und auch annehmen zu können. Aus­serdem geht es um das Umfeld, um Familie und Freunde, die unterstützen, aber auch um den Arbeitgeber, der in einer Krise bereit ist, gemeinsam mit der betroffenen Person vorübergehend Lösungen zu finden (siehe Artikel Seite 8). Es gibt verschiedene Arten sozialer Unterstützung: Etwa die instrumentelle Unterstützung, also praktische Hilfeleistungen wie Einkaufen oder Fahrdienste. Es geht aber auch um emotionale Unterstützung, Trost spenden und aufmuntern oder um informationelle Hilfe (jemandem erklären, wo die Person Hilfe finden kann). 

Die Studien zu sozialer Unterstützung zeigen: Menschen, die gut vernetzt sind, die in ein System des Gebens und Nehmens eingebunden sind, haben nachweislich bessere Gesundheitschancen und können im Falle einer Krisensituation auf Unterstützung zählen. 

Schutzfaktoren stärken

Wichtig ist, diese Schutzfaktoren zu stärken. Aber es geht auch darum, dafür zu sorgen, dass vermeidbare Ereignisse erst gar nicht eintreten. Stichworte hier sind Unfallverhütung, Arbeitsschutz, Suizidprävention und vieles mehr. Paarberatungskurse können dazu beitragen, eine Scheidung zu verhindern. Angebote für pflegende Angehörige können Entlastung schaffen, bevor die Situation eskaliert. 

Ein wichtiges Instrument für die frühzeitige Erkennung von kritischen Lebensereignissen ist die sogenannte «Früherkennung und Frühintervention» (F+F), die auch vom BAG unterstützt und gefördert wird. F+F eignet sich für verschiedene Settings und Lebensphasen, etwa in der frühen Kindheit oder bei Jugendlichen, aber auch bei älteren Menschen im Übergang in die Pensionierung oder bei Einsamkeit. 

Es gibt Lebenssituationen, in denen Kinder und Jugendliche besonders verletzlich sind, zum Beispiel bei einem Todesfall eines nahestehenden Menschen oder bei einer Scheidung der Eltern. In der Folge kann es zu einem übermäs­sigen Suchtmittelkonsum kommen, zu psychischen Problemen oder zu einem ungesunden Lebensstil. Die F+F ist ein etabliertes und wirksames Instrument, um Probleme zu erkennen und Hilfestellungen zu finden. Dies zeigen die Erfahrungen mit entsprechenden F+F-Massnahmen in der Suchtprävention bei gefährdeten Kindern und Jugendlichen. 

Die Kontrolle behalten

Wenn die Person bereits erkrankt ist, ist die Selbstmanagement-Förderung ein weiteres Instrument, um wieder Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen und zum Beispiel aus der Krise einer neu aufgetretenen Erkrankung herauszufinden. Trotz erschwerten Umständen können Betroffene lernen, mit den Herausforderungen und Folgen ihrer Erkrankungen umzugehen und die Kontrolle über ihre Lebenssituation zu behalten. Die Selbstmanagement-Förderung ist ein Element der umfassenden Gesundheitsversorgung.

Ihr Ziel ist es, die Behandlung optimal den Bedürfnissen der Betroffenen anzupassen und die gezielte Beanspruchung von Gesundheitsleistungen zu fördern. Zudem gibt es verschiedene weitere Behandlungsangebote wie professionelle Krisenintervention, telefonische Unterstützungsangebote, Kinderschutz, falls die Krise länger anhält. Wenn Personen in Folge einer Krise körperlich oder psychisch erkranken, so sind allenfalls medizinische Behandlungen angezeigt (z. B. Rehabilitation, psychologische Betreuung etc).

Hören Sie unseren Podcast N°16 (auf französisch) passend zum Thema:

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Kontakt

Eva Bruhin
Sektion Präventionsstrategien

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