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«Wir machen sehr positive Erfahrungen»

Ausgabe Nr. 125
Nov. 2019
Betroffene einbeziehen

Interview. 5 Fragen an Denise Schwegler von der Fachstelle zur Prävention von Mädchenbeschneidungen bei der Caritas Schweiz. Die Fachstelle betreut und begleitet Schlüsselpersonen aus der Diaspora, sogenannte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Gemeinsam führen sie Sensibilisierungsanlässe und Beratungsgespräche durch. So tragen sie dazu bei, gefährdete Mädchen und Frauen vor der Genitalbeschneidung zu schützen.

1    Wieso setzt Caritas Schweiz bei der Prävention von Mädchenbeschneidungen auf Freiwillige? 

Wir sprechen nicht von Freiwilligen, sondern von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, weil wir mit den Personen einen Vertrag abschliessen und sie für ihren Aufwand entschädigen. Wir arbeiten mit rund fünfzig Frauen und Männern zusammen, die sich in ihrem Umfeld für das Ende von weiblichen Genitalbeschneidungen engagieren. Für uns sind diese Personen zentral, weil wir nur dank ihnen mit den oft isolierten Gruppierungen aus Somalia, Eritrea und Äthiopien in Kontakt treten können. Die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren haben die gleiche Herkunft und sprechen auch dieselbe Sprache. Oft sind sie auch selbst betroffen. Sie geniessen eine hohe soziale Akzeptanz, die es ihnen erlaubt, Diskussionen über das oft tabuisierte Thema der Mädchenbeschneidung anzustossen und im besten Fall einen Wertewandel einzuleiten.

2    Wie finden Sie Ihre Multiplikatorinnen und Multiplikatoren?

Caritas Schweiz hat im Jahr 2006 eine Vermittlungsstelle zur Prävention von Mädchenbeschneidungen eingerichtet, die grösstenteils vom Bundesamt für Gesundheit finanziert wird. Seither bieten wir jährliche Weiterbildungen für Migrantinnen und Migranten an und schreiben hierfür auch die Vermittlungsdienste für Dolmetschende an. Eine grosse Rolle spielt auch das persönliche Netzwerk der bisherigen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, sie können Bekannte und Angehörige motivieren, sich ebenfalls zu engagieren.

3    Wie teilen Sie sich die Aufgaben zwischen Caritas Schweiz und den Multiplikatoren auf?

Wir begleiten und coachen unsere Multiplikatorinnen. Bevor sie starten, vermitteln wir ihnen das Grundwissen zum Thema und zu unseren Beratungsangeboten. Auch später bilden wir sie regelmässig weiter, weil es uns ein grosses Anliegen ist, dass die Qualität der Präventionsgespräche und der Informationsanlässe stimmt. Wenn eine Multiplikatorin einen Sensibilisierungsanlass organisiert, bestimmt sie die Örtlichkeit und lädt die Leute ein. Sie moderiert dann auch den Anlass und übersetzt, wenn eine Fachperson vom Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz zum Publikum spricht. Wir sind vor allem bei noch weniger erfahrenen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an den Anlässen dabei und liefern auch sogenannte Moderationssets. Das sind Fotokarten, etwa zum Thema Frauengesundheit, also beispielsweise Verhütung, Jungfräulichkeit und Schwangerschaft. Zwei dieser Karten behandeln die Genitalbeschneidung. Es ist oft einfacher, über dieses sensible Thema zu sprechen, wenn es in einen grösseren Rahmen eingebettet ist.

4    Welche Erfahrungen machen Sie mit dieser Zusammenarbeit? Was läuft gut und wo liegen die Herausforderungen?

Grundsätzlich machen wir sehr positive Erfahrungen. Die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren helfen uns, unsere Ziele zu erreichen: Wir wollen unbeschnittene Mädchen vor dem Eingriff bewahren. Wir wollen aber auch möglichst allen Menschen in der Schweiz einen Zugang zur Gesundheitsversorgung verschaffen. An den Anlässen begegnen wir vielen oft vulnerablen Frauen, die unser System nicht kennen – und deshalb nicht wissen, dass hier in der Schweiz alle Formen der weiblichen Genitalbeschneidung strafbar sind. Oft wissen sie auch nicht, dass sie medizinische Hilfe bekommen oder kostenlose Beratung. Eine grosse Herausforderung für unsere Multiplikatorinnen und Multiplikatoren liegt darin, sich in ihrem Umfeld zu exponieren. Sie brauchen Mut, um den kritischen Stimmen zu begegnen, die ihnen vorwerfen, ein schlechtes Licht auf die Gemeinschaft zu werfen. Für uns in der Fachstelle liegt die Herausforderung darin, dass die Gruppe der Multiplikatorinnen sehr heterogen ist, etwa in Bezug auf das Engagement und die Aktivitäten, aber auch bezüglich Ausbildung und Vertrautheit mit elektronischen Medien. Manche haben keine E-Mail-Adresse, dadurch erhöht sich der Aufwand für unsere Koordinationsarbeit.

5    Setzt Caritas Schweiz auch in anderen Bereichen auf die Zusammenarbeit mit Freiwilligen?

Ja, für uns ist das ein Erfolgsmodell, das wir auch in anderen Projekten anwenden. Ein Beispiel ist die Hilfe für Bergbauern. Wir vermitteln Freiwillige, die dann je nach Bedürfnis im Stall, beim Heuen oder in der Kinderbetreuung mitarbeiten. Auch unser Patenschaftsprojekt «mit mir» setzt auf Freiwillige, die bereit sind, als Patin oder als Pate einem Kind aus schwierigen sozialen Verhältnissen beizustehen. Die Kooperation mit Freiwilligen hat für uns einen grossen Nutzen, denn mit ihrer Arbeit tragen die Freiwilligen zu einer solidarischen Gemeinschaft bei. Sie helfen uns, die Lücken im sozialen Netz zu füllen, wo wir aufgrund von fehlenden personellen oder finanziellen Ressourcen keine professionellen Angebote machen können.

Links

Kontakt

Denise Schwegler
Fachstelle zur Prävention von Mädchenbeschneidungen
Caritas Schweiz, Luzern

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