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«spectra» ist wie ein kulinarisches Menü – es hat für jeden Geschmack etwas.

Ausgabe Nr. 100
Sep. 2013
Lebensstil und Gesundheit

Acht Fragen an Prof. Dr. Thomas Zeltner. Von 1991 bis 2009 war Thomas Zeltner Direktor des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und hat in dieser Funktion für lange Jahre das schweizerische Gesundheitswesen und die internationale Gesundheitspolitik mitgestaltet. Heute wirkt Zeltner als Präsident der Stiftung Science et Cité, die sich für den Dialog zwischen der Wissenschaft und der Bevölkerung in der Schweiz engagiert. Er ist Professor an den Universitäten von Bern und Harvard und Berater zahlreicher Organisationen und Regierungen.

1995 kam die erste Nummer von «spectra» heraus. Ihr Kommentar als BAG-Direktor zur Nullnummer war damals, das sei ja alles ganz toll, aber nach einem halben Jahr würden der Redaktion bestimmt die Themen ausgehen ...

Ich bin nicht erstaunt, dass Sie das geschafft haben, höchstens über meine Fehleinschätzung von damals. Das Thema Gesundheit erweitert sich dauernd, und es ist gewiss schwierig, eine Auswahl zu treffen. Das Feld ist sehr weit geworden, und es wird noch weiter.

«spectra» hat Sie während fast Ihrer ganzen Amtszeit als BAG-Direktor begleitet. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an den Newsletter  für Gesundheitsförderung und Prävention denken?

Erstens hat er ermöglicht, bei kontroversen Themen unseren Standpunkt prägnant darzustellen, und er hat uns geholfen, uns zu positionieren. Zweitens konnten wir mit «spectra» Themen ins Bewusstsein rufen, die sonst eher ein Schattendasein fristeten. Nach dem Motto: «Schaut her, da ist etwas Wichtiges». Daher auch der Titel; «spectra» zeigt das ganze Spektrum aller Farben und Möglichkeiten.

Die Massenmedien sind ja schnell zur Stelle, wenn etwas Sensationelles und Aktuelles passiert, und spitzen das zu auf prägnante Details. «spectra» hat eher die Aufgabe, fundierte Hintergrundinformationen zu liefern. Erfüllt es diesen Anspruch?

Ja, sehr gut sogar. «spectra» hat ein sehr eigenes, gutes Profil. Es kombiniert das, was Sie eben gesagt haben, mit hoher Leserfreundlichkeit. Es ist fast wie ein kulinarisches Menü, es gibt für jeden Geschmack etwas. Es hat immer sehr unterschiedliche Formate drin, es macht Freude, zu lesen, man muss es nicht von A bis Z lesen, kann es zwischendurch weglegen, ein klassisches Magazinformat. In diesem Sinne unterscheidet es sich von tagesaktuellen Medien, die ja auch so konstruiert sind, und auch von wissenschaftlichen Journalen, die Hintergrund bringen, aber eine fast zu trockene Kost sind. Ich finde die Kombination sehr geglückt.

Haben Sie den Eindruck, dass wir das Zielpublikum erreichen und dass «spectra» gelesen und beachtet wird?

Ich zumindest lese es und ich höre auch von anderen, dass sie es mit Freude lesen. Der wichtigste Empfängerkreis wären für mich Leute, die im Konzept «Health in all policies» tätig sind, nämlich in andern Bereichen der Gesellschaft und Politik. Sie müssten immer wieder sehen, wie wichtig ihre Tätigkeit für die Gesundheit ist. Die Themen, die «spectra» anspricht, machen deutlich, dass die Lebensstile und Lebensverhältnisse viel entscheidender sind als das kurative System. Es ist wie mit den Kindern von Pfarrern – denen muss man die Bibel nicht erklären. Ähnlich müssten Health Professionals «spectra» nicht so dringend lesen.

Sie denken an Lehrer ...?

Ich sehe zwei Sektoren. Der wichtigste ist der Bildungssektor. Eine zweite Gruppe, die mir am Herzen liegt, sind Verantwortliche für vulnerable Gruppen. Das sind in unserem Land Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen, Migrantinnen und Migranten, Arme und Alleinstehende. Dort könnte «spectra» zeigen, was zur Verbesserung ihrer Lebensumstände und ihrer Lebensqualität getan werden kann.

Mitte der 90er-Jahre waren Aids und Drogen die brennenden Themen, sie standen auf dem Sorgenbarometer der Menschen ganz oben. Das ist ja heute nicht mehr so. Aus historischer Distanz betrachtet: Was waren die grossen Baustellen der letzten zwanzig Jahre?

Die grossen Krisenthemen, die Sie genannt haben, wurden gefolgt von anderen Krisen wie Pandemien und neuen Infektionen. Damit einher ging die Erkenntnis, dass Gesundheitsthemen, Wirtschaftsthemen und Prosperität ganz eng beieinander liegen. Das prägende Erlebnis in meiner Amtszeit war SARS und plötzlich zu erkennen, wie vulnerabel die Welt ist. SARS hat die famose Uhren- und Schmuckmesse in Basel fast an den Rand der Existenz gebracht. Dann, in derselben Linie, die Auseinandersetzungen zwischen Gesundheits- und Wirtschaftsinteressen bei der Tabakgeschichte. Daraus entwickelten sich die ganz gros­sen Themen um chronische, nichtübertragbare Krankheiten und deren Prävention.

Die 100. «spectra»-Ausgabe hat den Schwerpunkt Lebensstil. Was waren in den letzten Jahrzehnten die auffälligsten Veränderungen im Lebensstil, die die Gesundheit beeinflussten?

Sie erwarten jetzt wohl, dass ich Ernährung, Bewegung und Übergewicht erwähne. Das sind tatsächlich wichtige – und auch unbewältigte – Themen. Sie sind für uns deshalb so wichtig, weil wir von der Public-Health-Seite immer noch nicht wissen, wie wir das Problem nachhaltig angehen sollen. Aber es gibt ein zweites Thema, das immer mehr in den Vordergrund rückt. Das ist die Frage der Demografie, des Gesundbleibens bis ins hohe Alter. Aufgrund der demografischen Entwicklung in der Schweiz hat dieses Thema viel mehr Beachtung verdient. Und damit auch das Thema So­cial Health – also nicht nur Mental Health. Massnahmen gegen die soziale Isolation gehören zu den wichtigsten Massnahmen, um gesund zu bleiben. Isolation ist eine unmenschliche Lebensweise. Es zeigt sich immer mehr, dass man sich bereits mit 50 Jahren darum kümmern muss, später nicht in die Isolation zu geraten. Ich habe das auch völlig unterschätzt. Das beginnt damit, dass man noch gehen, das Haus verlassen und den Kontakt mit andern Menschen pflegen kann. Dazu gehört auch das Hören und Verstehen. Ich glaube, das ist eines der ganz grossen Themen der Gegenwart und der Zukunft.

Sind Sie jemand, der auch in Zukunft gerne Papier in den Händen hält, oder lesen Sie auch gerne etwas auf dem Tablet-Computer?

Wer mich kennt, weiss, dass ich es liebe, in der Badewanne zu sitzen und zu lesen. Dazu eignet sich ein Tablet nicht so sehr. Ich mag das Papier in der Hand und die Möglichkeit, etwas irgendwo hinzulegen und später wieder hervorzunehmen. Dennoch würde ich sagen, «spectra» muss online verfügbar sein und aufs Tablet. Denn die heutigen Lesegewohnheiten haben sich verändert, man will auch unterwegs lesen. Ich wünsche dem «spectra», dass es ihm gelingt, neben der One-way-Kommunikation in dialogischere Formen zu kommen. Das wird ihm bis zur 200. Ausgabe ganz sicher gelingen.

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