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Der Lebensstil beeinflusst die Gesundheit – was beeinflusst den Lebensstil?

Ausgabe Nr. 100
Sep. 2013
Lebensstil und Gesundheit

Determinanten von Gesundheit. Durch einen gesunden Lebensstil könnte ein Grossteil der chronischen Krankheiten vermieden werden. Doch zeigt sich beim Lebensstil – wie bei der Gesundheit insgesamt – eine ungleiche Verteilung in unserer Gesellschaft. Die Grenzen zwischen gesund und krank laufen oft entlang der sozialen Unterschiede. Eine der Hauptaufgaben der Gesundheitsförderung und Prävention ist es, gesundheitliche Chancengleichheit zu schaffen. Dazu bedarf es vor allem struktureller Massnahmen. Denn diese beeinflussen auch den Lebensstil.

Rauchen, Trinken, unausgewogene Ernährung und mangelnde körperliche Betätigung sind entscheidende Gesundheitsfaktoren und stehen mit einer
Reihe von nichtübertragbaren Erkrankungen wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten bis zu 80% der koronaren Herzerkrankungen, 90% der Typ-2-Diabetes und ein Drittel aller Krebserkrankungen durch mehr Bewegung, eine gesündere Ernährung und das Aufgeben des Rauchens vermieden werden.

Schlechtere Gesundheit bei Schlechtergestellten
Gesundheit ist das höchste Gut – und wie alle Güter ist sie in der Gesellschaft ungleich verteilt. Wer gesund bleibt und wer eher nicht, darüber entscheiden längst nicht nur biologische und genetische Faktoren oder das individuelle Gesundheitsverhalten.
Gesundheitliche Ungleichheiten sind ein allgegenwärtiges, universelles Phänomen. In allen Ländern, aus denen Daten vorliegen, sind die frühzeitige Sterblichkeit und die Lebenserwartung sozial ungleich verteilt. Je ungünstiger der sozioökonomische Status, desto höher die Sterblichkeit und desto niedriger die Lebenserwartung.

Welche Faktoren prägen einen gesunden Lebensstil am stärksten?
In welche Richtung läuft der Wirkungszusammenhang zwischen sozioökonomischen und gesundheitlichen Ungleichheiten? Gemäss einer Metastudie zum Thema, die das Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegeben hat, ist es vor allem der sozioökonomische Status, der sich auf die Gesundheit auswirkt, nicht umgekehrt. Ein niedriger sozioökonomischer Status verursacht eine grössere Gesundheitsgefährdung – direkt oder indirekt.

Verhalten oder Verhältnisse als Ursache?
Direkt heisst in diesem Fall: Personen mit niedriger Bildung oder niedrigem Berufsstatus teilen eine Kultur, die gesundheitsschädigende Verhaltensweisen fördert. Man spricht hier auch vom kulturell-verhaltensbezogenen Ansatz. Dazu gehören Tabak- und Alkoholkonsum, ungesundes Ernährungsverhalten oder körperliche Inaktivität. Solche Verhaltensweisen stehen in einem engen Zusammenhang mit physiologischen und biomedizinischen Parametern wie Bluthochdruck oder erhöhtem Cholesterin, die Risikofaktoren für viele chronische Erkrankungen sind.
Man nimmt an, dass 30 bis 50% der gesundheitlichen Disparitäten direkt auf das Gesundheitsverhalten zurückgeführt werden können. Dieser Ansatz allein reicht also nicht aus, um gesundheitliche Ungleichheit zu erklären. Grosse Erklärungskraft wird einem anderen Ansatz beigemessen: dem materiell/strukturellen Ansatz. Hier wird argumentiert, dass die Gesundheit von Personen am unteren Ende der Statushierarchie indirekt beeinflusst wird. Diese Menschen verfügen nicht nur über geringere finanzielle Ressourcen, sondern leben und arbeiten auch eher in gesundheitsschädlichen Umwelten als sozial stärkere Personen.
Die jüngere Forschung hat die Erklärungsversuche zunehmend erweitert und durch neue Ansätze ergänzt. Unter diesen Ansätzen ist der psychosoziale Erklärungsansatz am weitesten ausgearbeitet. Aufgegriffen wurde dieser eher psychologische Ansatz, da zunehmend Zweifel auftraten, ob verhaltensbezogene und materielle Faktoren ausreichen, um den sozialen Gradienten in der Gesundheit zu erklären. Gestützt wurde diese Hypothese durch Forschungsergebnisse, die belegen, dass sich auch bei solchen Gruppen deutliche Unterschiede in der Gesundheit zeigen, bei denen Gefährdungen wie nachteilige Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Gesundheit eher unwahrscheinlich sind, etwa bei Angestellten des öffentlichen Dienstes. So wurden neben materiellen Faktoren zunehmend auch psychologische und psychosoziale Faktoren zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten herangezogen. Dazu gehören zum Beispiel kritische Lebensereignisse, chronische Alltagsbelastungen wie Stress (z.B. mangelnde Partizipation und fehlender Handlungsspielraum), soziale Unterstützung und das soziale Netzwerk, Selbstvertrauen oder Bewältigungsressourcen. Zahlreiche Studien haben verdeutlichen können, dass nicht nur die psychosozialen Belastungen sozial ungleich verteilt sind, sondern auch die Ressourcen, sie zu bewältigen. Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status sind somit in doppelter Weise betroffen. Psychosozialen Belastungen und Ressourcen wird allgemein ein vergleichbarer Stellenwert bei der Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit zugesprochen wie materiellen Faktoren.

Prävention: Fokus auf strukturelle Verhältnisse
Verhaltensbezogene, materielle und psychosoziale Faktoren sind also für einen Grossteil der Ungleichheiten in der Gesundheit verantwortlich. Wo muss Prävention ansetzen, um die maximale Wirkung zu erzielen? Studien weisen darauf hin, dass gesundheitliche Ungleichheiten vor allem durch materielle Faktoren zu erklären sind, denn sie wirken sich im hohen Mass über das Gesundheitsverhalten und über psychosoziale Faktoren aus. Anders ausgedrückt: Massnahmen, die auf das Gesundheitsverhalten abzielen, sind zwar hilfreich, um die Gesundheit insgesamt zu stärken. Sie werden jedoch wenig Erfolg zur Reduzierung ungleicher Gesundheitschancen haben, da die materiellen Lebensbedingungen und psychosozialen Faktoren eine grössere Rolle bei der Erklärung sozioökonomischer Unterschiede in der Gesundheit spielen als das Gesundheitsverhalten. Das Gesundheitsverhalten ist eher eine Konsequenz von materiellen/strukturellen Lebensbedingungen und psychosozialen Belastungen. Dementsprechend werden mit Verhaltensprävention primär nur die Folgen, nicht aber die Ursachen selbst angegangen.

Kontakt

Regula Ricka, Gesundheitspolitik, regula.ricka@bag.admin.ch

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