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Mit einer verantwortungsvollen Berichterstattung Suizide verhindern

Ausgabe Nr. 136
Dez. 2022
Suizidprävention

Eine vom BAG in Auftrag gegebene Analyse kommt zum Schluss, dass die Medien in ihrer Berichterstattung über Suizide und Suizidversuche in der Schweiz eine Reihe von Empfehlungen zusehends besser umsetzen. Trotzdem gibt es noch Optimierungspotenzial.

In der Suizidprävention stehen auch die Medien in der Verantwortung, denn mit unüberlegten Berichten können Journalistinnen und Journalisten dazu beitragen, dass Suizide nachgeahmt werden (siehe Kasten). Dementsprechend richtet sich der Nationale Aktionsplan Suizidprävention, den Bund und Kantone gemeinsam mit der Stiftung Gesundheitsförderung im Jahr 2016 verabschiedet haben, auch an die Medien – mit dem Ziel, die Suizidprävention mit einer respektvollen Berichterstattung zu stärken.

Denn wenn es darum geht, die gesellschaftliche Tabuisierung von Suizid aufzubrechen und das Thema zu entstigmatisieren, spielen die Medien eine wesentliche Rolle. Damit die Medienschaffenden möglichst gut in diesem Spannungsfeld navigieren können, haben Fachpersonen aus der Suizidprävention schon vor mehreren Jahren Handlungsempfehlungen und Checklisten herausgegeben.

Weniger Identifikationsmöglichkeiten

Zum Beispiel legen sowohl die in der Westschweiz tätige NGO «Stop Suicide» wie auch die kantonale Fachstelle für Suizidprävention in Zürich Journalistinnen und Journalisten nahe, auf die Beschreibung der konkreten Suizidmethode und des Suizidortes zu verzichten – und auch keine Bilder dazu zu veröffentlichen. Denn Menschen in Krisen nähmen häufig Parallelen zwischen sich und der Person in der Suizidberichterstattung wahr, steht etwa in der Zürcher «Checkliste für Medienschaffende». Aufgrund solcher Parallelen erhöhe sich die Gefahr, dass sie auch für sich einen Suizid in Betracht ziehen. Deshalb gelte es, Details zu Alter und Charakter der betroffenen Person sowie zu den vermuteten Motiven auszulassen, damit sich in der Berichterstattung weniger Identifikationsmöglichkeiten böten.

Das BAG hat letztes Jahr – im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Suizidprävention – eine Analyse in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie gut die Empfehlungen der Suizidpräventionsfachleute von den Medienschaffenden umgesetzt werden. Dafür wurden knapp 3000 Beiträge in den meistgenutzten deutsch- und französischsprachigen Online- und Printmedien der Schweiz untersucht. Tatsächlich sind über 90 Prozent der Berichte aus dem Beobachtungszeitraum von 2018 bis 2020 in einer «sachlichen und wertfreien Tonalität» verfasst, wie der Bericht festhält. Und die grosse Mehrheit der Beiträge sind auch – wie empfohlen – ohne Bilder mit Bezug zur Suizidmethode erschienen.

Erwähnung von Hilfsangeboten

Im Vergleich mit der Suizidberichterstattung aus den Jahren 2012 bis 2014 verzeichnet der Bericht in den Beiträgen aus den Jahren 2018 bis 2020 eine deutliche Verbesserung: Während früher nur 8 Prozent der Beiträge auf Hilfsangebote für Menschen in Not hinwiesen, wurden die Hilfsangebote im neueren Beobachtungszeitraum schon in 26 Prozent der Beiträge explizit erwähnt, zum Beispiel in einem prominent platzierten Infokasten. Trotzdem ortet der Bericht noch Optimierungspotenzial – und Handlungsbedarf: Über alle Beiträge hinweg werden Hilfsangebote nur selten platziert, vor allem bei der Aufarbeitung eines Suizids gehen die Hilfsangebote im Rahmen der Anschlussberichterstattung meist vergessen. Und: Das Thema Suizid im Alter werde von den Medien deutlich weniger aufgegriffen, als es der Vergleich mit den tatsächlichen Suizidfällen in der Schweiz nahelegen würde.

«Werther-Effekt» und «Papageno-Effekt»

Häufungen von Nachahmer-Suiziden sind in der Fachwelt als «Werther-Effekt» bekannt. Der Begriff bezieht sich auf den Briefroman «Die Leiden des jungen Werther» von Johann Wolfgang Goethe, in dem sich die Hauptfigur wegen einer unerfüllten Liebe am Schluss selbst tötet. Der grosse Erfolg des Romans begründete nicht nur Goethes Ruhm, sondern mündete auch in einer europaweiten Welle von Suiziden von jungen Männern, die sich mit dem unglücklichen Helden des Romans identifizierten. Studien belegen, dass sich Suizide und Suizidversuche auch heute noch häufen, nachdem sich berühmte Menschen das Leben genommen haben.

Das Gegenstück zum «Werther- Effekt» ist der «Papageno-Effekt». Auch der Held in Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel «Die Zauberflöte» will (im Glauben, seine geliebte Papagena verloren zu haben) seinem Leben ein Ende setzen. Er lässt sich jedoch von drei Knaben davon abbringen. Sie weisen ihn darauf hin, was er anstelle des Suizids machen könnte – und retten so sein Leben. Mehreren Studien zufolge können auch Medienbeiträge eine suizidpräventive Wirkung haben, wenn sie – wie die Knaben im Singspiel – konstruktive Strategien zur Bewältigung von Suizidgedanken aufzeigen oder andere Lösungen für widrige Lebensumstände hervorheben.

Suizid: die richtigen Begriffe verwenden

Wie über Suizid berichtet wird, ist ein wichtiger Bestandteil der Suizidprävention. Die Tonalität soll stets sachlich und wertungsfrei sein. Die Begriffe «Suizid» oder «Selbsttötung» erfüllen diese Kriterien. Hingegen sind Formulierungen wie «Freitod» oder «Selbstmord» zu vermeiden. Diesen Grundsätzen folgt auch diese spectra-Ausgabe.

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Kontakt

Esther Walter
Sektion Nationale Gesundheitspolitik

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