Sprunglinks

zurück

Adipositas als Erkrankung in der Gesellschaft anerkennen und Stigmatisierung abbauen

Ausgabe Nr. 140
Mär. 2024
Adipositas bekämpfen

Obwohl Adipositas in der Schweiz als Erkrankung anerkannt und die Vergütung von medizinischen Leistungen möglich ist, ist das Wissen in der Gesellschaft und bei Fachpersonen noch zu wenig verankert. Aufgrund des fehlenden Verständnisses für die Erkrankung erfahren Betroffene Stigmatisierung und Diskriminierung, was den Behandlungserfolg verringert.

Seit seiner Kindheit kämpft Bruno mit Übergewicht. Er wird ständig darauf angesprochen und mit ungefragten Tipps versorgt. Häufig unterstellt man ihm, dass er zu viel und ungesund esse und sich zu wenig bewege. Auch die Diagnose Adipositas hat daran nichts geändert. Das Wissen darüber, dass Adipositas durch genetische oder psychische Faktoren sowie Stoffwechselkrankheiten verursacht wird und nur zu einem Teil von Lebensstil und Essverhalten beeinflusst werden kann, ist in der Gesellschaft noch zu wenig vorhanden.

Alarmierende Zahlen

Adipositas ist in der Schweiz stark verbreitet – mit 43 Prozent ist fast die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig (BMI 25+), 12 Prozent leiden an Adipositas (BMI 30 oder höher). Diese Zahlen stellen eine grosse Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Denn Adipositas hat eine Doppelrolle: Es handelt sich nicht nur um eine Erkrankung mit hoher Prävalenz – Adipositas ist gleichzeitig ein Risikofaktor für viele weitere Krankheiten. Sie erhöht zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, an Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder an Krebs zu erkranken.

Stigmatisierung birgt Probleme

Um diese Risiken einzudämmen, ist eine adäquate Behandlung zentral. Doch die Stigmatisierung hält Betroffene oft davon ab, sich Hilfe zu holen. Untersuchungen zeigen etwa, dass Fachpersonen gesundheitliche Probleme bei Übergewichtigen teilweise nicht ernst nehmen und auf das Gewicht zurückführen, ohne die Ursache der Probleme zu untersuchen (1). Dies erhöht die Gefahr, dass Betroffene sich nicht mehr an Fachpersonen wenden und das Vertrauen in medizinische Institutionen verloren geht.

Das mangelnde Verständnis von Adipositas als Krankheit führt ausserdem zu Schwierigkeiten bei der Diagnose und zu Schuldgefühlen: Laut einer Studie (2) sind sich 39 Prozent der Befragten nicht darüber bewusst, dass sie an Adipositas leiden. Und 76 Prozent sind der Meinung, dass eine Gewichtsreduktion ihre alleinige Verantwortung sei. Die Stigmatisierung birgt ausserdem noch weitere Probleme, etwa das Entstehen von Essstörungen, Vermeidung von körperlicher Aktivität, Depressionen oder Isolation.

Ganzheitliche und multidisziplinäre Therapie

Weil Adipositas eine multifaktorielle Erkrankung ist, ist ein ganzheitlicher und multidisziplinärer Therapieansatz zentral. Dieser beinhaltet eine Ernährungsumstellung, die Steigerung von körperlicher Aktivität und in bestimmten Fällen eine medikamentöse oder bariatrische Behandlung (z. B. Schlauchmagen oder Magenbypass). Entsprechend sind Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen involviert, zum Beispiel aus der Ärzteschaft, der Physiotherapie, der Psychologie oder der Ernährungsberatung.

In den letzten Jahren wurde eine neue Generation hochwirksamer Arzneimittel zur Gewichtsreduktion entwickelt und zugelassen, die unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung kommen. Medikamente oder bariatrische Eingriffe reduzieren zwar den Appetit und steigern das Sättigungsgefühl – für einen Therapieerfolg braucht es aber auch eine Verhaltensänderung durch Ernährungsumstellung und körperliche Aktivität.

Gesundheitspolitische Massnahmen auf vielen Ebenen

Das BAG hat den Handlungsbedarf erkannt und setzt sich auf verschiedenen Ebenen für die Prävention ein, etwa mit Massnahmen zur Bewegungsförderung. Zur Verbesserung der Situation bei Menschen mit Adipositas gehört die Zusammenarbeit mit der Allianz Adipositas Schweiz zur Optimierung der Rahmenbedingungen für einen multidisziplinären Therapieansatz, die Sicherstellung der ganzheitlichen Versorgung und die Etablierung einer Fachstelle für Betroffene, Angehörige und Fachpersonen.

Unser Patient Bruno weiss seit seiner Jugend, dass er an Adipositas leidet. Seither ist er in Therapie, wodurch er seine Lebensqualität und sein Selbstwertgefühl steigern konnte. Er wünscht sich jedoch nach wie vor, dass seine Mitmenschen seine Krankheit Adipositas auch als solche anerkennen und ihn bei seinen Herausforderungen unterstützen.

Sie haben den spectra-Newsletter noch nicht abonniert? Melden Sie sich hier an und verpassen Sie keine Ausgabe.

Quellen

(1) Allianz Adipositas Schweiz, 2024

(2) Gerber PA, et al. Presented at the Swiss Society of Endocrinology and Diabetology (SGED-SSED) Annual Meeting, 17–18 November 2022, Bern, Switzerland

Links

Kontakt

Nadine Stoffel-Kurt
Sektion Prävention in der Behandlung und Beratung

Nach oben