
Bewegung als Therapie: Bedeutung und Perspektiven für die Schweiz
Jun. 2022Bewegung
Forum. Bewegung und Sport sind gut für die Gesundheit. Dieses oft gebetsmühlenartig vorgetragene Mantra mag manchmal nerven, aber es ist wichtig, daran zu erinnern, dass Bewegung für die Gesundheit unerlässlich ist.
Bereits seit den 1950er-Jahren kennen wir die positiven Auswirkungen einer guten körperlichen Fitness auf die Gesundheit und nichtübertragbare Krankheiten (NCDs), die schleichende und kostspielige Geissel unserer Zeit. Mit «Aerobics» löste der Autor Kenneth Cooper 1968 eine Fitness-Revolution aus. Seine Vision war, die Grundsätze des militärischen Körpertrainings auf die breite Bevölkerung anzuwenden, anhand des berühmten Cooper-Tests (12-Minuten-Lauf).
Und die Sache war erledigt. Jeder wusste nun, dass es wichtig war, auf seine körperliche Fitness zu achten. So konnten wir die Verbreitung von NCDs, Adipositas und Diabetes verhindern. Leider aber schreckte der 12-Minuten-Lauf zu viele Menschen vom Sport ab und die Inaktivität verdrängte schliesslich die guten Gewohnheiten wieder.
Hinzu kommen unzählige weitere gesellschaftliche, umwelt- und ernährungsbedingte, urbane, berufs- und verhaltensbedingte sowie epigenetische Faktoren, die im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit ein komplexes Bild zeichnen und keine alleinige Ursache erkennen lassen.
Exercise is Medicine, ein veraltetes Konzept
Die Amerikaner waren es, die das Konzept der Bewegung als Therapie eingeführt hatten. Ärzte und Patienten sollten davon überzeugt werden, dass Bewegung genauso effizient war wie eine Pille. Das Konzept hat zwar seine Berechtigung, weist aber einen entscheidenden Fehler auf: Es «medikalisiert» die Bewegung als verschreibungspflichtige Behandlung. Leider sind wir heute an einem Punkt angekommen, an dem Bewegung – einst natürlich und Teil des Alltags – auf ärztliche Verordnung stattfindet.
Als Arzt, der Patienten mit NCDs oder einem Gesundheitsdefizit behandelt, wäre es für mich natürlich hilfreich, wenn ich ihnen ein progressives Training und Coaching verschreiben könnte, damit sie wieder lernen, sich zu bewegen. Folgende Probleme stellen sich mir jedoch:
- Der Berufsalltag ist wenig auf Bewegung ausgerichtet und fördert sitzende Tätigkeiten.
- Bewegungsarme Freizeitaktivitäten sind natürlich attraktiver als Bewegung und Sport. Wofür würden Sie sich entscheiden? Für einen Abend auf dem Sofa mit Pizza und Netflix oder für das gesunde Tagesmenü und eine Stunde Walking?
- Unser Gesundheitssystem sieht kein Gesundheitscoaching vor (das heisst, es wird nicht vergütet), abgesehen von zu kurzer und unzureichender kardialer Rehabilitation NACH den ersten Schäden.
Wie sieht die Zukunft der Schweiz aus?
Im internationalen Vergleich sehen unsere Bewegungsstatistiken zwar sehr gut aus, aber unsere NCD-Rate steigt ebenfalls an – und damit die Gesundheitskosten. Bewegung ist kein Allheilmittel, aber eine Chance, die körperliche, soziale und geistige Gesundheit der Gesamtbevölkerung zu verbessern. Viele haben die einfache Kunst der Bewegung vergessen. Es liegt nun an der Politik und an den Gesundheitsinstanzen, die Bewegung sinnvoll und effektiv in die Gesundheitsversorgung einzubinden (und an der Gesellschaft, dies im Alltag umzusetzen).
Für die Zwischenzeit ermutige ich alle Gesundheitsfachkräfte, bei der nächsten Behandlung mit ihren Patientinnen und Patienten spazieren zu gehen, denn davon profitieren beide Seiten!