Wie kann die Gesundheitsversorgung von vulnerablen Gruppen optimiert werden?
Okt. 2018Kommunikation im Gesundheitswesen
Vernetzung. Wie können sozial benachteiligte Menschen erreicht und angesprochen werden? Wie kann ihre Gesundheitsversorgung optimiert werden? Die Studie «Sozialhilfe und Gesundheit» zeigt aktuelle Praxisbeispiele. Im Auftrag des BAG wird zurzeit auch ein Konzept erarbeitet, um die Versorgung älterer Menschen mit problematischem Konsumverhalten (insbesondere Alkohol) zu optimieren.
In der Schweiz ist der Zugang zum Gesundheitssystem dank der obligatorischen Krankenpflegeversicherung grundsätzlich gesichert. Dennoch gibt es Hinweise, dass sozial benachteiligte Personen die notwendigen Versorgungsleistungen nicht in Anspruch nehmen oder nehmen können. Zu diesen zählen neben Armutsbetroffenen auch Suchtkranke.
Analysen zu Armut und Gesundheit
Armut geht
oft einher mit Gesundheitsproblemen,
geringerer Gesundheitskompetenz und weniger Möglichkeiten, für die
eigene Gesundheit zu sorgen. Dies ist nicht nur auf materielle Defizite zurückzuführen, sondern auch darauf, dass die Betroffenen nicht ausreichend in soziale Netzwerke eingebunden sind und weniger leicht Zugang zum Gesundheitssystem finden.
Die Studie
«Sozialhilfe und Gesundheit» zeigt anhand verschiedener Praxisbeispiele, mit
welchen Massnahmen der Zugang von Armutsbetroffenen zur Gesundheitsversorgung erleichtert werden kann. Beispielsweise, indem die interdisziplinäre Zusammenarbeit gestärkt wird oder Gesundheitsangebote gebündelt werden.
Alles unter einem Dach
Die Psychiatrisch-Psychologischen Sprechstunden in den Zürcher Sozial-
zentren vereinen zum Beispiel verschiedene soziale Angebote der Stadt unter
einem Dach: Sozialhilfe, Familienhilfe, Wohnhilfe, Kindes- und Erwachsenenschutz. Das Angebot wird vor allem von Sozialhilfebeziehenden mit psychischer
Beeinträchtigung rege genutzt, da es ohne Vorinformationen leicht zugänglich
ist und zugleich viele Bedürfnisse abdeckt. Dieses Modell entlastet auch die
Sozialarbeitenden und vereinfacht die Kommunikation: Fachleute können vor Ort
bei ihren Kollegen psychiatrisch-psychologische Fragestellungen abklären
oder eine Zweitmeinung einholen. Dies ermöglicht eine Beratung, die umfassender auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Die
Nutzung und die Vernetzung von Fachwissen
aus den Bereichen Sozialarbeit, Psychologie und Medizin sind Voraussetzungen,
um Armutsbetroffene besser
anzusprechen. Dies bestätigen die untersuchten Projekte, die neue
Ansatzpunkte
für die Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufe in der Praxis erproben. So
beispielsweise das Angebot der Psychiatrischen Poliklinik mit den Fachbereichen Mobile Krisenintervention & Kompass sowie Ambulante Betreuung und Therapie der Stadt Zürich.
Ein Team von Fachpersonen aus den Bereichen Sozialarbeit, Pflege und Psychologie begleitet Personen in komplexen Situattionen und ermöglicht eine adöquate Versorgung. Die Beratung geht dabei über die Gesundheitsversorgung hinaus und deckt zum Beispiel auch Budget- und Wohnungsfragen ab.
Interessant
ist auch der Ansatz des Kantons Waadt (d. h. der Psychiatrischen Abteilung
des Universitätsspitals Lausanne, der Fondation de Nant und der IV-Stelle
Waadt): Ein interdisziplinäres Team begleitet
Sozialhilfebeziehende, die aufgrund von psychischer Beein- trächtigung nicht berufstätig sein können.
Das Team vermittelt Orientierung im
Gesundheitsversorgungsnetz, indem es das Schweizer Gesundheitssystem erläutert, die verschiedenen Angebote
und Dienstleister vorstellt und diese den Sozialhilfebeziehenden näherbringt.
Herausforderung im Altersheim
Auch bei der
Versorgung von alternden abhängigen Menschen sind interdisziplinäre
Vernetzung und Kommunikation wichtig. In der Schweiz werden die Menschen immer älter und die Resultate des
«Suchtmonitoring Schweiz
2015» zeigen, dass 7,3
Prozent der Männer und Frau- en im Alter von 65 bis 74 Jahren einen chronisch-risikoreichen
Alkoholkonsum aufweisen (4 bzw. 2
Gläser Wein pro Tag). Im Alter wirkt der Alkohol stärker,
er kann
die Wirkung von
Medikamenten verändern und Verwirrtheit oder Stürze
verursachen.
Umfragen zeigen, dass es bei
Alters- und Pflegeheimen zum Teil Vorbehalte oder Unsicherheiten gibt, wie
abhängige Menschen betreut werden sollen. Bisher sind auf Sucht spezialisierte
Institutionen und Pflegeorganisationen (etwa Spitex sowie Alters- und
Pflegeheime) zu wenig miteinander vernetzt. So fehlt den Pflegeinstitutionen
das nötige Wissen, wie sie mit abhängigen Menschen umgehen sollen, und den
Institutionen im Suchtbereich fehlen die nötigen Kompetenzen im Bereich
Pflege und Medizin. Das BAG will nun Grundlagen schaffen und möglichst viele
Wissenslücken schliessen. Dazu wurde gemeinsam mit Akteuren der
Altersversorgung ein Pro- jekt gestartet, das drei Elemente umfasst: erstens
die Erarbeitung eines Betreuungskonzepts für abhängige Men- schen in Alters-
und Pflegeheimen. Das Konzept kann als Standard verwendet werden und gibt den
Institutionen aus dem Altersbereich und ihren Mitarbeitenden einen
inhaltlichen und formalen Rahmen im Umgang mit Menschen mit Suchtproblematik.
Zweitens werden vom Fachverband Sucht in Zürich Ethikempfehlungen für
Pflegefachleute zum Umgang und zur Betreuung dieser Men
schen
erarbeitet. Die Ethikempfehlun- gen unterstützen Pflegeinstitutionen sowie
einzelne Pflegefachleute dabei, ihre Haltung in Bezug auf die Aufnahme abhängiger Menschen zu klären. Als dritter Bestandteil des Projekts werden Inhouse-Schulungen konzipiert,
die
es Kliniken, Suchtfachstellen, ambulanten Pflegediensten sowie
Alterseinrichtungen erlauben, ihre Mitarbeitenden für
die besonderen
Bedürfnisse abhängiger
Männer und Frauen zu sensibilisieren
und sie im Umgang mit diesen zu schulen. «Am Ende des Projekts haben
wir dazu beigetragen, passende Angebote und eine bessere Versorgung sicherzustellen», davon ist Stefanie Knocks,
Generalsekretärin des Fachverbands Sucht in Zürich, überzeugt.
Das
Ziel besteht darin, die Organisationen und Fachpersonen der medizinischen
Grundversorgung, des Alters- und des Suchtbereichs besser
miteinander zu vernetzen. Die engere Kommunikation zwischen den
beteiligten Akteuren sowie das Auseinandersetzen mit dem Thema auf beiden Seiten
werden einen wertvollen Beitrag zur Sensibilisierung und schliesslich zu einer
besseren Gesundheitsversorgung leisten.