Gesundheitsförderung: die Geschichte eines Erfolgskonzepts
Nov. 2011Internationales
25 Jahre Ottawa-Charta. Die Verabschiedung der Ottawa-Charta, des Leitbilds der Gesundheitsförderung in der ganzen Welt, markierte 1986 einen Paradigmenwechsel im Gesundheitsverständnis. Ein Buch von Brigitte Ruckstuhl zeichnet die Entwicklungsgeschichte der Gesundheitsförderung nach.
Gesundheitsförderung ist heute eine selbstverständliche und zentrale Säule der Gesundheitspolitik. Der Begriff steht sowohl für ein gesundheitspolitisches Handlungsfeld als auch für ein Verständnis von Gesundheit, das weit über das rein biomedizinische Terrain hinausgeht. Gesundheit und Krankheit liegen demnach nicht nur in den Händen des Arztes oder des Schicksals, sondern im Einfluss- und Verantwortungsbereich des Einzelnen und der ganzen Gesellschaft. Jeder und jede kann mit einem gesunden Lebensstil seine/ihre Gesundheit fördern oder erhalten. Aufgabe der Gesellschaft und der Politik ist es aber, dafür die nötigen Voraussetzungen zu schaffen.
Mit der Verabschiedung der Ottawa-Charta an der «Ersten Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung» durch 210 Vertreter aus 35 Industrieländern hat sich diese Auffassung von Gesundheit erstmals in der Formulierung von Handlungsstrategien und -feldern konkretisiert. Ihre Wurzeln reichen jedoch über hundert Jahre zurück.
Von der Sozialhygiene zum Medizinkritik
Die Grundidee der Gesundheitsförderung ist bereits in der «Sozialhygiene» des beginnenden 20. Jahrhunderts klar zu erkennen. Vorwiegend deutsche Wissenschaftler öffneten mit dieser Theorie erstmals den Blick für die sozialen Lebensbedingungen als Ursache für die Entstehung von Krankheiten. So schnell sich die Sozialhygiene als wissenschaftliche Disziplin etablieren konnte, so abrupt endete ihre steile Karriere mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Daraufhin verschwand dieser Denkansatz für lange Zeit aus den gesundheitspolitischen Debatten. Während des Wirtschaftswachstums nach dem Zweiten Weltkrieg gewannen die auf Kuration fokussierte Medizin und damit die Ärzteschaft stark an Bedeutung. Die Bestrebungen konzentrierten sich auf die Sicherstellung der medizinischen Versorgung und den medizintechnischen Fortschritt. Die Folgen waren eine Schwächung der öffentlichen Gesundheit und ein betont individualisiertes Präventionsverständnis.
Dies änderte sich in den 1960er- und 1970er-Jahren. Die Zunahme von chronischen Krankheiten und die explodierenden Gesundheitskosten zeigten die Grenzen dieses Systems auf. Die Sozialbewegungen, die Ende der 1960er-Jahre einsetzen, wirkten sich zudem auch auf das Gesundheitsverständnis aus: Statt «Versorgung», die als entmündigend wahrgenommen wurde, wurde die Selbstbestimmung über den Körper betont und mehr Mitsprache im Umgang mit Gesundheit und Krankheit gefordert. Dieses neue Denken bereitete den Boden für die Etablierung der Gesundheitsförderung und Prävention. Zu Beginn der 1980er-Jahre begann unter der Federführung der WHO Europa ein systematischer Prozess, der diese Strömungen in der Ottawa-Charta bündelte.
Aufgaben klären
Heute gilt die Ottawa-Charta weltweit als Basisdokument für die Gesundheitsförderung und Präventivmedizin im Rahmen der «Gesundheit für alle»-Strategie der WHO. In den letzten 25 Jahren hat der Begriff gemäss Ruckstuhl wegen der vielfältigen Bedeutungszuschreibungen jedoch an Kontur verloren. Sie fordert eine Klärung, welche Funktionen und Aufgaben Gesundheitsförderung heute erfüllen will und wie sich Gesundheitsförderung gesundheitspolitisch bzw. im Kontext von Public Health positioniert.
Das Buch: Gesundheitsförderung. Entwicklungsgeschichte einer neuen Public- Health-Perspektive. Brigitte Ruckstuhl. Verlag: Juventa, 2011. Mit Interviews von Rosmarie Erben, Alf Trojan, Bernhard Badura, Rolf Rosenbrock, Eberhard Göpel, Peter Franzkowiak, Helmut Milz, Werner Schmidt, François van der Linde, Bertino Somaini, Horst Noack, Ralph Grossmann, Jürgen Pelikan und llona Kickbusch.
Die Strategie der Ottawa-Charta
Diese drei Handlungsstrategien stehen im Zentrum der Ottawa-Charta:
1. Eintreten für Gesundheit durch Beeinflussung politischer, biologischer und sozialer Faktoren
2. Kompetenzförderung mit dem Ziel, Unterschiede des Gesundheitszustands zu verringern und grösstmögliches Gesundheitspotenzial zu verwirklichen
3. Kooperation mit allen Akteuren innerhalb und ausserhalb des Gesundheitswesens
Kontakt
Regula Ricka, Gesundheitspolitik, regula.ricka@bag.admin.ch