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«Die besten Botschafter für das EPD sind wir Ärztinnen und Ärzte»

Ausgabe Nr. 138
Okt. 2023
Elektronisches Patientendossier

5 Fragen an François Bastardot: Weil nur sehr wenige der neuen Ärztinnen und Ärzte über das elektronische Patentiendossier (EPD) Bescheid wüssten, sei es wichtig, nicht nur Patientinnen und Patienten zu informieren, sondern auch die Gesundheitsfachpersonen zu schulen, sagt der Internist und Verantwortliche für medizinische Informatik am Universitätsspital CHUV in Lausanne.

1 Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrem Alltag im CHUV?

Sie ist absolut zentral. So erfüllt etwa die elektronische Krankengeschichte, die wir 2010 eingeführt haben, mehrere Funktionen. Zum einen hilft sie uns in der Klinik: Wenn eine Patientin oder ein Patient zu uns ins Spital kommt, wird sie oder er von einem Behandlungsteam betreut, das bei einem mehrtägigen Aufenthalt rasch 50 bis 60 Gesundheitsfachpersonen umfasst. In dieser Situation der fragmentierten Betreuung gewährleistet die elektronische Krankengeschichte eine Kontinuität, denn sie enthält alle relevanten Informationen aus der Pflege, aus den Laboratorien oder aus der Radiologie. Wir dokumentieren darin, wann wir mit wem gesprochen haben, und erklären, wie wir zu unseren Entscheidungen kommen: Wenn ich der erkrankten Person ein Antibiotikum verschreibe und dann um 18 Uhr meinen Dienst beende, muss mein Kollege, der Nachtdienst hat, nachvollziehen können, wieso die Person jetzt auch ein Antibiotikum zu sich nimmt.

2 Welche weiteren Funktionen erfüllt die elektronische Krankengeschichte? 

Neben der klinischen Dimension gibt es zweitens eine administrative/finanzielle Dimension: Die medizinische Kodierung stützt sich auf Daten, die in der elektronischen Krankengeschichte abgespeichert sind. Wir planen, ein auf künstlicher Intelligenz basierendes System einzusetzen, das diese Arbeiten unterstützt.

Die elektronische Krankengeschichte hat drittens eine rechtliche Dimension. Wenn sich etwa Komplikationen ereignen, können die darin enthaltenen Informationen von der Justiz verwendet werden, um die Verantwortlichkeiten der verschiedenen Beteiligten zu klären. Viertens sind die umfangreichen medizinischen Daten, die in der elektronischen Krankengeschichte enthalten sind, sehr wertvoll für die Forschung.

Und fünftens haben wir in der elektronischen Krankengeschichte seit anderthalb Jahren eine Schnittstelle zum EPD. Damit können wir unseren Patientinnen und Patienten am Tag, an dem sie das Spital verlassen, eine Kopie der Ergebnisse unserer Untersuchungen sowie der Arztberichte geben. Diese Informationen helfen ihnen, ihre Krankheit besser zu verstehen. Und sie ermächtigen sie dazu, sich an den Entscheidungen zu beteiligen, die sie betreffen.

3 Wie sehen Ihre Erfahrungen mit dieser Schnittstelle zum EPD aus?

Zu Beginn haben wir die Dokumente von Hand ins EPD kopiert. Unterdessen haben wir Algorithmen erstellt, die das jede Nacht automatisch erledigen. Allerdings stehen wir immer noch am Anfang, denn aktuell verfügt nur eine kleine Minderheit – rund ein Prozent – unserer Patientinnen und Patienten über ein EPD.

Das liegt auch daran, dass es nicht ganz einfach ist, ein EPD zu eröffnen. Man muss zuerst eine e-ID, eine Art digitalen Identitätsausweis, beantragen und diese e-ID dann authentifizieren, also beweisen, dass man tatsächlich die Person ist, die auf der eigenen e-ID aufgeführt ist. Dann kann man bei einem EPD-Anbieter, beispielsweise bei CARA im Waadtland, ein Konto eröffnen. Und schliesslich gilt es, dieses Konto mit der digitalen Identität zu synchronisieren. Bei mir hat dieser Prozess acht Wochen gedauert. Wenn ich nicht stark motiviert gewesen wäre, mein EPD zu eröffnen, hätte ich wahrscheinlich nach zwei oder drei Wochen aufgegeben. Hinzu kommt: Viele ältere Menschen in Pflegeheimen haben keine gültige ID. Sie können ihre e-ID deshalb nicht authentifizieren. Das sind Barrieren, die abgebaut werden müssen.

4 Ist das CHUV – dank den automatisierten Prozessen – bereit für die digitale Zukunft?

Ja, wir sind grundsätzlich bereit, aber wir stehen noch vor einer doppelten Herausforderung: Wir müssen das EPD nicht nur bei den Patientinnen und Patienten bekannt machen, sondern auch bei den Gesundheitsfachpersonen. Weil wir eine Universitätsklinik sind, gibt es bei uns zweimal im Jahr einen grossen Wechsel beim ärztlichen Personal, 250 Personen kommen und gehen. Von allen, die am 1. Mai 2023 neu bei uns angefangen haben, wussten nur zwei über das EPD Bescheid. Wir möchten aber, dass alle unsere Mitarbeitenden den Patientinnen und Patienten über das EPD Auskunft geben können. Deshalb stecken wir viel Zeit und Energie in die Schulung und Ausbildung unserer neuen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen.

«Die umfangreichen medizinischen Daten, die in der elektronischen Krankengeschichte enthalten sind, sind sehr wertvoll für die Forschung.»

5 Was braucht es sonst noch, damit sich das EPD durchsetzen kann?

Mit unserer elektronischen Krankengeschichte haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich eine frühzeitige Information lohnt. Wir schicken unseren Patientinnen und Patienten zum Beispiel einen Brief, bevor wir sie ins Spital aufbieten. Im Brief erklären wir ihnen unser System. Der Brief kostet nicht viel, aber er richtet viel aus. Die besten Botschafter für das EPD sind wir Ärztinnen und Ärzte, denn wir können den Patientinnen und Patienten den unmittelbaren Nutzen aufzeigen. Wie bei anderen neuen Technologien entscheidet vor allem ein Element über den Erfolg: der Mehrwert. Nur wenn ein neues Tool die Bedürfnisse besser erfüllt als andere Systeme, wird es benützt. Allerdings: In meiner Wahrnehmung wird sich der ganze Nutzen des EPD erst in einigen Jahren zeigen. Bis dahin sind noch viele Komplexitäten zu meistern.

Kontakt

François Bastardot
Chief Medical Information Officer des CHUV

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