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Gesundheitsfachpersonen

Ausbildung als Schlüssel, um Betroffene zu schützen

Ausgabe Nr. 141
Jun. 2024
Häusliche Gewalt – erkennen, ansprechen, handeln

Gesundheitsfachpersonen haben eine besondere Verantwortung, wenn es um das Erkennen von Fällen häuslicher Gewalt und um das Betreuen von Betroffenen geht. Um Fachpersonen zu sensibilisieren und das Thema stärker in der Aus-, Weiter- und Fortbildung aufzugreifen, setzt der Bund im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der Istanbul-Konvention verschiedene Massnahmen um.

Fast 20 000 Delikte häuslicher Gewalt wurden in der Schweiz im Jahr 2023 registriert: Diese reichen von Drohungen über einfache Körperverletzungen bis zu Tötungsdelikten (1). Bekannt werden aber nur Fälle, die polizeilich registriert werden – und die Hürden für eine Anzeige sind hoch. Allzu oft sehen Betroffene davon ab, zum Beispiel aus Angst vor Konsequenzen oder aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen.

Auch wenn sie die Fälle nicht anzeigen möchten, suchen Betroffene häufig medizinische Einrichtungen auf: Sie gehen zum Beispiel für eine Wundversorgung in die Apotheke oder lassen Verletzungen auf dem Notfall untersuchen. Gesundheitsfachpersonen sind daher oft die erste – und manchmal einzige – Anlaufstelle von Gewaltbetroffenen. Deshalb ist es wichtig, dass sie auf Anzeichen sensibilisiert und im Umgang mit Betroffenen geschult sind.

Erkennen, unterstützen, vernetzen

Fachpersonen können Menschen vor häuslicher Gewalt schützen, wenn sie zum Beispiel wissen, wie man Anzeichen von Gewalt erkennt, Betroffene darauf anspricht, sie über Anlaufstellen informiert oder eine forensische Spurensicherung durchführt.

Da der Arbeitsalltag von Gesundheitsfachpersonen oft hektisch ist, können Anzeichen häuslicher Gewalt jedoch leicht übersehen werden. Deshalb ist ein wichtiger Teil der Aus- und Weiterbildung, die Anzeichen wahrzunehmen, sie richtig zu deuten und sich auch zu trauen, notwendige Schritte in die Wege zu leiten. Eine falsche Handhabung kann dramatische Auswirkungen haben, die von der Entmutigung der Opfer über Re-Traumatisierungen bis zur Verunmöglichung von Strafverfahren reichen. Umgekehrt kann die richtige Versorgung nicht nur die Prävention stärken und weitere Fälle verhindern, sondern auch das Anzeigeverhalten positiv beeinflussen.

Spuren sicherstellen

Spezifische Weiterbildungen befähigen Gesundheitsfachpersonen, Fälle von häuslicher Gewalt zu erkennen und richtig zu behandeln, so etwa die Weiterbildung in Forensic Nursing. Forensic Nurses sind Pflegefachpersonen, die unter anderem darin geschult sind, Befunde gerichtlich verwertbar zu dokumentieren und aufzubewahren. «Zwischen dem Ereignis und der medizinischen Behandlung vergeht in der Regel wenig Zeit», sagt Valeria Kägi, Forensic Nurse und Präsidentin des Verbands Swiss Association Forensic Nursing (SAFN). «Erst später kommt die Polizei zum Einsatz, die traditionellerweise die Spurensicherung macht. Diese Versorgungslücke füllen die Forensic Nurses.» Die Weiterbildung zur Forensic Nurse, die an der Universität Zürich, der Berner Fachhochschule, der Haute École de la Santé in Lausanne oder am Bildungszentrum Gesundheit und Soziales in Chur angeboten wird, sei aber noch wenig bekannt, sagt Kägi. 

Beispiele guter Praxis bekanntmachen und Minimalstandards etablieren

Im Rahmen des «Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der Istanbul-Konvention 2022–2026» setzen das BAG und das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) verschiedene Massnahmen im Bereich Aus- und Weiterbildung um: 

  • Auf der Plattform www.bag-blueprint.ch sind bestehende Modelle guter Praxis zusammengestellt (Stichwort häusliche Gewalt und Gewalt an Frauen).
  • Das BAG organisiert Vernetzungsanlässe zum Thema. Im November 2023 hat etwa die Nationale Konferenz «Einbezug des Themas häusliche Gewalt und Gewalt in der Bildung von Pflegefachpersonen und Hebammen» stattgefunden.
  • Das EBG entwickelt Minimalstandards für die Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsfachpersonen. Diese zeigen Kompetenzen zu geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt auf, die für ein bestimmtes Berufsfeld relevant sind. Minimalstandards für den Bereich Geburtshilfe liegen bereits vor, weitere werden laufend publiziert.

Es ist also einiges im Gange, um dem Thema häusliche Gewalt mehr Platz in der Bildung zu geben. Das findet auch Valeria Kägi: «Wir nehmen dank der Istanbul-Konvention einen Aufschwung wahr. Aber das Thema muss stärker in den Lehrplänen verankert werden, damit alle Pflegefachpersonen Fälle von häuslicher Gewalt frühzeitig erkennen und die Betroffenen richtig betreuen können.»

Quellen

(1) Bundesamt für Statistik. Häusliche Gewalt. 

Kontakt

Chiara Scarnato
Sektion Weiterentwicklung Gesundheitsberufe


Daria Bohli
Bereich Gewalt
Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG

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