Sprunglinks

zurück
Namen am Boden mit Kreide geschrieben

Koordiniert gegen häusliche Gewalt vorgehen

Ausgabe Nr. 141
Jun. 2024
Häusliche Gewalt – erkennen, ansprechen, handeln

Leitartikel. Das Ausmass an häuslicher Gewalt in der Schweiz wird oft unterschätzt. Delikte werden meist hinter verschlossenen Türen verübt und die Dunkelziffer ist hoch. Die Prävention von häuslicher Gewalt sowie der Schutz der Opfer hat für den Bund oberste Priorität.

Mit 19 918 registrierten Straftaten im Jahr 2023 (1) und einer Dunkelziffer, die um ein Vielfaches höher ist, ist häusliche Gewalt ein weit verbreitetes und zugleich unterschätztes Problem. Zu häuslicher Gewalt zählen alle Formen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, bei denen Täter und Opfer in einer partnerschaftlichen oder familiären Beziehung sind oder waren – und zwar unabhängig davon, ob die Personen unter einem Dach leben oder nicht. Betroffen sind in mehr als 70 Prozent der Fälle Frauen (2). Und auch Kinder leiden: Pro Jahr erleben in der Schweiz rund 27 000 Kinder Gewalt zwischen ihren Eltern mit (3). Besonders alarmierend ist, dass die Fälle nicht selten eskalieren: Im Jahr 2023 wurden 25 Personen aufgrund von häuslicher Gewalt getötet, davon 16 Frauen, 5 Männer und 4 Mädchen – das ist knapp die Hälfte aller Tötungsdelikte in der Schweiz.

Enorme Folgekosten

Häusliche Gewalt beeinflusst alle Lebensbereiche der Betroffenen. Sie leiden oft langfristig unter gesundheitlichen Problemen, etwa Verletzungen, Entstellungen, Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Nebst dem menschlichen Leid sind aber auch die volkswirtschaftlichen Auswirkungen enorm: Medizinische Behandlung von Gewaltbetroffenen, Polizeieinsätze, Gerichtskosten, Kosten aufgrund von Arbeitsunfähigkeit. Pro Jahr werden die direkten und indirekten Folgekosten von häuslicher Gewalt auf 164 bis 287 Millionen Franken geschätzt – das entspricht den jährlichen Ausgaben einer mittelgrossen Schweizer Stadt (4).

Schweiz hat sich verpflichtet

Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention im Jahr 2017 hat sich die Schweiz verpflichtet, häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen zu verhindern und zu bekämpfen und Opfer angemessen zu versorgen und zu unterstützen. Um diese Ziele zu erreichen, haben Bund und Kantone im Jahr 2022 den «Nationalen Aktionsplan der Schweiz zur Umsetzung der Istanbul-Konvention 2022-2026» verabschiedet. Er enthält Massnahmen in drei Bereichen: In der Information und Sensibilisierung der Bevölkerung, in der Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen und im Bereich sexualisierte Gewalt.

Infografik

Die drei Säulen des Nationalen Aktionsplans stärken die Prävention von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, den Schutz der Opfer und die Gleichstellung der Geschlechter. Quelle: NAP IK. Grafik anzeigen

Gleichstellung als Schutzfaktor

Der Aktionsplan ist ein Teil der Gleichstellungsstrategie 2030. Für die Förderung und Koordination des Nationalen Aktionsplans und der Gleichstellungsstrategie 2030 ist das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) zuständig. «Asymmetrische Machtverhältnisse in der Beziehung sind ein Risikofaktor für häusliche Gewalt», sagt Daria Bohli, Fachspezialistin Präventionskampagnen beim EBG. «Macht ist immer noch ungleich auf die Geschlechter verteilt. Deshalb ist die Gleichstellung der Geschlechter eine zentrale Voraussetzung für die Prävention von häuslicher Gewalt.»

Die Schlüsselrolle von Gesundheitsfachpersonen

Auch geschulte Gesundheitsfachpersonen sind zentral für die Bekämpfung von häuslicher Gewalt. «Wenn Gesundheitsfachpersonen Anzeichen auf Gewalterfahrungen bei Patientinnen und Patienten richtig deuten und wissen, welche Schritte zu tun sind, können sie zu einem entscheidenden Richtungswechsel in der Situation von Betroffenen beitragen», sagt Sabina Hösli, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BAG. «Das BAG hat deshalb die Aufgabe, Bildungsinstitutionen und Institutionen des Gesundheitswesens darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig das Thema häusliche Gewalt in der Aus-, Weiter- und Fortbildung ist.» Zudem vernetzt das BAG relevante Akteure und publiziert Beispiele guter Praxis.

Mit der Unterstützung von Informations-, Beratungs- und Präventionsmassnahmen des Netzwerks gegen Mädchenbeschneidung engagiert sich das BAG in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM) und dem EBG zudem gegen weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz, einer spezifischen Form von häuslicher Gewalt.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit als Erfolgsfaktor

Um häusliche Gewalt systematisch zu bekämpfen, sind neben dem Gesundheitswesen auch Akteure aus dem Polizei-, Justiz- und Sozialwesen gefragt. Damit Gewaltbetroffene in einer Beratungsstelle, in der Notaufnahme oder bei der Polizei rasch und professionell behandelt und beraten werden können, müssen alle Institutionen koordiniert zusammenarbeiten. Dieses Thema ist auch in die politische Agenda eingeflossen: Im 2022 wurden drei Motionen dazu angenommen (22.3234, 22.3333, 22.3334). Sie fordern in jedem Kanton Krisenzentren für die Opfer von häuslicher, sexualisierter oder geschlechtsspezifischer Gewalt, in denen die Betroffenen medizinische und psychologische Unterstützung erhalten.

Quellen

(1) Bundesamt für Statistik, polizeiliche Kriminalstatistik 2023
(2) Bundesamt für Statistik, häusliche Gewalt
(3) EBG, SKHG, 2024: Unterstützungsangebote und Schutzmassnahmen für Kinder, die Gewalt in der elterlichen Paarbeziehung ausgesetzt sind
(4) EBG, Infoblatt A1: Definition, Formen und Folgen häuslicher Gewalt. Juni 2020

Links

Kontakt

Sabina Hösli
Sektion Gesundheitliche Chancengleichheit


Daria Bohli
Bereich Gewalt
Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG
Fachstelle Gewalt


Nach oben