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Häusliche Gewalt und Demenz – ein doppeltes Tabu

Ausgabe Nr. 141
Jun. 2024
Häusliche Gewalt – erkennen, ansprechen, handeln

Menschen mit Demenz können oft über viele Jahre ein gutes und erfülltes Leben verbringen. Zugleich ist Demenz ein Syndrom, das die erkrankte Person und deren Umfeld stark fordern und belasten kann. Dies birgt das Potenzial für Gewalt. Als Trägerin der Nationalen Plattform Demenz setzt sich das BAG für die Gewaltfreiheit für Menschen mit Demenz und ihre betreuenden Angehörigen ein.

Häusliche Gewalt und Demenz: Beides sind Tabuthemen, über die man nicht gern spricht. Und das, obwohl die Anzahl Betroffener hoch ist: In der Schweiz leben rund 153 000 Menschen mit Demenz und pro erkrankter Person sind eine bis drei weitere Personen mitbetroffen. Die Erkrankung schränkt nicht nur die Menschen mit Demenz stark ein, sondern beeinflusst auch ihr Umfeld.

Entlastungsangebote für Angehörige

Menschen mit Demenz wie auch die betreuenden Angehörigen können sowohl Täter als auch Opfer von häuslicher Gewalt sein. Etwa wenn die Erkrankten aggressiv gegenüber ihren Angehörigen auftreten. Umgekehrt kann die dauernde Beanspruchung die betreuenden Angehörigen überfordern, was wiederum das Potenzial für Gewalt birgt.

«Die Überforderung entsteht auch deshalb, weil betreuende Angehörige oft gar nicht das Know-how und die Zeit für diese fordernde Aufgabe haben», sagt Settimio Monteverde, Professor und Leiter Ressort Ausbildungsprogramm an der Berner Fachhochschule Gesundheit: «Gewalt im Umgang mit Demenzbetroffenen entsteht aus einem Missverhältnis zwischen der Verantwortung, in der Betreuende stehen, und den oft eingeschränkten Möglichkeiten, die sie haben, um dieser Verantwortung nachzukommen.»

Um potenzielle Gewaltsituationen zu verhindern und mögliche Gewaltspiralen aufzubrechen, gelte es, frühzeitig darüber zu sprechen und Hilfs- und Entlastungsangebote aufzusuchen. «Betreuende von Demenzbetroffenen brauchen gezielte Unterstützung und Trainings, um mögliche Gewaltsituationen rechtzeitig zu erkennen und Hilfe zu holen», so Monteverde. Dazu bieten verschiedene Institutionen Kurse und Schulungen für Angehörige an, etwa die Hochschule für Gesundheit Freiburg oder die Organisation Alzheimer Schweiz. In solchen Kursen lernen Angehörige, Menschen mit Demenz besser zu verstehen und so Konfliktpotenzial zu vermeiden.

Symptomen entgegenwirken

Wenn Menschen mit Demenz gegenüber ihren Angehörigen körperlich oder verbal aggressiv werden, kann dies verschiedene Ursachen haben, etwa Frustration, Reizüberflutung oder Orientierungslosigkeit. Solche Ursachen müssen rechtzeitig erkannt und gelindert werden. Mittel erster Wahl sind psychosoziale Interventionen wie beispielsweise Musik-, Puppen- oder Aktivierungstherapien. Auch können sogenannte milieutherapeutische Massnahmen umgesetzt werden, etwa architektonische Massnahmen für eine bessere Orientierung. Erst wenn diese Interventionen nicht helfen, können auch Medikamente in Betracht gezogen werden. Bei all diesen Interventionen ist ein wertschätzender Umgang und eine empathische Haltung gegenüber Menschen mit Demenz zentral. Im Dezember 2023 hat Alzheimer Schweiz im Auftrag des BAG ein Webinar zu den «Empfehlungen zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Symptomen der Demenz (BPSD)» mit rund 140 Teilnehmenden durchgeführt. Diese Empfehlungen wurden jüngst aktualisiert und sind unter auf der BAG-Webseite zugänglich.

Lebensqualität verbessern

Als Trägerin der Nationalen Plattform Demenz setzen das BAG und seine Partner verschiedene Massnahmen um mit dem Ziel, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zu verbessern. Die Gewaltfreiheit ist ein wichtiger Aspekt bei diesen Massnahmen und war daher ein Thema an der diesjährigen Nationalen Demenzkonferenz, die am 30. April 2024 stattfand. Auf der Plattform www.bag-blueprint.ch finden interessierte Fachpersonen zudem Praxisbeispiele zu diesem Thema.

Erhöhtes Demenzrisiko durch Hirnverletzungen

Eine Lancet-Studie aus dem Jahr 2020 zeigt, dass traumatische Hirnverletzungen das Risiko für Demenz erhöhen. Sie gehören damit zu den vermeidbaren Risikofaktoren für Demenz. Entsprechend wichtig ist die Prävention von Gewalteinwirkungen auf das Gehirn – nicht zuletzt im Rahmen von häuslicher Gewalt: Sie kann das Demenzrisiko verringern.

Quellen

Alzheimer Schweiz, 2023: Demenz in der Schweiz 

DemCare: Empfehlungen für Langzeitinstitutionen 

Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychologischen Symptome der Demenz (BPSD)

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Kontakt

Margit Jochum

Sektion Nationale Gesundheitspolitik

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