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Gesunde Kinder und Jugendliche: Die Startchancen angleichen

Ausgabe Nr. 128
Sep. 2020
Kinder und Jugendliche

Leitartikel. Eine gesunde Kindheit und Jugend ist die Basis für ein gesundes Älterwerden. Daher investiert das BAG in das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. Ein Blick auf die aktuellen Herausforderungen und künftigen Schwerpunkte.

In den vergangenen Monaten hat das neue Coronavirus (SARS-CoV-2) die Schweiz verändert. Fast alles drehte und dreht sich um die gesundheitlichen Folgen der Pandemie, andere gesundheitliche Themen rückten in den Hintergrund. Die Pandemie hatte ohne Zweifel auch Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (siehe Box). Das BAG ist daran, diese Auswirkungen zu analysieren und allenfalls auch Massnahmen zu ergreifen. Nichtsdestotrotz ist es für das BAG wichtig, auch die bereits laufenden Strategien, Programme und Projekte im Bereich Kinder- und Jugendgesundheit fortzuführen. Die Themen, an denen das BAG neben Corona arbeitet, sind sehr vielfältig, wie diese nicht abschliessende Übersicht zeigt: Von Substanzkonsum (z.B. Alkohol oder Cannabis), Bewegungsverhalten, Chemikalien (Schutz der Kinder im Haushalt) über das Thema Impfen bis zu psychischer Gesundheit und Young Carers. Die aktuelle Ausgabe von spectra will aufzeigen, was das BAG unternimmt, um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu schützen und zu fördern.

Neue Gesamtstrategie

Im Dezember 2019 hat der Bundesrat die neue gesundheitliche Gesamtstrategie «Gesundheit 2030» verabschiedet, welche die Entwicklung des schweizerischen Gesundheitssystems im kommenden Jahrzehnt mitbestimmen wird. In der Gesamtstrategie ist unter dem Ziel «Gesund älter werden» auch die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen erwähnt – denn wer im Alter lange gesund bleiben will, fängt am besten früh damit an. Gesundheit im Alter ist oft geprägt von Gewohnheiten, Verhaltensweisen oder auch psychischen Belastungen in jungen Jahren. Solche Erfahrungen können ein Leben lang Auswirkungen haben.

Daher hat der Bundesrat in «Gesundheit 2030» folgendes Ziel formuliert: «Ein gesunder Start ins Leben ist eine entscheidende Voraussetzung für ein gesundes Erwachsenenleben. Bund, Kantone sowie alle Institutionen der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen sollen Massnahmen entwickeln für eine Nutzung bisher nicht ausgeschöpfter Potenziale in der Schwangerschaft, der Frühkindphase, im Kindergarten, in der Schule und im Übergang zum Beruf.» Ein zweiter Schwerpunkt ist die Vorbeugung: Gesundheitsförderung und Prävention sollen möglichst in jungen Jahren beginnen und im Erwachsenenalter ergänzt werden. Durch ein günstiges Gesundheitsverhalten in jungen Jahren, aber auch durch entsprechende Massnahmen im Älterwerden, lassen sich Krankheiten vorbeugen.

Manifest

Neben dieser Strategie gibt es weitere wichtige Initiativen, welche die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in den kommenden Jahren fördern wollen, zum Beispiel das Manifest «Gesunde Kinder und Jugendliche», das von den drei Trägerinnen Public Health Schweiz, Swiss School of Public Health und Departement für Gesundheit der ZHAW erarbeitet wurde und von 43 Organisationen unterstützt wird. In diesem Manifest werden verschiedene Aspekte im Bereich Kinder- und Jugendgesundheit erörtert und Forderungen gestellt. Das Manifest hält fest: «In keinem Lebensabschnitt sind Gesundheitsförderung und Prävention so wirksam, nachhaltig und wirtschaftlich ertragreich wie in Kindheit und Jugend.» Das Manifest fokussiert auf alle Phasen von der Geburt bis zum jungen Erwachsenen und benennt mögliche Massnahmen, die auch dazu beitragen könnten, die Rollen und die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen zu schärfen und allenfalls gemeinsame Rahmenbedingungen festzuhalten.

Das Bundesamt für Gesundheit sieht Potenzial in vielen in den im Manifest aufgeführten Themen, etwa die Herausforderungen bei der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Viele psychische Störungen treten in jungen Jahren auf, werden aber leider oft erst sehr viel später diagnostiziert. Bei den 8- bis 18-Jährigen ist jede Fünfte, jeder Fünfte mindestens einmal psychisch auffällig und leidet zum Beispiel unter Angst- oder Aufmerksamkeitsstörungen.

Eine weitere Herausforderung besteht in der Suizidprävention bei Jugendlichen in der Schweiz, denn Suizide sind nach dem Unfalltod die zweithäufigste Todesursache. Etwa 30 Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren nehmen sich in der Schweiz jedes Jahr das Leben, bei den 19- bis 24-Jährigen sind es etwa doppelt so viele. Die Zahl der Suizidversuche ist etwa 10- bis 20-mal höher. Gemäss einer Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan geben 10 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an, in den letzten zwei Wochen Suizidgedanken gehabt zu haben.

Dazu kommt eine in der Schweiz ungenügende psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die mit einem Mangel an derartigen Therapieplätzen und Fachpersonen zusammenhängt und zu langen Wartefristen führt. Für das BAG ist klar, dass die psychische Gesundheit für alle Kinder und Jugendlichen Nachbesserungen benötigt, von der Präven­tion bis hin zur psychiatrischen Versorgung.

Mangel an Daten

Womit wir bei einer weiteren Herausforderung wären: dem Mangel an guten Daten. Das gilt nicht nur für die psychische Gesundheit, sondern ganz generell im Bereich der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Nur mit guten Daten können die komplexen Mechanismen, die der Gesundheit zugrunde liegen, verstanden werden und wirklich wirksame Massnahmen definiert werden. Aktuell bestehen zum Beispiel Datenlücken in Bezug auf bestimmte Altersgruppen (0 bis 10 Jahre). 

Die Startchancen angleichen

Ein weiteres Problem ist der ungleiche Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Gesundheitsversorgung. Das beginnt bei ungleichen Startchancen der Kinder, zum Beispiel aufgrund ungenügender Gesundheitskompetenz der Eltern oder bei ungleichen finanziellen Möglichkeiten, die Kinder sportlich zu fördern (zum Beispiel Mitgliederbeiträge von Sportvereinen). Solche Defizite können sich auf die Kinder übertragen, sich über die Schulzeit hindurch fortbilden, können zu Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche oder gar zu Schulabbruch führen – und enden damit in langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit dieser Personen. Entsprechend wichtig ist die changengerechte Förderung von gesunden Kindern und Jugendlichen. Denn wie erwähnt: In keinem Lebensabschnitt sind Gesundheitsförderung und Präven­tion so wirksam, nachhaltig und wirtschaftlich ertragreich wie in dieser Lebensphase.

Grundlagen

Das BAG stützt sich bei den Arbeiten auf verschiedene Grundlagen:

  • NCD-Strategie (Strategie zur Prävention nicht übertragbarer Krankheiten)
  • Strategie Sucht
  • Dialogbericht zu den Massnahmen im Bereich der psychischen Gesundheit
  • Motion Ingold (Suizid­prävention)
  • Betäubungsmittelgesetz
  • Strahlenschutzgesetz (Radon)
  • Förderprogramm betreuende Angehörige (2017–2020)

Einfluss des neuen Coronavirus auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

Noch ist es zu früh, um Aussagen darüber zu machen, welche Auswirkungen das neue Coronavirus auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben wird. Studien dazu sind am Laufen. Klar ist nur, dass es Auswirkungen gibt.

Zwar gehören Kinder und Jugendliche nicht zur Risikogruppe, aber von den Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie waren und sind sie stark betroffen. Der Lockdown führte dazu, dass der soziale Austausch im Klassenverband, auf dem Pausenplatz unterbrochen wurde. Zudem hingen die schulischen Fortschritte in dieser Zeit auch davon ab, wie gut die Kinder zu Hause betreut wurden. Damit stellt sich die Frage nach der Chancengerechtigkeit: Insbesondere für benachteiligte Kinder besteht die Gefahr, dass sie durch Fernschule schulisch weiter abgehängt wurden. Dies kann bei den Kindern Stress verursachen.

Eine Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW bei Gymischülerinnen und Gymischülern im Kanton Zürich ergab, dass die Jugendlichen mehr Zeit vor dem Bildschirm verbrachten: fünfeinhalb Stunden anstatt vier Stunden pro Tag. Aber es gab auch überraschend positive Ergebnisse: So nahm der Drogenkonsum in dieser Zeit ab, es wurde fast gleich viel Sport getrieben wie zuvor und die Beziehung zu den Eltern verbesserte sich: Die inner­familiären Beziehungen haben sich in der Zeit des Lockdown positiv entwickelt.

Links

Kontakt

Dagmar Costantini
Sektion Gesundheitsförderung und Prävention


Lea Pucci-Meier
Sektion Nationale Gesundheitspolitik

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