«Heute geht es eher um Binge-Drinking oder Verhaltenssüchte»
Dez. 2020Nationale Präventionsstrategien: Zwischenbilanz und Ausblick
5 Fragen an Franziska Eckmann, Leiterin von Infodrog. Die Fachstelle unterstützt Institutionen und Behörden bei der Weiterentwicklung der zusehends breiter gefassten Suchthilfeangebote. Im Blick stehen nicht nur illegale Substanzen, sondern auch Alkohol oder Verhaltenssüchte.
1 Was sind die Aufgaben von Infodrog?
Infodrog ist die vom BAG eingesetzte Schweizerische Koordinations- und Fachstelle für Suchtfragen. Wir sind insgesamt zehn Mitarbeitende und setzen nationale Pilotprojekte um, organisieren Fachtagungen und betreuen Datenbanken und Websites, wie etwa Suchtindex.ch, wo schweizweit alle ambulanten und stationären Institutionen der Suchthilfe, aber auch Selbsthilfegruppen und Elternvereinigungen aufgeführt sind. Unsere Aufgaben haben sich im Lauf der Zeit gewandelt. Während es in den 1990er-Jahren vor allem noch darum ging, Probleme im Zusammenhang mit offenen Drogenszenen einzudämmen, kamen später auch andere Phänomene auf, etwa das Binge-Drinking oder die Rave-Kultur mit dem Konsum neuer Substanzen. Heute fassen wir unser Angebot zusehends breiter, wir haben nicht nur illegale Substanzen im Blick, sondern auch Alkohol oder Verhaltenssüchte.
2 Infodrog ist vom BAG eingesetzt, aber Sie sind nicht beim BAG angestellt?
Nein, seit 2009 ist die Schweizerische Gesundheitsstiftung Radix die Trägerin von Infodrog. Dabei wird Radix vom BAG für die Leistungen von Infodrog entschädigt. Bei unseren Leistungen handelt es sich in erster Linie um Informations- und Koordinationsarbeiten, die wir oft auch im Hintergrund erledigen. So ging es beispielsweise bei der Entwicklung von SafeZone.ch darum, 25 verschiedene Fachstellen aus 17 Kantonen aus allen Sprachregionen an einen Tisch zu bringen und in einer nationalen Plattform miteinander zu vernetzen. Entstanden ist ein Portal für eine kostenlose und anonyme Online-Beratung zu Suchtfragen für Betroffene, Angehörige und Nahestehende.
SafeZone.ch ist ein Gemeinschaftswerk: Infodrog betreibt die Plattform und ist in Zusammenarbeit mit Experten aus lokalen Fachstellen und aus Deutschland um die Fortbildung der Beraterinnen und Berater besorgt. Die Beratung selbst liegt in der Kompetenz der Kantone und wird von den Mitarbeitenden in den jeweiligen Fachstellen erbracht.
3 Wie muss man sich die Angebote zur Schadensminderung vorstellen, die Infodrog im Suchtbereich unterstützt?
Der Mensch konsumiert – trotz Einschränkungen und Verbote – seit Jahrtausenden Substanzen, die süchtig machen können. Wir möchten die Schäden sowohl für die betroffene Person wie auch für die Gesellschaft minimieren und fördern einen möglichst aufgeklärten und risikoarmen Umgang. Deshalb sammeln wir zum Beispiel auch aktuelle Substanzwarnungen, die von den Drug-Checking-Angeboten aus Zürich, Bern, Olten, Basel, Genf und Luzern herausgegeben werden. Und bieten auf SafeZone.ch Informationen in Deutsch, Französisch und Italienisch zu unerwarteten und gefährlichen Stoffen an. Aktuell geben etwa die synthetischen Cannabinoide zu reden, mit denen legal produziertes Cannabis, das sogenannte CBD-Cannabis, im Nachhinein besprayt wird. Diese illegal aufgetragenen synthetischen Cannabinoide können zu starken Nebenwirkungen oder riskanten Überdosierungen führen.
4 Zu den im Leistungsvertrag abgegoltenen Leistungen von Infodrog zählt auch die «lebenslange Frühintervention». Was ist damit gemeint?
Während langer Zeit konzentrierten sich die Präventionsbemühungen auf Jugendliche und Schulkinder, auch darum, weil die Schule einen einfachen Zugang zur breiten Bevölkerung bietet. Doch inzwischen hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass eine Sucht jederzeit auftreten kann. Und dass auch viele Personen nach ihrem Übertritt ins Pensionsalter oder noch später nach ihrem Eintritt in ein Pflegeheim suchtgefährdet sind. Deshalb arbeitet Infodrog beispielsweise mit den Verbänden aus dem Sucht- und Altersbereich zusammen, um Grundlagen für eine bessere Versorgung von älteren Menschen zu entwickeln, etwa im Rahmen von Betreuungskonzepten für Altersheime. Was uns allerdings im Moment noch fehlt, sind spezifische Angebote für Personen im mittleren Alter, die oft unter Stress stehen und manchmal einen problematischen Umgang mit leistungssteigernden Substanzen und auch Alkohol zeigen.
5 Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen: In welche Richtung entwickelt sich die Suchthilfe?
Die Digitalisierung betrifft uns immer stärker. Dabei gilt es viele neue Vorgaben und Herausforderungen zu beachten, insbesondere im Bereich Datenschutz. In der Beratung beobachten wir einen Trend hin zum digitalen Selbstmanagement und zum sogenannten blended counseling, also zu Mischformen zwischen Online-Beratung und direktem Gespräch. Hier steckt ein grosses Potenzial, das noch längst nicht ausgeschöpft ist.