Lust statt Frust beim Reden über Alkohol
Jan. 2017Prävention in der Gesundheitsversorgung
Früherkennung. frustrieÜbermässiger Alkoholkonsum verursacht viel Leid und hohe Kosten. Je früher Alkoholprobleme erkannt werden, umso einfacher kann süchtig machendes Verhalten verändert werden. Ärztinnen und Ärzte leisten einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung, wenn sie ihre Patientinnen und Patienten auf den Alkoholkonsum ansprechen. Doch das will gelernt sein!
Informationen und Kampagne
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten für Ärzte und Patienten, sich vertiefter über Alkoholprobleme zu informieren, z.B. www.praxis-suchtmedizin.ch (v.a. für Ärzte und Fachpersonen), www.suchtschweiz.ch, www.safezone.ch. Die Broschüre «Kurzintervention bei Patienten mit risikoreichem Alkoholkonsum» kann auf www.praxis-suchtmedizin.ch heruntergeladen oder im Sekretariat der Schweizerischen Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin SAPPM per E-Mail bestellt werden. Die Alkoholpräventionskampagne des Bundesamts für Gesundheit und seinen Partnern informiert im Online- und Papierquiz auf spielerische Weise über Risiken und Nebenwirkungen von Alkohol und ruft dazu auf, sich selber die Frage zu stellen, wieviel zu viel ist. Arztpraxen, Spitäler und weitere Interessierte können gratis den Quiz-Dispenser bestellen. www.alcohol-facts.ch
Alkoholmissbrauch macht krank: Es gibt kaum ein menschliches Organ, das durch Alkohol nicht geschädigt werden kann. Leber und die Verdauungsorgane werden am stärksten beeinträchtigt. Jeder 12. Todesfall in der Schweiz ist auf Alkoholkonsum zurückzuführen, dies waren z. B. im Jahr 2011 rund 1600 Tote im Alter von 15 bis 74 Jahren. Drei von fünf dieser Todesfälle sind bedingt durch chronisch starken Alkoholkonsum. 1 Alkoholmissbrauch verursacht zudem jährliche Kosten von rund 4,2 Mrd. Franken.2 Gleichzeitig befürworten 75 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz Anreize für gesundheitsförderndes Verhalten.3 Auch ist es für die Patienten in Ordnung, wenn sie von ihrem Arzt auf den Alkoholkonsum angesprochen werden, insbesondere wenn dies mit Wohlbefinden und Gesundheit begründet wird.4 Aber was braucht es, damit das Gespräch über Alkohol in der Arztpraxis nicht zum Frust wird? Lust am Ausprobieren und motivierte Ärztinnen und Ärzte, die sich ganz einfach für den Alkoholkonsum ihrer Patientinnen und Patienten interessieren und gemeinsam mit ihnen über dessen Folgen für den Alltag und die Gesundheit nachdenken.
Früherkennung
Der Konsum von Alkohol bedeutet für viele Menschen Genuss. Aber wieviel ist zu viel? Die Eidgenössische Kommission für Alkoholfragen EKAL hat risikoarmen Konsum in ihrer Orientierungshilfe folgendermassen formuliert: Gesunde erwachsene Männer sollten nicht mehr als zwei bis maximal drei Gläser Alkoholisches pro Tag zu sich nehmen und Frauen nicht mehr als ein bis maximal zwei Gläser trinken. Zudem empfiehlt es sich, jede Woche an mehreren Tagen gar keinen Alkohol zu trinken. Wenn ausnahmsweise etwas mehr getrunken wird, dann sollten Männer nicht mehr als fünf und Frauen nicht mehr als vier Gläser konsumieren. Je früher ein risikoreicher Alkoholkonsum erkannt wird, umso erfolgsversprechender ist es, das Konsumverhalten anzupassen resp. den Alkoholkonsum zu reduzieren!
Ansprechen auf den Alkoholkonsum…
Ansprechen kann man die Patienten bei einer Routinekontrolle oder im Zusammenhang mit den Lebensgewohnheiten oder bei gesundheitlichen Beschwerden, welche durch einen risikoreichen Alkoholkonsum (mit-)verursacht sein können. Die Haltung beim Ansprechen auf den Alkoholkonsum ist von zentraler Bedeutung. Der Patient ist Experte für seine Lebensweise und grundsätzlich motiviert für sein eigenes Wohl. Wichtig ist, zu zeigen, dass der Arzt jederzeit bereit ist, über das Thema Alkohol zu sprechen. Patienten begrüssen es in der Regel, auf ihren Alkoholkonsum angesprochen zu werden. Einfach und zuverlässig lässt sich mit den 3 Fragen des AUDIT-C (Tabelle 1) feststellen, ob ein risikoreicher Alkoholkonsum besteht.5
… und intervenieren
Wenn ein risikoreicher Alkoholkonsum vorliegt, gilt es den Patienten sachlich über Risiken und mögliche Folgen zu informieren; moralisierende Informationen sind zu vermeiden. Es ist wichtig, dem Patienten die Möglichkeit zu geben, seinen eigenen Konsum zu hinterfragen, seinen persönlichen Fragen zuzuhören und sie zu beantworten. Bei einem risikoreichen Alkoholkonsum sind in der Hausarztpraxis Kurzinterventionen sehr geeignet.6 Inder praktischen Anwendung sind Kurzinterventionen Gespräche von beschränkter Anzahl und kurzer Dauer. Sie orientieren sich am Konzept der Motivierenden Gesprächsführung und sind unterschiedlich stark strukturiert. Die Broschüre «Kurzintervention bei Patienten mit risikoreichem Alkoholkonsum »7 bietet Ärztinnen und Ärzten nicht nur Hintergrundwissen über Alkohol, sondern auch konkrete Hinweise zur Durchführung von Kurzinterventionen und Hilfestellungen beim Ansprechen.
Motivierende Kurzintervention im Arzt-Patient-Gespräch
Eine weitere Möglichkeit, das Ansprechen zu üben, sind Fortbildungen: Eine interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft – bestehend aus Forum Suchtmedizin Ostschweiz (FOSUMOS), Kollegium für Hausarztmedizin: Programm Gesundheitscoaching, Zürcher Fachstelle zur Prävention des Alkohol- und Medikamentenmissbrauchs (ZüFAM) und Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme (ZFA) – führt Sensibilisierungs-, Fortund Weiterbildungskurse8 für Ärztinnen und Ärzte zur motivierenden Kurzintervention unter Einbezug der Alkoholthematik durch. Angeboten werden Kurzinputs (1–2h), halbtägige Einsteigerkurse sowie Tagesseminare. Ziel der Veranstaltungen ist, dass Ärzte Wissen und Fertigkeiten erwerben, um ihre Patientinnen und Patienten für einen gesunden Lebensstil zu motivieren und sie bei Verhaltensänderungen wirkungsvoll zu unterstützen. Die eingeübten Fähigkeiten können nicht nur bei Alkoholproblemen, sondern auch bei einer Vielzahl weiterer gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen eingesetzt werden.
Fazit
Eine frühzeitige Wahrnehmung und eine offene Kommunikation zum problematischen Alkoholkonsum ist eine wichtige und letztlich auch dankbare Aufgabe für Hausärzte. Ob diese Aufgabe eher frustrierend und schwierig oder aber «lustvoll», als Herausforderung wahrgenommen wird, hängt vor allem davon ab, ob es gelingt, den Patienten mit einer offenen, gleichberechtigten Haltung zu begegnen, und ob man über ein Repertoire an kommunikativen Fertigkeiten verfügt (oder bereit ist, sich ein solches anzueignen).
Der Artikel ist in der Schweizerischen Ärztezeitung 2016, Ausgabe 36, erschienen. Er wurde fürs spectra leicht modifiziert.
1 Marmet, S., Gmel, G., Gmel, G., Frick, H., Rehm, J., Shield, K.D.C. (2013). Alcohol-attributable mortality in Switzerland between 1997 and 2011. Lausanne: Sucht Schweiz.
2 Fischer, B., Telser, H., Widmer, P., Leukert, K. (2014). Alkoholbedingte Kosten in der Schweiz. Schlussbericht im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit. Olten: Polynomics.
3 pharma:ch 1/2008 Prävention: Investition in die Gesundheit und die Wohlfahrt eines Landes, vgl. http:// www.interpharma.ch/gesundheitswesen/1586-gesundheitsfoerderung- wird-immer-wichtiger, Zugriff 20.07.2016
4 Daeppen, JB., Gaume, MJ. (2006). Implémentation et dissémination de l’intervention brève pour la consommation d’alcool à risque en médecine de premier recours: Evaluation du projet partiel «médecins» du programme nationale alcool «ça débouche sur quoi?» Schlussbericht im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit. Lausanne: CHUV.
5 Bush, K., Kivlahan, DR., McDonell, MB. (1998). The AUDIT alcohol consumption questions (AUDIT-C): an effective brief screening test for problem drinking. Ambulatory Care Quality Improvement Project (ACQUIP). Alcohol Use Disorders Identification Test. Arch Intern Med; 158: 1789 – 95.
6 Bertholet, N., Daeppen, J. B., Wietlisbach, V., Fleming, M., Burnand, B. (2005). Reduction of Alcohol Consumption by Brief Alcohol Intervention in Primary Care – Systematic Review and Meta-analysis. Arch Intern Med. 2005; 165: 986–995.
7 Herausgeberschaft: FMH, BAG, Praxis Suchtmedizin, Sucht Schweiz, Infodrog, KHM und SAPPM, 2014.
8 Kursangebot: siehe unter www.zfa.ch/index.php/fortbildung- aerzte.html