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Selbst ein sehr geringer Zigarettenkonsum hat Auswirkungen auf die Gesundheit

Ausgabe Nr. 115
Jan. 2017
Prävention in der Gesundheitsversorgung

Fünf Fragen an Prof. Jacques Cornuz. Der Direktor der medizinischen Universitätspoliklinik in Lausanne engagiert sich stark in der Lehre und Forschung, und spezifisch im Bereich der Tabakentwöhnung. Wir sprachen mit ihm über die Kurzinterventionen zum Rauchstopp.

Ein Rauchstopp hat positive Auswirkungen auf den Körper und verbessert die Lebensqualität. Die aktuelle Tabakpräventionskampagne SmokeFree macht den Rauchstopp zum Thema. Was empfehlen Sie Ihren Patientinnen und Patienten, die mit dem Rauchen aufhören wollen?

Ich erkläre ihnen, dass es wichtig ist, rückfallbegünstigende Situationen frühzeitig zu erkennen. Dazu gehören beispielsweise die Anwesenheit anderer Rauchender an einem Fest, die Assoziation mit dem Alkoholkonsum und der Umgang mit Emotionen. Mir fällt auf, dass viele Frauen bei negativen Emotionen (z.B. zwischenmenschlichen Konflikten) wieder mit Rauchen beginnen, während Männer tendenziell rückfällig werden, wenn sie positive Emotionen erleben (z.B. Sieg ihres Lieblingsvereins!). Ich gehe auch auf den Umgang mit Stress ein: Viele Rauchende glauben, dass eine Zigarette hilft, mit Stress umzugehen. Ich zeige ihnen auf, dass Rauchen keine Auswirkung auf den Stress hat! Wenn ein Rauchender 20 bis 30 Minuten nach der letzten Zigarette mit einer Stresssituation konfrontiert ist, senkt dies die Resistenz gegenüber dem Nikotinmangel. Das Rauchen einer Zigarette bringt dann Erleichterung. Der Tabakkonsum ist also nicht eine Antwort auf den Stress, sondern auf den Nikotinmangel, der in einer Stresssituation besonders deutlich wahrgenommen wird! Schliesslich thematisiere ich auch die Gewichtszunahme, die ich jedoch relativiere, indem ich verschiedene Möglichkeiten zu deren Eindämmung aufzeige. All dies erfolgt im Rahmen einer empathischen Beziehung unter dem Einsatz der Motivierenden Gesprächsführung.

Ein kompletter Rauchstopp ist die beste Lösung. Die Anzahl Zigaretten zu reduzieren bringt wenig. Wird den Patientinnen und Patienten diese Tatsache vermittelt? Oder müsste noch mehr getan werden?

Fundierte epidemiologische Daten haben deutlich gezeigt, dass das Risiko von Lungenkrebs oder Herz-Kreislauf- Erkrankungen bei «leichten» Rauchenden, die täglich 1 bis 5 Zigaretten rauchen, deutlich ansteigt. Wir weisen die Rauchenden deshalb darauf hin, dass bereits ein sehr moderater Tabakkonsum Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Leider wissen das nur wenige, manchmal nicht einmal die Ärztinnen und Ärzte!

In der Ausbildung der Ärzteschaft wird das Thema Rauchstopp behandelt. Weshalb wenden die Ärztinnen und Ärzte die Kurzintervention in der Praxis nur wenig an?

Die Daten legen zwar nahe, dass die Ärztinnen und Ärzte nicht bei jeder Sitzung eine Kurzintervention durchführen, doch das heisst noch lange nicht, dass die Frage des Rauchstopps nicht thematisiert wird. Ich gehe eher davon aus, dass viele Kolleginnen und Kollegen im Rahmen von Gesprächen, die formell nicht als Kurzintervention bezeichnet werden, auf die Bedeutung eines Rauchstopps hinweisen. Ausserdem ist bekannt, und das kann ich aus meiner klinischen Praxis bestätigen, dass es Patientinnen und Patienten gibt, die mit dem Rauchen nicht aufhören wollen. Es gehört zur Wahrung der Patientenautonomie, nicht auf dem Thema Tabakkonsum zu beharren. Dies könnte bei den unmotivierten Patientinnen und Patienten heftige Widerstände hervorrufen. Ebenfalls nicht zu unterschätzen sind die Verzerrungen, insbesondere die Erinnerungsverzerrungen, die sich bei Umfragen ergeben, wenn die Patientinnen und Patienten nach der Haltung der Ärztin oder des Arztes gefragt werden. Schliesslich muss anerkannt werden, dass eines der Hindernisse für die Förderung der Tabakentwöhnung in der geringen individuellen Wirksamkeit begründet liegt. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass eine Person am Ende des Prozesses rückfällig wird, als dass sie Ex-Raucherin / Ex- Raucher wird! Bestenfalls hören 12 Monate nach einer seriösen und geplanten Intervention drei von zehn Personen mit dem Rauchen auf. Das heisst, dass es ungefähr 70 Prozent der Rauchenden nicht schaffen, mit dem Rauchen aufzuhören, was nicht gerade ein medizinischer Triumph ist! Wir wissen jedoch, dass nach einer erfolglosen ersten Intervention nicht alles verloren ist und der Rauchstopp bei einem nächsten Versuch erreicht werden kann. Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen greifen das Thema zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf, beispielsweise einige Monate nach dem Rückfall.

Sind über die Jahre Veränderungen im Bereich Rauchstopp sichtbar (z.B. Einstellung der Patientinnen/Patienten zum Rauchstopp, Einstellung der Ärztinnen/Ärzte zur Rauchstopp- Beratung, Schwierigkeiten in der Beratung, Arztbesuch spezifisch für den Rauchstopp usw.)?

Bei den Patientinnen und Patienten hat die rauchfreie Umgebung (das Rauchen ist in öffentlichen Räumen gesetzlich untersagt) zu einer veränderten Wahrnehmung des Rauchverhaltens geführt (Externalität), was einige zum Aufhören motiviert hat. Unter der Ärzteschaft zeigen heute gewisse Fachärztinnen und -ärzte, insbesondere der Kardiologie, Psychiatrie und Gynäkologie, Interesse an dieser Thematik, was mich freut.

Was fehlt aus Ihrer Sicht noch für eine gute Rauchstopp-Beratung von Seiten der Politik, der Verwaltung, der Ärzteschaft und der Patientinnen und Patienten?

In der Politik kann der Bedeutung eines vollständigen Verbots der direkten und indirekten Werbung noch deutlich mehr Verständnis entgegengebracht werden. Mit einem solchen Verbot kann der Verharmlosung dieses Produkts entgegengewirkt und die Jugendlichen davon abgehalten werden, ihren Tabakkonsum zu festigen. Seitens der Verwaltung ist zu hoffen, dass sie den Zigarettenpreis durch Erhöhung der Tabaksteuer weiter anhebt. Es besteht noch Spielraum für diese wirksame Massnahme der öffentlichen Gesundheit. Was die Ärzteschaft angeht, so bin ich zuversichtlich, dass es der jungen Generation ein noch grösseres Anliegen sein wird, ihre Patientinnen und Patienten regelmässig auf die Tabakentwöhnung anzusprechen. Die Patientinnen und Patienten wiederum müssen sich bewusst werden, dass die Substanz Nikotin alleine noch keine Auswirkungen auf ihre organische Gesundheit hat (Krebs, Kreislauferkrankungen), sondern sie lediglich körperlich und psychisch abhängig macht. Dies würde das Verständnis für den potentiellen Beitrag, den Medikamente und E-Zigaretten bei einem Rauchstopp leisten können, verbessern! Von entscheidender Bedeutung ist schliesslich auch, dass die Patientinnen und Patienten einsehen, dass ein kompletter Rauchstopp für ihre Gesundheit die beste Lösung ist.

Zur Person

Prof. Jacques Cornuz ist seit 2011 Direktor der medizinischen Universitätspoliklinik in Lausanne und ordentlicher Professor der medizinischen Fakultät der Universität Lausanne. Er besitzt einen Master in Public Health der Harvard University (Boston). Nebst seinen Lehr- und Forschungstätigkeiten in Lausanne, Calgary und Freiburg im Breisgau engagiert er sich in der Tabakprävention. Für seine Forschungsarbeiten im Bereich Tabak geniesst er internationale Anerkennung.

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