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Kinder aus suchtbelasteten Familien: Heraus­forderungen und Unterstützungsmöglichkeiten

Ausgabe Nr. 137
Jun. 2023
Gesundheit und Soziales: Schnittstellen stärken

Wie viele Kinder in der Schweiz sind als Folge des risiko­reichen Substanzkonsums ihrer Eltern einem erhöhten Risiko ausgesetzt? Untersuchungen geben Einblicke in die demografische Verteilung der Betroffenen und schaffen eine wichtige Grundlage für zielgerichtete Massnahmen.

Vom Bauch der Mutter bis ins Erwachsenenalter: Eine elterliche Sucht kann die körperliche und die geistige Entwicklung eines Kindes stark beeinträchtigen. Eltern, die zu Hause rauchen, setzen ihre Kinder fortwährend gesundheitlichen Risiken aus. Zudem haben Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien ein erhöhtes Risiko, als Erwachsene selbst Suchtprobleme zu entwickeln. Soziale und genetische Einflüsse spielen bei der Übertragung dieses Risikos von den Eltern auf die Kinder eine Rolle. Kinder und Jugendliche fühlen sich oft isoliert mit dem Suchtproblem in der Familie. Das Thema ist tabuisiert und die Angst, vom Umfeld stigmatisiert zu werden, gross. Oft wissen die Kinder nicht, wem sie sich anvertrauen können oder wo sie Unterstützung finden. Auch fürchten sich die Kinder, ihre Eltern zu verraten oder von ihnen getrennt zu werden. 

Stress, gedrückte Stimmung und Konflikte (emotionale Dysregulation) kommen in belasteten Familien öfter vor. Unter diesen Bedingungen können die schulischen Leistungen leiden und sich auffälliges Verhalten entwickeln. Auch ist eine sogenannte «Parentifizierung» der Kinder und der Jugendlichen keine Seltenheit: Sie übernehmen zu Hause die Verantwortung, da die Erwachsenen nicht imstande sind, sich um die Grundbedürfnisse der Familie zu kümmern. Für solche «Young Carers» stellt die auferlegte Rolle eine grosse Belastung dar. 

Wie oft Kinder betroffen sind

Die vom BAG beauftragte Studie «Kinder aus Familien mit risikoreichem Substanzkonsum» der Berner Fachhochschule (BFH) zeigt auf, wie viele Kinder unter 15 Jahren aus Familien mit risikoreichem Substanzkonsum in der Schweiz einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Gemäss der Studie wachsen 5,8 % dieser Kinder in der Schweiz in einer Familie auf, in der ein oder beide Elternteile risikoreich Alkohol konsumieren, und gleich viele Kinder leben in einem Zuhause, in dem geraucht wird. Im Vergleich dazu ist der Anteil an Kindern, deren Eltern illegale Drogen konsumieren, mit 1,8 % geringer. Manche Eltern weisen einen mehrfachen Risikokonsum auf, wobei die Kombination von Alkohol und Tabak am meisten verbreitet ist (1,9 % der Kinder sind betroffen). 

Diese Daten geben Aufschluss über die Verbreitung der Gefährdungen, was nicht dem Ausmass der Gefährdung der Kinder entspricht. Der Anteil Kinder aus heroinbelasteten Haushalten mag beispielsweise klein sein, die Mehrfachbelastung dieser Kinder jedoch ist folgenschwer. Im Gegensatz dazu ist der Alkohol- oder Tabakkonsum zwar verbreiteter, jedoch einfacher mit dem Alltag vereinbar.

Unterstützung finden

Um Kindern aus suchtbelasteten Familien ein sicheres Umfeld zu gewährleisten, benötigen sie ein Hilfsnetz aus psychologischer und sozialarbeiterischer Unterstützung. Für sie ist es wichtig, in einem vertrauten Rahmen ihre Erfahrungen aufzuarbeiten und ihr Selbstwert- und Körpergefühl, ihre Kommunikationsfähigkeit und ihre Resilienz zu stärken. Zudem sollen die Kinder lernen, mit den Auswirkungen der Sucht ihrer Eltern umzugehen und – dem Alter entsprechend – ein Verständnis für die Situation ihrer Eltern zu erlangen. In einer Behandlung des Kindes bleibt der Fokus jedoch stets beim Kind, nicht bei den Eltern.

Psychosoziale Unterstützung brauchen auch die betroffenen Eltern, um ihre Suchtprobleme zu bewältigen und bestenfalls eine stabile Umgebung für ihre Kinder zu schaffen. Neben der psychologischen Betreuung können professionelle Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder soziale Einrichtungen helfen. Für suchtbetroffene Familien ist oftmals auch die finanzielle Unterstützung essenziell, damit die Eltern an einer Suchtbehandlung teilnehmen können. Dabei ist diesen Familien mit einer interinstitutionellen Zusammenarbeit am besten geholfen: der Vernetzung und der Koordina­tion der Akteure, die sich auf die Behandlung von suchtbelasteten Familien spezialisiert haben.

Soziales Umfeld ist wichtig

Das soziale Umfeld spielt bei Suchtproblemen eine wesentliche Rolle. Einerseits kann ein Umfeld mit problematischem Suchtmittelumgang die Entstehung einer Sucht begünstigen sowie den Ausstieg erschweren. Andererseits kann ein unterstützendes Umfeld eine entscheidende Ressource sein, um von der Sucht loszukommen. In der Beratungsarbeit ist der Einbezug des sozialen Umfelds deshalb unabdingbar, da nur so die Situation der suchtbetroffenen Person ganzheitlich verstanden werden kann.

Wer besonders betroffen ist

Kinder aus Familien mit tieferem Einkommen und solche aus Einelternfamilien sind stärker vom risikoreichen Konsum ihrer Eltern betroffen. Je nach Substanz sind ebenfalls Unterschiede in der demografischen Verteilung der Suchtproblematik auszumachen. Beispielsweise sind beim Tabakkonsum Eltern aus tieferen Bildungsschichten und Eltern mit Migrationshintergrund deutlich häufiger vertreten. 

Um Migrantinnen und Migranten gezielt mit Präventionsbotschaften zu erreichen, bieten Fachstellen Informationen in verschiedenen Sprachen an. Auch das BAG fördert Präventionsprogramme, um die Belastung der betroffenen Kinder zu minimieren und Aufklärungsarbeit zu leisten. Zum Beispiel wird das Programm «Kinder suchtkranker Eltern» von Sucht Schweiz für den Zeitraum von 2022 bis 2024 vom BAG finanziert. Gemäss der Gesundheitsstrategie 2030 «Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen» konzentriert sich das BAG stärker auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in vulnerablen Situationen und ihrem familiären Umfeld.

Die Schweiz vertreten in der Pompidou-Gruppe

Die Pompidou-Gruppe ist eine Kooperationsplattform für Drogenpolitik des Europarats und ermöglicht den internationalen Informationsaustausch zu drogenpolitischenThe- men. Das BAG hat im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Pompidou-Gruppe einen Forschungsauftrag zum Thema «Kinder, deren Eltern Drogen konsumieren» erteilt. Sucht Schweiz befragte suchtkranke Mütter sowie Kinder und junge Erwachsene, die in einer suchtbetroffenen Familie gelebt haben, und wird im Sommer 2023 einen Bericht zur Situation in der Schweiz veröffentlichen.

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Kontakt

Marc Wittwer, Sektion Wissenschaftliche Grundlagen,       


Maryam Boutefah, Sektion Gesundheitsförderung und Prävention,

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