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«Ich war gefangen in der Schuldenfalle»

Ausgabe Nr. 137
Jun. 2023
Gesundheit und Soziales: Schnittstellen stärken

Armut macht krank. Und Krankheit macht arm. In diesem Teufelskreis steckte die allein­erziehende Mutter Jahrzehnte fest, bis sie mit etwas Glück in ein Entschuldungsprogramm aufgenommen wurde. Nun hat sie eine Anstellung – und endlich auch eine Perspektive. Ein Erfahrungsbericht.

«Mein Vater war Alkoholiker und wurde manchmal gewalttätig. Ich wollte so rasch wie möglich mein Elternhaus verlassen. Deshalb habe ich jung geheiratet. Aber ich musste mich wieder scheiden lassen, weil mein Ex-Mann nach der Geburt unseres Sohns sein Verhalten änderte. Er wurde aggressiv und eifersüchtig. Er hatte auch angefangen, um Geld zu spielen, und konnte die Miete und andere Rechnungen nicht mehr bezahlen. Bei der Trennung habe ich seine Schuldscheine unterschrieben. So bin ich in die Schuldenfalle getappt.

Damals arbeitete ich in einem Altersheim, aber ich hatte Rückenprobleme und auch psychisch ging es mir nicht gut. Mein Ex-Mann verfolgte und bedrohte mich. Ich wollte mein Leben aufgeben. Nach der Behandlung in der Psychiatrie beschloss ich, weiter weg zu ziehen. In einer Bar lernte ich einen neuen Mann kennen, der mir die Angst vor meinem Ex-Mann nahm. Nach einiger Zeit wurde ich schwanger. Wir zogen in ein Haus. Alles schien perfekt zu sein. Doch dann wurde das Geld immer knapper. Er begann, Drogen zu nehmen. Und auf die Uhr zu schauen, wenn ich einkaufen ging. Als er handgreiflich wurde, bin ich mit meinen beiden Kindern ins Frauenhaus geflüchtet.

Von dort aus sind wir in eine Wohnung gezogen. Da habe ich gemerkt, dass ich wieder schwanger war. Das war eine sehr schwierige Zeit. Die Alimente kamen nur harzig. Und das Geld von der Sozialhilfe reichte auch nicht weit. So wurden die Schulden immer höher – und ich bin in ein immer tieferes Loch gefallen. Ich hatte keine Hoffnung mehr, ein normales, glückliches Leben führen zu können.

«Die Alimente kamen nur harzig. Und das Geld von der Sozialhilfe reichte auch nicht weit.»

Teigwaren mit Butter

Ich war alleinerziehend und kümmerte mich um drei kleine Kinder. Der Jüngste hatte eine zerebrale Streifung und musste in die Therapie. In der Schule kamen die zwei Jüngeren nicht gut voran. Es hiess, dass ihre Sprache nicht altersgemäss sei. So gingen sie in eine heilpädagogische Schule. Obwohl ich fand, dass sie nicht dahin gehörten, nur weil sie mit der Sprache Probleme hatten, war ich gleichzeitig auch erleichtert, dass die beiden ganztags in die Schule gehen und dort auch das Mittagessen zu sich nehmen konnten. Zum Abendessen gab es Teigwaren mit Butter oder sonst etwas Günstiges.

Weil wir nicht genügend Geld hatten, ging ich nebenbei in verschiedenen Restaurants arbeiten. Aber die Rückenprobleme wurden immer schlimmer. Ich musste mich wegen Bandscheibenvorfällen mehrmals operieren lassen. Trotzdem hatte die IV mein Gesuch um Unterstützung abgelehnt. So blieb ich in der Schuldenfalle gefangen. Der Schuldenberg ist über die Jahre auf fast 50 00 Franken angewachsen. Weil ich mich geschämt habe, bin ich nie betteln gegangen. Es gab Personen in der Nachbarschaft, die dachten, dass ich nicht gut zu meinen Kindern schaue. Sie haben bei den Behörden Meldungen eingereicht und behauptet, dass ich die Kinder allein lasse. So kam es fast dazu, dass mir die Kinder entzogen worden wären. Aber meine Kinder waren stets betreut. Ich war immer für sie da und werde auch bis an mein Lebensende immer für sie da sein. Ich habe für sie gesorgt und ihre Wünsche erfüllt, so gut es ging.

Ich habe auf vieles verzichtet, damit sie glücklich sein konnten. Sie wollten nie teure Sachen und haben sich auch über Kleinigkeiten gefreut, weil sie verstanden, dass wir nicht viel Geld hatten. Bei meinen Einsätzen in den Restaurants habe ich das Trinkgeld immer auf die Seite getan. Irgendwann war so viel beisammen, dass wir alle zusammen ans Meer fahren konnten. Meine Kinder und ich haben diese Ferien sehr genossen. Trotzdem habe ich mir oft Vorwürfe gemacht und gedacht, ich sei keine gute Mutter und meine Kinder hätten ein besseres Leben verdient.

Die Wende kam, als ich vor einigen Jahren Markus Gander, den Gründer von infoklick.ch, kennengelernt habe. Wir sassen in einem Restaurant an zwei benachbarten Tischen und kamen ins Gespräch. Als er meine Geschichte hörte, hat er gesagt: ‹Das geht so nicht, das müssen wir ändern.› Er erzählte mir vom Projekt Agenda Avenir, das bei infoklick.ch im Aufbau war. Es hilft Alleinerziehenden mit Kindern, die Entschuldung aus eigener Kraft in Angriff zu nehmen. 

Der Druck fällt weg

Bei Agenda Avenir werden die Schulden abgelöst. Der Druck fällt weg, weil die Abzahlung jetzt so geregelt ist, dass sie für mich tragbar ist. Ich habe nun eine feste Anstellung und überweise jeden Monat einen Teil meines Lohns, um schrittweise meine Schulden zu tilgen. Auch meinen Kindern ist der Berufseinstieg gelungen. Der Älteste arbeitet als Computerfachmann. Und die beiden Jüngeren schlies­sen bald ihre Lehre ab. Ich bin sehr froh, dass meine Kinder und ich jetzt der Armut entkommen und endlich ein unbeschwertes Leben führen können.»

Kontakt

Isabelle Villard Risse,
Sektion Gesundheitliche Chancengleichheit

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