«Die Natur hellt die Stimmung auf»
Sep. 2022Umwelt und Gesundheit
5 Fragen an die Umweltpsychologin Nicole Bauer von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Sich in der Natur zu bewegen, sei für die Gesundheit am besten, doch wirken tue auch nur schon der Blick aus dem Fenster ins Grüne, so Nicole Bauer.
1 Wie beeinflusst die Natur unsere Gesundheit?
Da spielen mehrere Mechanismen eine Rolle. Einerseits tragen bessere Luftqualität und weniger Lärm dazu bei, dass Grünflächen in Siedlungsnähe mit weniger kardiovaskulären Erkrankungen und geringerer Sterblichkeit korrelieren, wie Daten aus der Schweiz, den Niederlanden und Grossbritannien belegen. Insbesondere im Vereinigten Königreich ist das Grün in den Städten sehr ungleich verteilt. Da kommt es zu einem problematischen Zusammenspiel, denn in den ärmeren Quartieren fehlen oft nicht nur Pärke, sondern auch die Mittel für eine gesunde Ernährung.
Andererseits verbessern Aufenthalte in der Natur mutmasslich die Immunfunktion. Studien aus Japan und anderen asiatischen Ländern führen diesen Effekt in erster Linie auf die in ätherischen Ölen enthaltenen Terpene in der Waldluft zurück, die unsere natürlichen Killerzellen stimulieren. Ob sich das aber auch auf Wälder in Europa übertragen lässt, in denen andere Baumarten wachsen, muss sich noch weisen. Vorerst gilt es, diese Resultate mit Vorsicht zu geniessen.
Und schliesslich: Die Natur hellt die Stimmung auf. Und sie hilft sehr vielen Menschen, Stress abzubauen und sich zu erholen.
2 Wieso erholt man sich in der Natur?
Gemäss der sogenannten psycho- evolutionären Stresserholungs-Theorie reagiert der Mensch auf Natur und Wasser mit Entspannung und Wohlbefinden, weil er in seiner Entstehungsgeschichte auf diese beiden Faktoren angewiesen war und sie ihm das Überleben gesichert haben. Unbewusst werden wir wohl auch heute noch davon beeinflusst, wenn wir zum Beispiel im Wald spazieren.
Doch auch ohne rauszugehen, nur schon der Blick aus dem Fenster ins Grüne wirkt, das ist ziemlich gut erforscht. So hat zum Beispiel eine Studie im Nachhinein analysiert, wie gut sich Patientinnen und Patienten nach einer Gallenblasenoperation erholen, je nachdem ob sie von ihrem Zimmer aus auf eine Brandschutzmauer oder in die andere Richtung auf einen Park mit Bäumen blickten. Wer ins Grüne schauen konnte, musste im Schnitt weniger Schmerzmittel nehmen – und wurde auch früher entlassen. Diese Resultate aus den frühen 1980er-Jahren waren die Initialzündung auf diesem Forschungsgebiet.
«Gemäss der sogenannten psycho-evolutionären Stresserholungs-Theorie reagiert der Mensch auf Natur und Wasser mit Entspannung und Wohlbefinden, weil er in seiner Entstehungsgeschichte auf diese beiden Faktoren angewiesen war und sie ihm das Überleben gesichert haben.»
3 Welche Faktoren sind wichtig für die Erholung?
Die sogenannte Aufmerksamkeits-Erholungs-Theorie geht von der Annahme aus, dass wir bei der gerichteten Aufmerksamkeit nur über beschränkte Ressourcen verfügen. Das Zuhören in Sitzungen oder Vorlesungen ermüdet, irgendwann beginnt man an die Einkaufsliste oder an die nächsten Ferien zu denken. Dieses Abschweifen bedeutet, dass die Aufmerksamkeit erschöpft ist und dass man eine Pause braucht. Zahlreiche Forschungsprojekte haben sich mit der Frage beschäftigt, unter welchen Umständen sich unsere Aufmerksamkeit besonders gut erholt. Das Ergebnis ist eine Liste von fünf Kriterien. Viele dieser Kriterien werden während einem Aufenthalt in der Natur erfüllt. Zum Beispiel die Faszination, die unsere Aufmerksamkeit in Bann schlägt, so-dass wir uns – ohne Anstrengung – fokussieren. Wichtig ist auch der psychische Abstand vom Alltag, der Kontrast zur Routine. Mit diesem Faktor lässt sich erklären, wieso Personen, die beruflich im Wald zu tun haben, sich im Wald weniger gut erholen können.
4 Wie lassen sich erholsame Landschaften fördern?
Das hängt vor allem auch vom Landschaftstyp ab. Bei Grünflächen in Siedlungsnähe dreht sich die Diskussion um die Themen der Verfügbar- und der Nutzbarkeit. So gehören etwa die Schrebergartenareale zwar der öffentlichen Hand, doch sie dürfen nur von den Pächterinnen und Pächtern betreten werden. Das ist schade. Aus meiner Sicht spricht wenig dagegen, Spazierwege durch die Areale für die ganze Bevölkerung zu öffnen, damit auch die Allgemeinheit etwas von den schönen Gärten hat.
5 Wie lässt sich die Erholung im Wald fördern?
Hier geht es oft etwa darum, mit der Waldpflege dafür zu sorgen, dass es nicht zu dunkel ist und eine gewisse Lichtmenge noch den Boden erreicht. Der Mensch ist in der Savanne gross geworden, und gemäss der Landschaftspräferenz-Theorie ist es uns immer noch am wohlsten, wenn wir sowohl Ausschau halten wie auch uns verstecken können.
Ausserdem hat die letzte Umfrage des Waldmonitorings soziokulturell (kurz WaMos) ergeben, dass sich heute mehr Leute von anderen Waldbesucherinnen und -besuchern gestört fühlen als noch vor zwanzig Jahren. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass heute deutlich mehr Leute in den Wald gehen und dadurch die Konflikte – etwa zwischen Wanderern und Bikern – stark zugenommen haben. Hier setzen die Lösungen, die diskutiert werden, auf mehr gegenseitige Rücksicht und zunehmend auch auf die Entflechtung der verschiedenen Nutzergruppen.